Marc Aurels Vater war früh gestorben, er wuchs bei seinem Großvater Annius Verus auf, der mit Kaiser Hadrian befreundet war. Wie sehr Marc Aurel selbst die weitblickenden Entscheidungen seiner Vorgänger und deren Charakter geschätzt hat, geht aus seinen Schriften immer wieder hervor. Aber auch für seine leiblichen Vorfahren ist er dem Schicksal dankbar: »Meinem Großvater Verus, für Gutmütigkeit und Freisein von Zorn. Vom Ruf und in Erinnerung an meinen Vater – Zurückhaltung und Männlichkeit.«
Die Pflichterfüllung und die Gelassenheit – diese beiden Eigenschaften, die Marc Aurel von sich fordert, haben ihn in den fast 2000 Jahren seit seinem Tod zum Vorbild für viele Menschen gemacht, auch immer wieder für Staatsmänner.
Schon zu Lebzeiten ehrte man ihn an vielen Orten mit einer überlebensgroßen Reiterstatue, 165 n. Chr. zum Dank für seinen Sieg über die Parther. Sie hat den Bildersturm der Jahrhunderte überstanden, weil man den bärtigen Herrn für Kaiser Konstantin hielt, der dem Christentum zur Toleranz verholfen hat.
Marc Aurel starb 181, wahrscheinlich in Vindobona, vielleicht in Sirmium, einer Stadt ohne Nachfolge in der Gegenwart, in der Vojvodina, am Balkan.
Um das Jahr 300 kam das Christentum nach Pannonien, wenige Jahre darauf war Konstantin Kaiser, der als »der Große« in die Geschichtsschreibung eingegangen ist. 313 wurde in der »Mailänder Vereinbarung« das Christentum zur religio licita, erlaubten Religion, Konstantin für Westrom, Licinius für Ostrom hatten sie getroffen. In der Kaiserkonferenz des Jahres 308, während der Carnuntum für kurze Zeit in der Weltpolitik mitwirkte und der wir das sogenannte Heidentor von Carnuntum verdanken, hatte Rom, die Machtverhältnisse klärend, die politischen Bedingungen geschaffen.
Das beginnende 4. Jahrhundert wurde zum letzten der römischen Herrschaft im heutigen Österreich. Mit dem Jahr 400 setzt die Geschichtsschreibung den Beginn der Völkerwanderung an, die ja nicht schlagartig eingesetzt hat, sondern schon vorher begonnen hatte. Nun folgte Fremdherrschaft auf Fremdherrschaft. Wer damals meinte, Vindobona muss Vindobona bleiben, wurde nachhaltig enttäuscht. Die Hunnen, die Goten, die Langobarden, die Awaren kamen als Eroberer. Westrom sank im Jahr 476 ins Grab der Geschichte, bald danach war auch auf österreichischem Boden eine lange und über viele Jahre glückliche Epoche endgültig zu Ende. Odoaker, seit 476 »König von Italien«, ein neuer Titel, entsandte seinen Bruder Hunulf in die Provinzen Noricum und Pannonien. Die letzten romanischen Bewohner wurden in den Süden übersiedelt.
Zu Beginn des 5. Jahrhunderts schon war das alte Vindobona einer gewaltigen Feuersbrunst zum Opfer gefallen. Was noch bewohnbar war, wurde weiter bewohnt. Der Plan des frühmittelalterlichen Wien zeigt, dass die römischen Straßenzüge sich noch lange, zum Teil bis heute, erhalten haben. Die römische Mauer und selbst ihre Tore wurden 1156 Teil der Stadtmauer und blieben bis um 1200 bestehen.
Nach dem Fall Roms dürfte Vindobona zu einem großen slawischen Reich unter einem gewissen Samo gehört haben. Doch darüber haben wir keine schriftlichen Nachrichten. Diese Jahrhunderte haben der Geschichtsschreibung immer wieder Rätsel aufgegeben.
Das künftige Wien taucht im späten 8. Jahrhundert aus dem Dunkel wieder auf. Karl der Große könnte zwischen 791 und 796 in Wien gewesen sein. Die Peterskirche zeigt ihn in barocker Darstellung – ihr heutiges Erscheinungsbild täuscht darüber hinweg, dass es sich hier um das älteste Gotteshaus, die erste Pfarre Wiens, handelt. Sie wurde im späten 4. Jahrhundert, also zu Beginn der Christianisierung unseres Raums, errichtet – in den Mauern einer ehemaligen Kaserne.
Und dann kamen die Ungarn. 907 vernichteten sie bei Pressburg ein bayrisches Heer, zu den Gefallenen gehörte auch der Markgraf Luitpold. In zwei weiteren Schlachten blieben sie ebenfalls siegreich. Der Osten blieb bis zur Schlacht am Lechfeld 955, in der Nähe von Augsburg, magyarisch. Die geschlagene Armee, ja das gesamte Nomadenvolk, brach den langen Kriegszug durch Europa ab und wurde in der pannonischen Ebene sesshaft. Damit begann auch für Wien eine neue Zeit, von der man noch nicht ahnen konnte, dass sie zur Epoche werden sollte. 976 wurde die Markgrafschaft Ostarrichi geschaffen und den Babenbergern übergeben, auf ihrem Areal lag Wien.
Aber vom Hauptstadt-Status war das jahrhundertelang ärmer und ärmer gewordene einstige Vindobona noch weit entfernt. Im 10. Jahrhundert begann die Wiederbesiedlung. Die ältesten Beweise finden sich rund um die Ruprechtskirche. Von der noch älteren Peterskirche ist nichts erhalten.
Wien wird Hauptstadt
Die Babenberger verlegten ihre Residenz mehrmals, fast immer entlang der Donau, Gars am Kamp war eine Ausnahme. Es war vorausschauend, dass sie noch nicht in Wien residierten. Denn 1030 waren die Ungarn schon wieder da. Sie hatten einen Grenzstreit mit Bayern und Kaiser Konrad II. im Kampf entschieden, waren in der Schlacht erfolgreich – und zogen in Wien ein. Das Reich gab nach, Konrads Sohn Heinrich überließ den Ungarn das Gebiet zwischen Leitha und Fischa und die Magyaren ritten nach Hause, ab 1031 gehörte das noch kleine Wien wieder den Wienern.
Über Pöchlarn und danach Melk und Tulln kamen die Babenberger endlich nach Neuburg, heute Klosterneuburg. Bald bezogen sie auf dem Leopoldsberg Quartier, doch die letzten wenigen Kilometer bis Wien legten sie erst 1145 zurück, als Markgraf Heinrich II. regierte. Er wurde 1156 in den Herzogsrang erhoben, mit dem Privilegium minus dieses Jahres war Ostarrichi ein selbstständiges, nicht mehr von Bayern abhängiges Herzogtum.
Zu dieser Zeit konnte man in der jungen Residenzstadt immer noch Reste römischer Bauwerke nicht nur sehen, sondern auch bewohnen. Die Babenberger wählten alte römische Mauern für ihre Residenz, und was seit Jahrhunderten Am Hof heißt, war tatsächlich Am Hof. Der Herzog bewohnte einen mächtigen Bau, an dessen Stelle mehrere Nachfolgebauten von Bedeutung stehen: An der Ecke zur Bognergasse die Bank Austria, heute ein feudales Hotel, anschließend die Kirche zu den neun Chören der Engel und danach noch, durch einen Bogen verbunden, das Palais Collalto.
Alle diese Gebäude verdienten eine ausführliche Betrachtung – doch bleiben wir bei Heinrich II. mit dem Beinamen Jasomirgott. Der wird gedeutet als »So wahr mir Gott helfe …« An Gottesvertrauen dürfte es dem Herzog nicht gemangelt haben – kaum hatte er sich entschlossen, das väterliche Haus in Klosterneuburg zu verlassen und in das bescheidene Wien zu ziehen, berief er eine Mönchsschar in seine neue Residenz. In Regensburg hatte Heinrich in seinen Jahren als Herzog von Bayern die irischen Benediktiner der Abtei St. Jakob kennengelernt, nun berief er sie nach Wien. Man nannte sie Schotten, obgleich sie ja Iren waren. Das kam nicht aus dem Volksmund, der vielleicht von Geografie wenig wusste, es war ihre offizielle Bezeichnung. Das neu gegründete Kloster an der heutigen Freyung hieß und heißt mit vollem Namen »Benediktinerabtei Unserer lieben Frau zu den Schotten«. Der Herzog selbst nannte sie in seiner Stiftungsurkunde so, als er ihnen zusicherte, keinen anderen Orden zu berufen – »solos eligimus scottos«.
Diese Bestimmung hielten auch die Nachfolger der Babenberger, die Habsburger, bis zum Jahr 1418 aufrecht. Damals bemühten sich die Melker Benediktiner um eine Erneuerung, um der aufstrebenden Reformation zuvorzukommen. In Wien hatte die sogenannte Melker Reform ein weites Betätigungsfeld. Die Disziplin hatte nachgelassen, der Nachwuchs blieb aus. 1418 verließen die letzten sechs Mönche Wien und zogen zurück in ihr Kloster in Regensburg. Albrecht V. holte Benediktiner aus deutschen Abteien nach Wien, aber der Name blieb auch den Neulingen.
Die ersten Schotten erschienen 1155 in Wien und begannen auf der Stelle mit dem Klosterbau auf dem weiten Areal, das Heinrich Jasomirgott ihnen geschenkt hatte, knapp vor den teilweise noch römischen Mauern. 1200 wurde die Kirche geweiht.
Freilich stand hinter der Klostergründung der geistliche Gedanke, doch die Mönche kamen nicht nur als Priester. Sie brachten ihr geballtes Wissen mit, konnten lesen und schreiben und gaben dies weiter. Denn sie wirkten auch als Ärzte und Apotheker, bauten ein Spital. Sie waren kompetent im Bauwesen, in der Landwirtschaft, verfügten über Kenntnisse und Erfahrung in der Verwaltung. So war die Berufung der Schotten eine weitblickende Entscheidung gewesen.
Mit Kaiser Friedrich I., Barbarossa genannt, war Heinrich Jasomirgott verwandt. Darüber hinaus war er mit ihm durch ein frühes gemeinsames Abenteuer verbunden, das sie beide glücklich