Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman. Marie Francoise. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Francoise
Издательство: Bookwire
Серия: Dr. Daniel Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740951320
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Hannelore ihn an. »Und? Brachte sie ein gesundes Kind zur Welt?«

      »Ja, weil sie glücklicherweise im letzten Moment noch zu mir gekommen ist. Ihre Plazenta hatte sich vorzeitig gelöst, und wir mußten umgehend in die Klinik meines Freundes nach München fahren, denn damals gab es die WaldseeKlinik noch nicht. Ein schnellstens durchgeführter Kaiserschnitt hat sie und ihr Baby gerettet.«

      Hannelore biß sich auf die Unterlippe. »Seien Sie ehrlich, Herr Doktor. Wäre mein Kind noch am Leben, wenn ich zum Arzt gegangen wäre?«

      »Ich weiß es nicht«, räumte Dr. Daniel ein. »Für den sogenannten intrauterinen Fruchttod gibt es eine Vielzahl von Ursachen, darunter einige, die auch der beste Arzt nicht verhindern kann. Dazu kommt, daß Sie erst in der achtzehnten Schwangerschaftswoche waren, was bedeutet, daß Ihr Baby außerhalb des Mutterleibs auch dann nicht hätte überleben können, wenn wir noch rechtzeitig hätten eingreifen können, beispielsweise bei einer vorzeitigen Plazentalösung.« Sehr sanft drückte er Hannelores Hand. »Machen Sie sich wegen dieser nicht stattgefundenen Arztbesuche keine Gedanken mehr. Die Wahrscheinlichkeit, daß irgendein Arzt den Tod Ihres Babys hätte verhindern können, ist in meinen Augen sehr gering, wenn sie auch nicht völlig auszuschließen ist. Aber Sie machen sich verrückt, wenn Sie nur darüber nachdenken, was hätte sein können.«

      Hannelore schluckte, dann gestand sie leise: »Zum ersten Mal kann ich meine Stiefmutter verstehen. Sie sind wirklich ein toller Arzt.«

      Dr. Daniel lächelte. »Danke für das Kompliment.« Er zögerte, weil er zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich kein Gespräch über Lena und ihr Verhältnis zu Hannelore beginnen wollte, doch die Bemerkung der jungen Frau verführte ja beinahe dazu, dieses Thema zu ergreifen. Dr. Daniel beschloß also, zumindest einen Ansatz zu versuchen und das Gespräch unverzüglich abzubrechen, falls sich bei Hannelore Erschöpfung oder Müdigkeit zeigen würden.

      »Ihre Stiefmutter arbeitet seit ungefähr zwanzig Jahren für mich«, begann Dr. Daniel, »abgesehen von einer fünfjährigen Pause, in der ich Steinhausen den Rücken gekehrt habe und nach München gegangen bin, aber das hatte rein private Gründe. Während dieser ganzen Zeit wußte ich nicht, daß es Sie und Ihre Stiefschwester überhaupt gab. Ich wußte nicht einmal etwas von Ihrem Vater.«

      »Noch vor ein paar Stunden hätte ich Ihnen das nicht geglaubt, doch jetzt… ich bin sicher, daß Sie die Wahrheit sagen, auch wenn ich nicht begreifen kann, weshalb meine Stiefmutter ein solches Geheimnis um ihre Familie gemacht hat.« Sie wich Dr. Daniels Blick aus. »Dabei könnte ich noch verstehen, daß sie meine Existenz verschwiegen hat. Aber Uschi… sie ist doch ihre leibliche Tochter.«

      »Ihre Stiefmutter wollte Beruf und Privatleben stets strikt trennen – das hat sie mir heute gesagt«, entgegnete Dr. Daniel, dann griff er nach Hannelores Hand und hielt sie fest. »Warum sind Sie so überzeugt davon, daß Ihre Stiefmutter Sie nicht mag? In all den Jahren habe ich Frau Kaufmann als eine sehr warmherzige Person kennengelernt.«

      »Das kann schon sein«, räumte Hannelore ein. »Ich streite auch gar nicht ab, daß sie mich anfangs vielleicht sogar gemocht hat, aber als Uschi geboren wurde… es ist doch ganz natürlich, daß sie ihre leibliche Tochter lieber mag als mich.«

      »Ich habe von meiner ersten Frau zwei leibliche Kinder«, erklärte Dr. Daniel. »Mein Sohn Stefan macht in München gerade seinen Facharzt, und meine Tochter Karina arbeitet als Assistenzärztin in der ThierschKlinik. Darüber hinaus haben meine zweite Frau und ich vor einem Jahr ein kleines Mädchen adoptiert – Tessa. Sie ist jetzt sechs und unser ganz besonderer Sonnenschein.«

      Hannelore nickte. »Ihr Sohn und Ihre Tochter sind erwachsen, die Kleine noch ein Kind. Da ist es ganz normal, daß Sie sie liebhaben. Aber was glauben Sie, was passieren würde, wenn Sie und Ihre jetzige Frau ein leibliches Kind bekommen würden?« Sie ließ Dr. Daniel gar nicht erst antworten, sondern fügte leise hinzu: »Tun Sie das Ihrer Tessa niemals an.«

      Übergangslos schlief Hannelore nach diesen Worten ein. Nachdenklich blieb Dr. Daniel an ihrem Bett sitzen und dachte ernsthaft darüber nach, wie er empfinden würde, wenn Manon von ihm ein Baby bekommen würde. Im Grunde war es Utopie, an so etwas überhaupt noch zu denken. Immerhin war er Anfang Fünfzig und Manon auch schon über vierzig. Trotzdem wäre es ja nicht unmöglich für sie, noch ein eigenes Kind zu haben. Vielleicht würden sie dann, ohne es zu wollen, Tessa tatsächlich ein wenig vernachlässigen?

      Dabei kam Dr. Daniel der Gedanke, daß im Fall von Hannelore und Lena beide Frauen in gewisser Weise recht hatten. Er war sicher, daß Lena ihrer Stieftochter niemals hatte wehtun wollen, und wenn sie Uschi ihrer Stieftochter vorgezogen hatte, dann war das sicher nicht absichtlich geschehen. Andererseits lag Hannelore mit ihren Empfindungen möglicherweise nicht ganz falsch, und Lena hatte sie im Vergleich mit Uschi wirklich ein wenig vernachlässigt.

      *

      Harald Jung hatte seine Drohung wahrgemacht und durchgesetzt, daß der tote Fetus von einem unabhängigen Arzt untersucht wurde. Allerdings gab das Ergebnis dieser Untersuchung Dr. Daniel und Dr. Scheibler in vollem Umfang recht. Bereits fünfzehn Tage vor dem Eingriff durch Dr. Daniel war der Fetus im Mutterleib abgestorben.

      Das rasche Handeln der Ärzte aus der WaldseeKlinik bewahrte die werdende Mutter vor dem sicheren Tod, führte der Arzt zum Ende seines Gutachtens noch aus.

      »Da hatten Sie aber Glück«, knurrte Harald Jung unwillig, als er das Gutachten gelesen hatte.

      »Nein, Herr Jung, mit Glück hatte das wenig zu tun«, widersprach Dr. Daniel ernst. »Dieses Gutachten beweist, daß an der WaldseeKlinik keine Stümper, sondern qualifizierte Ärzte arbeiten.«

      Harald zuckte die Schultern. »Wie auch immer. Sobald Sie meine Frau endlich aus der Intensivstation entlassen, werde ich sie unverzüglich in ein anderes Krankenhaus bringen.«

      »Und warum?« hakte Dr. Daniel nach. »Hat Ihre Frau Ihnen gegenüber erwähnt, daß sie sich hier nicht gut versorgt fühlt?«

      »Das hat damit überhaupt nichts zu tun«, entgegnete Harald von oben herab. »Ich will nicht, daß meine Frau mehr Zeit als unbedingt nötig mit ihrer Stiefmutter verbringen muß. Und auch Ihre Anwesenheit stört mich. Sie stecken mit meiner Schwiegermutter doch unter einer Decke.«

      »Hier steckt niemand mit irgend jemandem unter einer Decke«, stellte Dr. Daniel klar. »Im übrigen bin ich der Meinung, daß Sie den Unfrieden zwischen Ihrer Frau und deren Stiefmutter nicht noch zusätzlich anfachen sollten. Es wäre doch allen gedient, wenn man versuchen würde, einigermaßen…«

      »Das geht Sie überhaupt nichts an«, fiel Harald ihm energisch ins Wort.

      »Das ist nur bedingt richtig«, entgegnete Dr. Daniel mit unerschütterlicher Ruhe. »Ihre Frau ist zur Zeit meine Patientin, und Ihre Schwiegermutter ist meine Angestellte. Daher geht mich diese unerfreuliche Familiensituation sehr wohl etwas an. Immerhin muß ich dafür sorgen, daß Ihre Frau wieder gesund wird, und da sie durch die Fehlgeburt vor allem seelisch sehr angeschlagen ist, wäre ein harmonisches Umfeld außerordentlich wichtig. Darüber hinaus trage ich die Sorge für meine Angestellte, die unter derart ungünstigen Bedingungen nicht so zuverlässig arbeiten kann, wie es aufgrund ihrer Stellung hier wohl nötig wäre.«

      Angewidert schaute Harald den Arzt an. »Sie verstehen es ja ausgezeichnet, alles so hinzudrehen, daß Sie sich kräftig einmischen können.«

      Sehr ernst erwiderte Dr. Daniel seinen Blick. »Sie haben es vielleicht noch nicht begriffen, aber ich will mich nicht einfach einmischen, wie Sie es bezeichnen, sondern ich versuche zu helfen. Das ist ein sehr großer Unterschied.« Er schwieg kurz. »Im übrigen wäre meine Mithilfe vielleicht gar nicht nötig, wenn die Familienmitglieder nur untereinander versuchen würden, wenigstens einigermaßen friedlich und harmonisch miteinander zu leben.«

      Harald zuckte bei Dr. Daniels Worten zusammen wie unter einem Schlag – für den Arzt ein untrügliches Zeichen, daß der junge Mann an den unerfreulichen Zuständen nicht ganz unschuldig war.

      Mit einem Ruck drehte sich Harald um, ließ Dr. Daniel einfach stehen und betrat die Intensivstation.

      »Hanni,