„Wer ist der Fahrer der Leather Factory Company?“, fragte ich.
„Ein älterer Bursche, der sich John nennt. Ganz umgänglich soweit.“
„Kommt er oft her?“
„Nein, höchstens einmal im Jahr.“
„Ist seine Firma in der Nähe?“
„Das weiß ich nicht.“
„Darf ich mal einen Blick in Ihren Computer werfen?“, fragte ich.
„Bitte“, sagte er und nickte mit dem Kopf in Richtung Schreibtisch. Die Tastatur sah nicht viel besser aus als das Kundenjournal. Ich googelte und entdeckte, dass es in New York gar keine Firma dieses Namens gab.
„Wie kommen Sie auf Leather Factory Company?“, fragte ich Parker. „Die Firma steht nicht im Internet.“
„Tatsächlich?“, fragte er. „Aber der Name stand doch an der Tür des Lastwagens...“
„Was war das für ein Wagen?“, fragte ich.
„Ein Ford, Anderthalb-Tonner, Baujahr 2002“, sagte Parker. „Noch gut in Schuss.“
„Farbe?“
„Knallrot.“
„Sie haben sich nicht zufällig die Nummer gemerkt?“
Parker schüttelte den Kopf. „Nein. Da hätte ich viel zu tun! Sie meinen, dieser John könnte es gewesen sein?“
Ich ignorierte die Frage und erkundigte mich:„Was hatte er geladen?“
„Flaschen“, erinnerte sich Parker. „Ich wunderte mich darüber und fragte ihn, was eine Lederfabrik denn damit anstelle, und er meinte, dass die Lieferung für die Betriebskantine bestimmt sei.“
Ich gab eine präzise Beschreibung von Johnny Tiggers und schloss: „Sah der Fahrer so aus?“
Parkers Augen hatten sich geweitet.
„Ja, genau so!“, sagte er. „Woher kennen Sie ihn?“
„Ich kenne ihn, aber nicht gut genug. Er wohnt hier in Brooklyn“, sagte ich. „Oder besser: wohnte. Seit heute Nacht ist er verschwunden.“
„Soll das heißen, dass er ein Gangster ist und gar nicht für diese Leather Factory Company arbeitet?“, fragte Parker. Er war ganz atemlos.
„Vielleicht ja, vielleicht nein“, meinte ich ausweichend. „Seit wann ist er Ihr Kunde?“
„Lassen Sie mich nachdenken“, murmelte Parker und legte einen schmutzigen Finger an die Lippen. „Wenn ich mich recht erinnere, kreuzte er vor zwei Jahren zum ersten Mal hier auf.“
„Mit dem gleichen Wagen?“
„Ja.“
„War er stets allein?“
„Ja“
„Haben Sie ihn allein oder in Begleitung anderenorts schon einmal gesehen?“
„Nein.“
„Hat er mit einem Scheck oder bar bezahlt?“
„Bar.“
„Danke, Mr. Parker.“ Rayn und ich klemmten uns in meinem Sportwagen und rollten von Parkers Vorplatz. Ich dachte daran, dass es für Kinder eine Wonne sein müsste, hier spielen zu dürfen, dann konzentrierte ich meine Gedanken wieder auf die Arbeit.
„Ich habe in der Zentrale nachgefragt, was man dort von Johnny Tiggers und seiner angeblichen Nichte weiß“, sagte Rayn.
„Und?“, fragte ich.
„Die beiden Namen sind nicht registriert. Tiggers und das Mädchen sind entweder noch nicht vorbestraft, oder sie haben sich Decknamen zugelegt.“
„Das macht es für uns nicht leichter. Hast du etwas wegen Tom unternommen?“
„Selbstverständlich“, sagte Rayn. „Im Moment stellt man für uns eine Liste der Leute zusammen, deren Vornamen Tom lautet und die in der elektronischen Zentraldatenbank erfasst sind.“
„Ein paar hundert werden wohl dabei herauskommen“, sagte ich.
„Haben wir nicht einen herrlichen Job?“, fragte Rayn.
16
Wir fuhren in die Pilgrims Lane. Das Lokal im Erdgeschoss war geschlossen. Auf unser Klingeln an Tiggers Wohnungstür in der ersten Etage öffnete niemand. Das überraschte uns nicht. Wir stiegen eine Etage höher und trafen einen älteren Mann, der, mit einer Einkaufstasche in der Hand, vorsichtig auf die Treppe zuging.
„Wohnen Sie hier?“, fragte ich ihn.
Er blickte mich an. Er hatte ein hageres, misstrauisches Vogelgesicht, verschlossen, aber nicht unintelligent.
„Ja.“
Ich zeigte ihm meinen Ausweis. „Dürfen wir Sie ein paar Minuten lang sprechen?“
Er nickte und schlurfte zurück in seine Wohnung. Ich orientierte mich auf dem an der Tür befestigten Namensschild, dass er Henrik Muggle hieß.
Wir nahmen in Muggles Wohnzimmer Platz. Es war dem Verkaufsraum eines Altwarenhändlers täuschend ähnlich. Muggle war es in früheren Jahrzehnten anscheinend mal besser gegangen, später war er gezwungen worden, sich eine kleine Wohnung zu nehmen. Er hatte sich jedoch von keinem Stück der alten, liebgewordenen Einrichtung trennen können. Für Leute, die den Jugendstil schätzen, war Mr. Muggles jetzige Bleibe eine wahre Fundgrube.
„Sie haben vermutlich gehört, was gestern hier vorgefallen ist?“, fragte Rayn.
Mr. Muggle saß sehr gerade auf seinem Stuhl. Er rückte seine randlose Brille zurecht und meinte: „Ach, wissen Sie, ich kümmere mich nicht um das Geschwätz der Leute. In dieser Gegend nimmt jeder von seinem Nachbarn gleich das Schlimmste an.“
„Sie haben keinerlei Kontakt mit den übrigen Hausbewohnern?“, fragte Rayn.
„Ich bin mit keinem verzankt, aber es gibt auch niemand, den ich besonders schätze.“
„Haben Sie gestern Abend ein oder zwei Schüsse gehört?“
„Ja. Zwei. Einer fiel im Hause, und ein zweiter kurz darauf in der Pilgrims Lane.“
„Was haben Sie daraufhin getan?“
„Nichts“, sagte Mr. Muggle. „Was hätte ich denn tun sollen? Unten im Lokal waren Gäste. Junge Gäste. Die hätten sich darum kümmern können! Ich bin zu alt, um noch den Helden zu spielen.“
„Seit wann wohnen Sie hier?“
„Seit einem Jahr.“
„Gab es während dieser Zeit irgendwann einmal Reibereien mit dem Hauswirt, Mr. Tiggers?“
„Nein.“
„Mr.