19
Ich kniete neben Miss Ronda nieder und sah, dass sie nicht verletzt worden war. Offensichtlich hatte sie nur einen Schock erlitten. Sie hatte in der Küche einen Fremden gesehen, der Mann hatte sie umgestoßen und war geflüchtet.
Ich jagte hinter ihm her.
Er stand am Lift, mit hochrotem Kopf, unter dem Arm ein ziemlich großes, anscheinend nicht leichtes Paket. Er starrte mir entgegen, mit halboffenem Mund und hässlichen, hasserfüllten Zügen. Ich kannte ihn. Es war mein alter Freund, der Boxer-Dandy.
In diesem Moment schaffte er es, in den Lift zu schlüpfen. Ich kam gerade noch rechtzeitig, um die Tür aufzureißen. Im nächsten Augenblick standen wir uns gegenüber. Hinter mir fiel die Tür zu. Der Lift begann nach unten zu surren.
„Tag, Freundchen“, sagte ich. „Die Welt ist klein, nicht wahr?“
Er hielt das Paket fest umschlossen. Es war mit braunem Papier verpackt und ziemlich fest verschnürt. Er brauchte beide Arme, um das Paket zu halten.
„Was ist da drin?“, erkundigte ich mich freundlich.
„Was geht Sie das an?“
„Eine Menge, und das wissen Sie ganz genau!“
„Das Paket gehört uns, Tom hat mich beauftragt, es zu holen“, sagte er.
„Seit wann können Tote reden?“
Er blinzelte. „Der Teufel soll Sie holen!“, keuchte er.
Der Lift stand. Ich öffnete die Tür.
„Wir werden ein paar Häuserblocks weit gehen müssen, ich habe meinen Wagen in der Fulton Street abgestellt“, sagte ich zu ihm. „Ich hoffe doch, das Paket wird Ihnen nicht zu schwer sein?“ Ich öffnete die Lifttür. Wir betraten die Halle. Der Boxer keuchte noch immer, als sei er gezwungen, einen Felsblock zu tragen. Die Blicke seiner kleinen, tückischen Augen hasteten ziellos hin und her. Er schien einfach nicht zu wissen, wie es weitergehen sollte.
„Versuchen Sie keine Mätzchen, mein Lieber“, warnte ich ihn. „Meine Geduld ist schon hinreichend strapaziert worden. Ist das klar?“
Er gab keine Antwort. Er blieb einfach stehen und nagte an seiner dicken Unterlippe herum. Er sah nicht so aus, als ob Intelligenztests seine Stärke wären. Ich bemerkte, dass sich seine Blicke immer häufiger auf den Ausweg richteten.
„Sie sind nicht allein gekommen, nicht wahr?“, fragte ich ihn.
Er starrte mich an. „Allein?“, stotterte er. Er war richtig durcheinander.
„Draußen wartet Ihr Komplize im Wagen, stimmt das?“, sagte ich geduldig. Mir wurde klar, dass es keinen Sinn hatte, irgendwelche Risiken einzugehen.
„Kommen Sie mit“, sagte ich. Ich musste ihm einen Stoß geben, ehe er sich in Bewegung setzte. Ich dirigierte ihn zum Tisch des Portiers, der uns bereits einige Zeit ziemlich fassungslos beobachtete. Der Boxer-Dandy setzte das schwere Paket auf dem Schreibtisch ab. Auf der Stirn des Mannes standen Schweißperlen.
Ich holte meinen Ausweis hervor und zeigte ihn dem Portier.
„Rufen Sie die Polizei an“, bat ich. „Das nächste Revier soll schnellstens einen Streifenwagen vorbeischicken.“
Er nickte und griff nach dem Hörer. In diesem Moment glitt die Hand des Boxers ins Jackett. Ich packte rechtzeitig zu. Als er die Hand zurückzog, hatte ich sie gut im Griff. Er umspannte mit den Fingern eine 45er Pistole. Ein Judotrick genügte, um die Waffe zu Boden poltern zu lassen. Ich erreichte sie mit dem Fuß und kickte sie aus der Gefahrenzone.
Der Portier fuhr mit zitternden Händen fort, die Verbindung zur Polizei herzustellen. Er schnappte dabei mit den Lippen wie ein Fisch, der unversehens aufs Trockene geraten ist.
Mein Gegner hatte sich gefangen. Er besann sich auf seine Boxkünste und legte los. Da er inzwischen wusste, was ich konnte, stellte er seine Taktik darauf ein und vermied es, mit einem überhasteten Angriff sein Pulver zu verschießen. Er hielt die Deckung geschlossen und wartete auf eine gute Gelegenheit, mit einem Kerntreffer durchzukommen. Natürlich wusste er, dass ihm nicht viel Zeit blieb.
„Überfallkommando, bitte!“, hörte ich den Portier japsen.
„Wie bitte? Ja, die Adresse“ Er sprach weiter, während ich eine Links-Rechts-Dublette ins Ziel brachte. Zwei mit Taschen beladene alte Damen kamen in die Halle. Die eine stieß einen Schrei aus und ließ alle Taschen fallen, als sie uns sah, die andere blieb nur stehen und schaute fasziniert zu.
Der Boxer-Dandy und ich nahmen diese Randerscheinung kaum wahr. Wir hatten mehr als genug mit uns zu tun. Ich fightete ohne großen Drive, gewissermaßen mit hinhaltender Technik. Es kam mir nur darauf an, den Burschen diesmal festzuhalten, koste es was es wolle.
Der Portier hatte den Anruf beendet. „Der Wagen wird gleich hier sein“, meldete er.
Die Worte brachten Bewegung in den Boxer, ihm wurde bewusst, dass er erneut alles auf eine Karte setzen musste, wenn er nicht erleben wollte, dass dieses Abenteuer mit seiner Verhaftung abgeschlossen wurde.
Er verdoppelte das Tempo und die Wucht seiner Schläge. Natürlich musste er dabei die Defensivtaktik aufgeben und die Deckung etwas vernachlässigen. Das war mir nur recht. Ich ging mit, ich legte sogar noch etwas Mut zu. Das Ende kam sehr rasch. Ich erwischte ihn voll auf den Punkt und er fiel um wie vom Blitz getroffen. Jetzt schrien die beiden alten Damen im Chor. Der Portier ging auf sie zu, um ein paar beruhigende und aufklärende Worte zu sagen. Ich bückte mich und klopfte den bewusstlosen Schläger nach Papieren ab. Er hatte eine Brieftasche bei sich, aber sie enthielt nur zweihundert Dollar in Scheinen und einige Briefmarken. Ich steckte die Brieftasche an ihren Platz zurück und kümmerte mich um die Pistole. Ich brauchte nur an der Mündung zu schnuppern, um zu wissen, dass das Ding erst kürzlich benutzt worden war. Eine 45er, das sagte mir genug. Greenland war mit einer Waffe dieses Kalibers erschossen worden. Der Boxer-Dandy sah genau so aus, als sei er auf derlei Arbeiten spezialisiert.
„Können Sie mit einem solchen Ding umgehen?“, fragte ich den Portier.
Er nickte unsicher. „Gewiss. Aber gern fasse ich so etwas nicht an!“
Ich überlegte. Die Waffe enthielt sicherlich die Fingerabdrücke des Boxers. Wenn es die Mordwaffe war, durften die Abdrücke unter keinen Umständen verwischt werden. Andererseits drängte es mich danach, auf der Straße nach dem Komplizen des Schlägers Umschau zu halten. Ich konnte mich aber nicht entfernen, ohne den Boxer in sicherem Gewahrsam zu wissen.
„Ich habe selbst eine Waffe, mit Lizenz natürlich!“, vertraute mir der Portier an. „Hier im Schreibtisch. Unter Verschluss, ganz klar! Wenn man für so viele Menschen und Wohnungen verantwortlich, ist, wissen Sie...“
„Schon gut“, unterbrach ich ihn. „Nehmen Sie die Kanone heraus, und sorgen Sie dafür, dass dieser Bursche unter keinen Umständen von hier wegkommt! Trauen Sie sich das zu?“
Der Portier sah skeptisch aus. „Er ist ziemlich rabiat, nicht wahr?“
„Er weiß, dass er verloren hat, und der Anblick einer geladenen Pistole wird ihn zur Räson bringen.“
Der Portier öffnete eine Schublade. Ich merkte, dass er sich straffte und auf die gestellte Aufgabe konzentrierte. „Sie können sich auf mich verlassen!“
„Machen Sie ruhig von