Sie war ganz in Schwarz gekleidet und machte einen ruhigen, gefassten Eindruck. Wir nahmen im Wohnzimmer Platz. Ich machte ihr klar, in welche Richtung unsere Gedanken zielten und fragte: „Existiert in der Bekanntschaft Ihres Mannes irgendjemand, der sich durch besonders kleine Füße auszeichnet?“
Sie dachte kurz nach. „Ich muss Ihnen gestehen, dass ich bei keinem Menschen auf die Größe der Füße achte“, sagte sie schließlich.
„Sicher“, nickte ich, „das sind Dinge, die man normalerweise nicht ins Auge fasst, die einem aber sofort auffallen, wenn sie ins Extreme gehen.“
„Ich kann mich nicht erinnern“, sagte sie.
„Nannte ihr Mann mal den Namen Babyfeet?“
Sie starrte mich an. „Wie kommen Sie darauf?“
„Ehe er starb, äußerte er dieses Wort“
Die Frau presste die schmalen Lippen fest zusammen. Sie blickte an mir vorbei.
„Ich höre das Wort zum ersten Mal“, sagte sie mit gepresst klingender Stimme. Ich hatte das Gefühl, dass sie log, und sagte es ihr auf den Kopf zu.
Sie atmete schwer. „Und wenn ich tatsächlich die Unwahrheit sage, was ist schon dabei?“, fragte sie. „Ich habe keine Lust, wie mein Mann zu enden!“
„Das ist etwas anderes. Sie fürchten sich also vor dem Mörder, so, wie Ihr Mann sich fürchtete?“
Die Frau schwieg. Sie starrte noch immer an mir vorbei ins Leere.
„Es gibt nur einen Weg, diese Furcht zu töten“, sagte ich. „Sie müssen uns helfen, den Mörder zu finden!“
„Ich weiß nichts von ihm.“
„Immerhin ist Ihnen bekannt, wer Babyfeet ist.“
„Mein Mann redete nicht gern darüber. Sie wissen, dass er ein guter und braver Beamter war. Er schämte sich, in seiner Jugend einen Mann gekannt zu haben, der später im ganzen Lande als Bankräuber gesucht wurde.“
„Sie meinen Babyfeet Miller?“
„Ja, ich spreche von George Miller“, murmelte sie und senkte den Kopf.
„Zur Zeit des Überfalls war Miller nicht auf freiem Fuß“, sagte ich. „Er sitzt noch immer in St. Quentin.“
„So? Dann hat sich dieser Punkt von selbst erledigt.“
„Wo hat ihr Mann Miller kennengelernt?“
„Sie besuchten das gleiche College. Miller ging früher ab, das heißt, er wurde gezwungen, die Schule vorzeitig zu verlassen. Ich glaube, da war irgendeine dunkle Geschichte, die mit der Frau eines Lehrers begonnen hatte. Es gab einen deftigen Skandal, und Miller wurde relegiert.“
„Blieb er mit Ihrem Mann in Verbindung?“
„Damals waren wir noch nicht verheiratet.“
„Ich weiß, aber Ihr Mann hat Ihnen doch sicherlich alles Wichtige aus seiner Vergangenheit erzählt?“
„In dieser Hinsicht bin ich nicht ganz sicher“, meinte sie seufzend. „Ich weiß nur, dass die beiden Männer sich in den letzten Jahren völlig aus den Augen verloren hatten. Das war nur natürlich. Sie hatten völlig entgegengesetzte Interessen. Der eine war ehrlich und fleißig, ein Mann, der als Bankkassierer arbeitet, und der andere war ein skrupelloser Verbrecher, der Banken beraubt.“
„Vielen Dank, Mrs. Turner. Sie haben mir sehr geholfen.“
Ich fuhr zur Dienststelle.
„Wir wissen, woher das Messer stammt!“, informierte mich Rayn triumphierend, als ich das Office betrat.
„Das Messer, mit dem Turner getötet wurde?“
„Ganz recht“, sagte Rayn. „Du weißt, dass eine Aufnahme des Messers in allen Morgenzeitungen erschienen ist. Vorhin erhielt ich den Anruf eines Mannes, der ganz sicher ist, dass es sich dabei um das Messer handelt, das vor drei oder vier Tagen bei ihm gestohlen wurde.“
„Wie heißt der Mann?“
„Ernest Parker.“
„Hast du seine Adresse?“
„Natürlich, er hat vor fünf Minuten angerufen. Wollen wir hinfahren?“
„Auf geht’s“, sagte ich.
Ernest Parker wohnte in Brooklyn, in einer kleinen Straße unweit der Docks. Er betrieb dort eine Vulkanisierwerkstatt. Als er uns empfing, sah er aus, als hätte er gerade das Innere einer Reifenpresse saubergemacht. In seinem verschmutzten Gesicht waren nur die Augen klar und hell. Auf dem Werkstatthof sah es ziemlich wüst aus. Alte Reifen stapelten sich zu biegsamen Pyramiden; dazwischen lagen Autoersatzteile und ausrangierte Werkzeuge herum.
„Es ist mein Messer, da gibt es gar keinen Zweifel“, meinte Parker. Es war, so wie er im Moment aussah, nicht leicht, sein Alter zu bestimmen, aber die Vierzig hatte er sicherlich schon überschritten. Er trug eine schmutzige Kappe auf dem Kopf. Hinter dem Ohr steckte eine Zigarette. „Dort lag es immer, auf der Betonfläche“, fuhr er fort und wies auf den Platz vor der Einfahrt „Da parken stets die Kundenfahrzeuge. Das Messer habe ich dazu benutzt, um die Reifenprofile zu säubern. Ich habe den Dreck herausgekratzt, um zu sehen, ob die Reifen noch etwas taugen.“
„Können Sie uns genau sagen, an welchem Tag es verschwunden ist?“, fragte Rayn.
Er nahm die Zigarette vom Ohr und schob sie sich zwischen die Lippen, steckte sie an und inhalierte tief. „Ich entdeckte den Verlust am Dienstagmorgen, am Dienstag voriger Woche. Das Ding ist nichts wert, nicht mal fünf Penny, aber Sie wissen, wie es mit Werkzeug geht, an das man sich gewöhnt hat. Man ersetzt es ungern durch ein anderes.“
„Am Dienstagmorgen“, meinte Rayn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie können uns doch gewiss sagen, wer an diesem Tag bei Ihnen war?“
„Da brauche ich nur in mein Kundenbuch zu sehen“, sagte Parker. „Kommen Sie mit in mein Büro.“
Das Büro entpuppte sich als ein Verschlag innerhalb der Werkstatt, dessen Gesamtcharakter mit der Unordnung auf dem Vorplatz mühelos Schritt halten konnte. Parker schob einige Papiere zur Seite, ohne sich darum zu kümmern, dass er auf jedem Bogen oder Zettel deutliche Schmutzspuren zurückließ. Als er endlich das Kundenjournal gefunden hatte, war ich froh, dass er es selber aufklappte. Ich hätte das Ding nicht mal mit der Zange anfassen mögen, so speckig und ölig sah es aus. Parker fuhr mit dem Finger einige Spalten entlang.
„Hier haben wir es“, sagte er. „An diesem Tag waren nur vier Kunden da. Der Fahrer von der Leather Factory Company, Mr. Hopper von gegenüber, Mr. White und Mr. Sundale.“
„Das sind alles alte Kunden Ihrer Firma?“
„Ja ich kenne jeden einzelnen davon.“
„Sie haben sicherlich in der Zeitung die Beschreibung des mutmaßlichen Mörders gelesen“, meinte Rayn. „Es ist ein etwa fünfunddreißigjähriger Mann mit einer auffallend heiseren Stimme.“
„Habe ich gelesen“, bestätigte Mr. Parker kopfnickend, „aber das trifft auf keinen der vier Kunden zu.“
„Sonst war an dem Tag niemand bei Ihnen?“
„Ich kann mich nicht erinnern.“
„Denken Sie nach, Mr. Parker“, bat Rayn.
Parker zuckte die Schultern. „Das tue ich doch schon die ganze Zeit!“, meinte er. „Ich kenne niemand, der so aussieht wie der Kerl, der in der Zeitung beschrieben wird.“
„Erzählen Sie uns etwas über die vier Kunden, die am Dienstag hier waren. Was tun sie beruflich?“, fragte Rayn.
„Na, der eine ist Lieferwagenfahrer, das erwähnte ich