Aber die Trommeln haben nicht mehr den alten Klang, und die Stimmbänder sind schon heiser gekrächzt. Und die Anstrengungen, das letzte verzweifelte Aufbäumen, werden nicht mehr mit dem heiß herbeigesehnten >touchdown< belohnt. Die Düsseldorfer Panther verlieren gegen die Ansbach Grizzlys und scheiden schon im Viertelfinale aus.
Rechtsanwalt Hannes und Vitus H. Benedict trotten inmitten der knapp dreitausend, größtenteils enttäuschten Zuschauer auf den Stadionausgang zu. Die Tische mit den National-Football-League-Souvenirs sind abgebaut, und auch Kaffee und Kuchen gibt’s nicht mehr. Um die Altbiertheke scharen sich die Unentwegten.
Der Reporter, der eben neben ihm gesessen hat, zupft Benedict im Gedränge am Ärmel seines Regenmantels. »Haben Sie nicht irgendwas für mich in der Spritzer-Sache? Muss doch bald mal was kommen, oder?«
Benedict fühlt sich belästigt und knurrt: »Lassen Sie mich in Ruhe, ich bin hier nicht im Dienst!« Dann aber fügt er in etwas konzilianterem Ton - der Stüchow wird’s ihm danken — hinzu: »Rufen Sie doch morgen früh unseren Pressesprecher an. Der hat den neuesten Stand der Dinge für Sie!« Unzufrieden schiebt der Zeitungsschreiber von dannen.
Der Wagen von Rechtsanwalt Hannes ist mal wieder in der Werkstatt, was Benedict mit der Bemerkung, »du solltest dir mal ein richtiges Auto zulegen«, quittiert, sich aber selbstverständlich dazu bereit erklärt, seinen Freund zu dessen Wittlarer Wohnung zu fahren.
»Am Ende ist eben auf einen Jaguar doch mehr Verlass als auf einen Panther«, meint Benedict, während er das schwere Gefährt aus der Parklücke an der Kruppstraße lenkt. »Hast du übrigens Beziehungen zur DEG?«, fragt er schließlich, als der Wagen leise in Richtung Hauptbahnhof rollt.
»Abtrünnig werden, was? Du bist mir so ein Fan! Bloß, weil sie dieses Spiel versiebt haben!«
»Nein, das nicht. Aber für den Winter sollten wir uns mal was einfallen lassen. Ein bisschen Abwechslung tut doch auch ganz gut. Außerdem würde ich gerne auch den Puck mal wirklich sehen und nicht wie im Fernsehen immer nur dann, wenn er im Tor ist!«
Hannes nickt und verspricht, seine guten Kontakte zu nutzen.
Leise summt die Klimaanlage in diesem ledergepolsterten Relikt vergangener Tage. »Darf ich?«, fragt Hannes, hat aber schon die Finger an der Stereoanlage.
»Neue Männer braucht das Land«, überdröhnt die kräftige Stimme von Ina Deter die Fahrgeräusche des Wagens. Hannes fährt die Lautstärke erschrocken runter, und Benedict biegt in die lange Kaiserswerther Straße ein. Dann, auf Höhe Grünwalder Straße, bleibt Benedicts Blick an dem großen Militärareal mit den grauen Gebäuden des englischen Rhine Center hängen. Beinahe wäre er auf eine vor ihm links abbiegende Jeep-Patrouille der englischen Militärpolizei aufgefahren und tritt abrupt auf die Bremse. Um Zentimeter verfehlt!
Rechtsanwalt Hannes zischt vernehmlich durch die Zähne und hält sich verkrampft an der Halteschlaufe über dem rechten Seitenfenster fest. »Benny, Benny! Du bist ja ganz schön weggetreten. Was ist denn los mit dir?«
Ja, was ist los mit mir, denkt Vitus H. Benedict und versucht, sich auf die breite in den Düsseldorfer Ortsteil Wittlaer führende Straße zu konzentrieren. Ohne großen Erfolg. Die Gedanken an diesen Freitagnachmittag lassen sich nicht so einfach wegschieben.
Sie saßen zu fünft in dem großen Eckraum des Chief Police Advisors im Verbindungsbüro der Britischen Streitkräfte: der schon in Ehren ergraute Chefinspector Fryers, der nach außen hin so dandyhaft wirkende Captain der Special Investigation Branch, Jerry Hart, Kriminalrat Freudlos und er. Dazu dieser fünfte Mann, der nicht bei ihnen an dem kleinen, runden Tisch in der Ecke saß, sondern an einem vom Fensterlicht nicht erfassten Platz, wo sein Gesicht im Halbdunkel verborgen blieb. Chefinspector Fryers hatte, während er auf ihn zeigte, undeutlich den Namen Smith gemurmelt.
Benedict kannte Fryers, und er kannte Hart. Den Mann im Halbdunkel hatte er noch nie gesehen.
»Machen wir hier so was wie eine spiritistische Sitzung, Jerry?«, unternahm Benedict einen vorsichtigen Lockerungsversuch, aber der Captain von der S.I.B., dem englischen Gegenstück des deutschen MAD, reagierte ungewöhnlich brüsk darauf. » You name it! Genauso ist es!«, war es scharf über seine Lippen gekommen.
»Also gut. Was hat die Britische Rheinarmee mit unseren beiden Toten im Aaper Wald zu tun?«
Der Mann im Halbdunkel, der Mr. Smith genannt sein wollte, verschaffte sich zu diesem Zeitpunkt leise räuspernd Gehör. »Ich bin Angehöriger des Intelligence Corps Ihrer Majestät und zuständig für ... gewisse Aufklärungsaufgaben im Umfeld unserer Truppen, die auf dem Gebiet Ihres Landes stationiert sind. Diese Aufgaben konzentrieren sich zum Beispiel auch auf die Beobachtung terroristischer Gruppierungen, um eventuelle Anschläge auf die Einrichtungen der British Army of the Rhine und deren Personal im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern. Die IRA verfügt in der Bundesrepublik über ein kleines Netz von Sympathisanten. Deutsche Irland-Spinner, aber auch Leute, die Sie wohl dem RAF-Kreis zurechnen würden. Eine gefährliche Mischung. In diesen Bereich versuchen wir, Leute von uns einzuschleusen, um die Dinge, sagen wir, unter Kontrolle zu behalten. Einer dieser Angehörigen des IntCorps, ein dreißigjähriger Sergeant, wird seit gestern Morgen bei uns als vermisst gemeldet. Heute fanden wir dann sein Bild in Ihren Zeitungen.« Der Mann holte aus seiner Brieftasche ein Foto, welches er Captain Hart über den Tisch reichte. »Das ist er!«
Benedict erkannte den Mann auf dem Foto sofort wieder. Trotz der Uniform, Es war eindeutig der Tote aus dem Aaper Wald.
»Und wie ist sein Name?«
»Der tut dabei nichts zur Sache, Sie werden sowieso ...« Die Stimme aus dem Halbdunkel brach unvermittelt ab.
»Und die Frau? Sie sagen gar nichts über die Frau. Wer ist sie? Was hat sie damit zu tun?«, setzte Benedict ungeduldig nach und starrte dabei zu der Gestalt in der abgedunkelten Ecke.
Der Mann vom IntCorps schien zu zögern, aber dann kam es sehr bestimmt: »Über diese Frau gibt es bei uns keine Informationen!«
Im Zimmer des Chief Police Advisors blieb es daraufhin eine Weile still. Dann meldete sich Captain Hart. »Benny, du musst das verstehen: Wir haben da ein ziemliches Problem. Der Sergeant vom IntCorps hatte in Düsseldorf Verbindung aufgenommen, und zwar zu einer Sympathisantengruppe der IRA. Von da hat er Informationen erhalten, die äußerst ... explosiven Inhalts sind.« Etwas unsicher sah Jerry Hart zu dem Mann im Halbschatten herüber, fuhr dann aber fort: »Der Sergeant hat sich Mittwoch Abend um 8 Uhr beim Wachhabenden der Flughafen-Kaserne abgemeldet und sollte sich routinemäßig um 2 Uhr nachts wieder melden. Er wollte in den Irish Pubs in Düsseldorf noch ein bisschen sammeln gehen. Informationen. Dummerweise«, Captain Hart zog etwas verlegen die Schultern hoch, »dummerweise ist bei der Wachübergabe nicht bemerkt worden, dass Sergeant ... äh ... dass der Sergeant sich nicht ordnungsgemäß gemeldet hatte. Erst bei der nächsten Überprüfung um 12 Uhr mittags ging dann auch ein missing report raus. Aber da war es schon zu spät!«
Jetzt meldete sich endlich auch der Kriminalrat zu Wort. An den Mann im Halbdunkel gewandt, fragte er: »Sie sprachen soeben von Informationen explosiven Inhalts. Sind Sie befugt, uns darüber nähere Auskunft zu geben?«
Benedict hatte den Eindruck, dass der IntCorps-Mann seine Antwort sehr genau überlegte. »Es scheint konkrete Planungen seitens der IRA zu geben, den Thronfolger während seines Besuches in Westdeutschland entweder zu ermorden oder zu entführen.« Bevor er weitersprach, hatte er diese Worte lange im Raum stehen lassen. Benedict spürte, dass er einen trockenen Hals bekam, und auch der Eisklumpen im Rücken hatte sich wieder eingefunden.
»Die Informationen, die unser Mann bis Mittwoch gesammelt hatte, deuteten allgemein darauf hin, dass der Anschlag im Großraum Bonn-Köln-Düsseldorf geplant sein würde. Leider war unser Mann nicht mehr in der Lage, diese Angaben gezielter zu bestätigen. Wir gehen aufgrund Ihrer Ermittlungen davon aus, dass ein Kommando der IRA den Sergeant enttarnt, verhört und hingerichtet