»Die spielen ja bald nicht mehr. Die Panther stehen kurz vorm Endspiel, und dann ist Schluss bis zum Frühjahr. Eishockey wär' keine schlechte Alternative für den Winter, oder?«
»Schwer, an Karten dranzukommen«, meldet sich KHM Dunklenbroich vom Rücksitz, »da muss man Beziehungen haben!«
Der Wagen fährt wieder an, und Benedict fühlt die Knie des langen Kriminalhauptmeisters in seinem Rücken. Läppert schaltet Licht und Scheibenwischer ein, als ein neuer Regenschauer auf das Blechdach prasselt. Hinter einem grünen Landrover mit englischer Militärnummer biegen sie dann vor der Autobahn nach rechts in den Aaper Wald ein und parken den Wagen vor dem Waldrestaurant Bauernhaus, einem dieser rustikal herausgeputzten Ausflugsgasthäuser. Von hier bis zum Fundort der beiden Leichen sind es knapp einhundert Meter Luftlinie.
»Haben Sie gar nichts gehört in der fraglichen Nacht? Etwas, was sich wie Schüsse angehört hat?«, fragt Benedict die mittelalterliche Frau des Besitzers in dem mit allerlei Krimskrams vollgestopften Schankraum.
»Nein, da haben mein Mann und ich uns schon drüber unterhalten. Überhaupt nichts. Wir hatten hier ganz normalen Betrieb.«
»Irgendwelche auffälligen Gäste an diesem Abend vielleicht?«
Die Frau schüttelt lächelnd ihren Kopf mit den dauergewellten Haaren. »Unsere Abendgäste sind fast alles Stammkunden, und die kennen wir. Waren fast alles Vorbestellungen. Warten Sie mal!« Sie steht vom Tisch auf und geht hinter den Tresen, wo sie kurz herumkramt. Mit einem schwarzen Buch in der Hand kommt sie wieder zurück. Sie blättert und schlägt eine Seite auf. »Sehen Sie«, sagt sie und dreht das Buch so hin, dass die Beamten die Eintragungen lesen können. Ihr dicker, rot lackierter Zeigefinger weist auf verschiedene handschriftliche Zeilen. »Fünf Reservierungen von Firmen und sechs Stammgäste!«
»Und das Personal? Die Kellner und Kellnerinnen? Vielleicht hat von denen jemand ...« Läppert versucht es auch damit.
»Ja, ja, ja. Die haben wir selbst schon gefragt. Die Sache hat für richtige Aufregung hier gesorgt. Is' ja Tagesthema. Die sind ja auch schon von den Reportern gefragt worden. Wir haben hier richtig Zulauf gehabt.«
Benedict beißt sich wegen der Reporter auf die Lippen. Das ist ärgerlich. Aber gestern ging alles drunter und drüber. Was soll's.
»Nein, die haben auch nichts gehört. Darf ich Ihnen vielleicht etwas zu trinken bringen?«
Die drei Kripoleute bestellen das übliche Dienstmineralwasser. Plötzlich muss Benedict grinsen. Ganser hätte sich sicherlich ein Alt bestellt, ohne Rücksicht auf Vorgesetzte.
»Wenn Sie sie aber selbst fragen wollen«, plappert die Wirtsfrau weiter, »dann müssen Sie bis heute fünf Uhr warten. Jetzt ist nur die Frühschicht hier.«
Während Läppert sich die Namen des Spätpersonals und deren Telefonnummern notiert, überdenkt Benedict das weitere Vorgehen. Läppert wird sich mit dem Küchenpersonal unterhalten, denn die machen die ganze Zeit Dienst, von morgens bis abends. Dunklenbroich wird die Waldvillen abklappern, während er selbst sich auf den Weg zum Reitstall Brüggemann machen wird. Der liegt zwar etwas weiter weg, aber nachfragen sollte man doch.
Wenigstens hatte der Regen aufgehört, und als er von seinem erfolglosen Ausflug entlang der Autobahn ins Restaurant zurückkehrt, sitzen Läppert und Dunklenbroich schon wieder vor einem Kaffee an einem Tisch im Schankraum.
Läppert wiegt düster seinen Kopf hin und her. »Niemand hat hier was gehört. Waldesruh total! Auch bei ihm nicht.« Und er zeigt auf Dunklenbroich, der in seiner Tasse rührt. Benedict trinkt auch einen Kaffee, der ihn nicht wärmt, und als sie wieder im Wagen sitzen, sagt KHM Dunklenbroich schüchtern: »Kann ja auch mit Schalldämpfer gewesen sein.«
Bis zur Sankt-Franziskus-Straße sagt darauf niemand was. Dann kratzt sich Läppert am Kopf, während sie wieder mal auf Grün warten. »Profis?«
Das Funkgerät übernimmt.
»Düssel 2120 für Düssel, kommen!«
»Düssel 2120, was gibt’s?«
»Sofort Verbindung mit 368 aufnehmen. Wiederhole 368. Bestätigung!«
»Düssel 2120 bestätigt. Verbindung mit 368 aufnehmen. Sind schon auf dem Weg ins Präsidium. Ende Düssel!«
Benedict schiebt das Mikrofon wieder in die Halterung unter dem Armaturenbrett und starrt nachdenklich aus dem anfahrenden Wagen hinaus. Was wohl der Freudlos vom 14. K. von ihm will?
Im dritten Stock des Präsidiums betritt Benedict für ihn fremdes Territorium. Hier oben scheint alles ruhiger und unauffälliger zuzugehen, als unten bei ihm ein Stockwerk tiefer, wo die alltägliche Ermittlungsroutine für ein ständiges Kommen und Gehen sorgt.
Kriminalrat Michel Freudlos und er hatten sich noch nie viel zu sagen. Heute aber hat der Leiter des 14. K., dem für Staatsschutz zuständigen politischen Kommissariat, seinem Kollegen einiges mitzuteilen.
Vor sich auf dem fast leeren Schreibtisch hat er die Tagesausgaben der Lokalpresse liegen. Ohne den Hals verrenken zu müssen, kann Benedict die Leichenfotos aus dem Aaper Wald erkennen. Er zieht erstaunt eine Braue nach oben und sieht den unscheinbaren Kriminalrat fragend an. Der hält beide Hände in Brusthöhe vor sich zusammengepresst. Die auf der Schreibtischplatte aufgestützten Arme bilden einen rechten Winkel zu seinem Oberkörper. Nein, der Leiter des politischen Kommissariats betet nicht. Diese Haltung soll äußerste Konzentration ausdrücken.
»Ich hatte gerade einen Anruf von unseren englischen Freunden!«
»Scotland Yard?«, fragt Benedict erstaunt.
»Nein. Aus dem Rhein-Center. Captain Hart von der S. I. B.!«
»Jerry? Und um was ging’s?«
Kriminalrat Freudlos versucht zu übergehen, dass ihn die zum Ausdruck gebrachte Vertraulichkeit gegenüber einem hohen Angehörigen der Special Investigation Branch irritiert. Immerhin verdankt er die Bedeutung seiner Dienststelle den Engländern, die das politische Kommissariat nach dem Zweiten Weltkrieg als spezielles Dezernat direkt dem Polizeipräsidenten unterstellten. »Captain Hart hat unter Hinweis auf diese von Ihnen veröffentlichten Aufnahmen um ein sofortiges Zusammentreffen im Büro des Chief Police Advisors im Rhein-Center gebeten ... äh ... ersucht ... äh ...«, die zusammengepressten Hände lösen sich voneinander und flattern unruhig über der glatten Schreibtischplatte herum, »also, Kollege Benedict, es klang eher nach einer Anordnung!«
»Ein Befehl?«, runzelt der die Stirn. »Klingt so gar nicht nach Old-Gentleman-Jerry. Hat er sonst noch was gesagt?«
»Nein, das war alles, Herr Kollege!«, erwidert Freudlos steif.
Der Hauptkommissar zuckt mit bemühter Lässigkeit die Achseln und steht auf. »Also fahren wir!«
*
Der hünenhafte Spieler mit der Nummer 46 rennt und rennt. Vergeblich versuchen die Gegner, seinen mächtigen Alleingang zu stoppen. Geschickt weicht der Riese ihren Block- und Rempelversuchen immer wieder aus und umsteuert sie dabei wie Slalomstangen beim Torlauf. Unterstützt und abgeschirmt von seinen Teamkameraden, hat er jetzt die 60-Meter-Marke erreicht. 70 Meter, 80 Meter! Mit dem Mut der Verzweiflung stürzen sich zwei Panther auf den Grizzly, um ihn vor der Endzone von den Beinen zu bringen, aber geschickt taucht der Bär diesmal unter den Wildkatzen weg und legt das braune Ei hinter der Linie ab. Dann rast er im Zickzack - den auf ihn zurennenden Mannschaftskameraden ausweichend - mit ausgestrecktem Mittelfinger auf die Bank der resignierten Düsseldorfer Panther zu. Auf der Anzeigentafel erscheint der neue Punktestand: Panther 21, Gäste 27. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«
Rechtsanwalt Hannes ist genauso fassungslos wie die anderen Düsseldorfer Anhänger im TuRU-Stadion am Volksgarten.
»Und