Pikiert verbirgt der Mann vom Politischen sein Gesicht weiter hinter den Dürer-Händen.
»Was ist nun das Ergebnis Ihrer Ausführungen?«, fragt der Polizeipräsident ungeduldig.
»In jedem Falle hat die Düsseldorfer Kripo mit der Sache Aaper Wald nichts mehr zu tun. Wir können davon ausgehen, dass die Generalbundesanwaltschaft diese Fälle an sich zieht und dann wohl mit den entsprechenden Dienststellen der Engländer koordiniert. Wir sind raus aus dem Fall. Oder stimmen Sie mir nicht zu?«, wendet er sich jetzt zu dem neben ihm sitzenden Staatsanwalt Sprotte.
Der sonnt sich in den Blicken der vier anderen, die auf ihm ruhen. Dann versucht er sich an einem Scherz. »Im Prinzip haben Sie recht, Herr Freudlos, wie Radio Eriwan zu antworten pflegt. Aber nur im Prinzip. Normalerweise würde die Generalbundesanwaltschaft den Fall an sich ziehen, aber«, und jetzt holt Sprotte einen kleinen Zettel aus der Brusttasche seines Jacketts, um von ihm etwas abzulesen, »aufgrund der besonderen Umstände dieses Falles sollen die Ermittlungen zwar unter der Verantwortlichkeit des Generalbundesanwalts laufen, die eigentliche Ermittlungsarbeit aber soll hier beim Düsseldorfer 1. K verbleiben und nicht über das BKA laufen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen ...«
»Moment mal, Moment mal!«, unterbricht ihn Kriminalrat Freudlos und fuchtelt verzweifelt mit den Händen in der Luft herum. »Habe ich Sie korrekt verstanden? Die Ermittlungen sollen hier beim 1. K bleiben? Nicht ans 14. gehen?«
»Ja, Sie haben mich korrekt verstanden!«
»Die Gründe! Sie wollten etwas über die Gründe sagen«, mahnt der Polizeipräsident.
»Bei meinem Telefonat mit der Generalbundesanwaltschaft habe ich den Eindruck gewonnen, dass das BKA zur Zeit kräftemäßig ziemlich unter Druck steht und dass andererseits die Engländer wohl einen gewissen Einfluss geltend gemacht haben, denn es wurde vom Generalbundesanwalt ausdrücklich auf die guten Kontakte verwiesen, die zwischen Hauptkommissar Benedict und bestimmten englischen Dienststellen bestehen, und auf die Wichtigkeit der Kenntnisse der lokalen Verhältnisse!«
Benedict starrt auf seine makellos geputzten Ballyschuhe hinunter.
»Und was heißt das im Klartext?«, fragt der Leitende sachlich nach.
»Nach dem jetzigen Stand der Dinge«, Sprottes Blick geht hoch zur Weltuhr, und wie an unsichtbaren Schnüren gezogen, sehen auch die anderen vier Augenpaare in die gleiche Richtung, »verbleiben die Ermittlungen in der Sache Aaper Wald beim 1. K der Kripo Düsseldorf unter Leitung von Hauptkommissar Vitus H. Benedict, in enger Abstimmung mit dem Generalbundesanwalt und Captain Hart von der S.I.B. Düsseldorf!«
»Und die Spritzer-Sache?«, fragt Benedict den Leitenden Kriminaldirektor skeptisch.
»Was schlagen Sie vor?«
Der Hauptkommissar nagt an seiner Unterlippe. Als der Polizeipräsident ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln beginnt, meint er zögernd: »Vielleicht die Kommissarin? Leiden-Oster?«
Ein überraschter Blick des Leitenden Kriminaldirektors trifft den Hauptkommissar. »Sind Sie davon überzeugt?«
Verunsichert meint Benedict nach einer Weile: »Also dann ... Doemges. Und Leiden-Oster als Stellvertreterin. Und ein paar Leute von der Sitte als Experten!«
»In Ordnung, wenn Sie das sagen!«
»Wär’s das dann?«, fragt der Polizeipräsident mit einem nochmaligen Blick auf die große Uhr, die jetzt fast halb eins anzeigt. Benedict, Freudlos und der Leitende erheben sich aufatmend von ihren Sesseln, begierig nach frischer Luft.
»Nein. Noch nicht ganz!« Staatsanwalt Sprotte hat die Fluchtbewegung nicht mitgemacht, und jetzt lassen sich auch die anderen wieder enttäuscht zurück in die Sessel plumpsen. »Aufgrund der sehr realen Möglichkeit eines Anschlages seitens der IRA auf die Person des englischen Thronfolgers im hiesigen Gebiet werden Sie im Laufe des Nachmittags noch eine vertrauliche Ermittlungsanweisung des Generalbundesanwalts erhalten. Diese Anweisung wird nicht über das interne Telexnetz laufen, sondern durch einen persönlichen Kurier überbracht werden. Vom Inhalt der vertraulichen Anweisung dürfen nur die hier anwesenden Personen Kenntnis erhalten. Über den Inhalt ist Stillschweigen zu bewahren. Danke sehr!«
Verdattert sitzen die vier Polizeibeamten auf ihren Sesseln. Der Polizeipräsident schluckt und zuckt ärgerlich mit der linken Augenbraue. Ein starkes Stück! In seinem eigenen Zimmer zum Befehlsempfänger degradiert zu werden.
»Na ja«, sagt er dann aber lahm, »dann Glück auf und bis heute Nachmittag!«
In der Kantine des Präsidiums im Erdgeschoss ist es brechend voll, und Benedict ist gezwungen, sich zu Kommissarin Leiden-Oster an den Tisch zu setzen. Missmutig löffelt er in seinem Früchtejoghurt herum. Himbeeren. Bloß schnell weg hier. Die Kommissarin unterhält sich mit einer jungen Kriminalmeisterin aus dem 2. K. über den Erfolg einer weiblichen Terroristengruppe gegen ein großes Bekleidungsunternehmen mit Produktionsstätten in Südkorea. Bruchstückhaft hört der löffelnde Hauptkommissar die Worte >Rote Zora<, >Amazonen< und »sexistische Ausbeutung« über das Klappern von Bestecken und Tellern hinweg. Die chemische Milchspeise ist viel zu süß und klebrig. Er muss wieder an diese Warnung von Doc Lenzfried denken. Frauenmilizen. In Düsseldorf. Da muss Doemges sich mal drum kümmern. Vielleicht sollte man auch Zivilfahnder einsetzen.
»Natürlich kann man solche Aktionen aus polizeilicher Sicht nicht billigen!«
Dieser letzte Satz, den die Kommissarin Leiden-Oster überlaut ausspricht, ist eindeutig für ihn bestimmt. Vitus H. Benedict räuspert sich und steht hastig auf. Der leere Joghurtbecher nebst Löffel fällt auf den Fußboden. Von den interessierten Blicken mehrerer Kollegen verfolgt, hebt Benedict den Becher auf und wirft ihn in den Abfallbehälter. Was für ein Mahl!
»Ach so ist das«, meint Doemges dann trocken.
Kommissarin Leiden-Oster betrachtet stumm ihre mit farblosem Lack bepinselten Fingernägel.
»Ja, so ist das«, bestätigt Vitus H. Benedict. »Ab morgen werde ich mich mit Kommissar Läppert und den beiden Neumännern ausschließlich um die Sache Aaper Wald kümmern, und Sie beide führen die Ermittlungen in der Mordsache Brigitte Craatz! Leitung wie bisher bei Doemges.«
Läppert und die Neumann-Zwillinge machen einen zufriedenen Eindruck. Wegen der gespannten Atmosphäre in der >SpriKo< sind sie froh, den ständigen Auseinandersetzungen mit der Kölner Kollegin ausweichen zu können.
Doemges nimmt’s gelassen, aber alle starren jetzt auf die Kommissarin. Die macht gar keinen zufriedenen Eindruck. Sieht dann von ihren Fingernägeln auf. Der Blick der grauen Augen hinter den dicken Brillengläsern ist klar und nüchtern auf den Leiter des 1. K gerichtet. »Sie können meiner Personalakte entnehmen, dass ich im Kölner Präsidium Spezialistin für Vergewaltigungsdelikte war. Mit einer ausgezeichneten Erfolgsquote. Bitte geben Sie mir eine Begründung, warum meine Qualifikation nicht ausreicht, die Leitung der Craatz-Ermittlungen alleinverantwortlich zu übernehmen. Was spricht, dienstlich gesehen, für Kommissar Doemges, und was spricht gegen mich? Dienstlich gesehen!«
Die Worte der Kommissarin, nüchtern und sachlich in den Raum gesetzt, zeigen Wirkung.
Doemges presst die Lippen zusammen und starrt seine Kollegin von der Seite an. Die Neumann-Zwillinge sind bemüht, unbeteiligt aus dem großen Fenster zu sehen. Läppert steht schließlich von seinem Stuhl auf und sagt, mit dem Kopf den Zwillingen zunickend: »Wir sollten uns gleich noch mal mit der Aktenlage Aaper Wald vertraut machen. Damit wir für morgen vorbereitet sind!« Fluchtartig stolpern die drei Beamten aus dem stickigen Büro und schließen die Tür sehr fest hinter sich.
Benedicts Kieferknochen spielen unter der angespannten Gesichtshaut. Mit einer ärgerlichen Bewegung des rechten Zeigefingers schiebt er die auf die Nasenspitze gerutschte Brille wieder vor die Augen. Dann steht er auf und stellt sich vor das Fenster. Draußen gibt es nichts Ungewöhnliches. Nachmittagsverkehr auf der Lorettostraße. Er dreht sich wieder um, lehnt sich mit dem Rücken gegen die Fensterbank und verschränkt die Arme vor