»Also trauen Sie mir als Frau diese Leitungsaufgabe nicht zu?!«
Nachdenklich ruht der Blick des Hauptkommissars auf der aggressiven jungen Frau vor ihm. »Ich traue Frauen genauso viel zu wie Männern, oftmals sogar mehr als diesen!«
»Was ist es dann? Haben Sie etwas persönlich gegen mich?« Bevor Benedict darauf etwas erwidern kann, fährt die Kommissarin schon fort zu reden: »Die Ermittlungen in diesem besonderen Fall von Sexismus laufen doch ohnehin nur auf Sparflamme. Alle anderen Ermittlungen genießen doch höhere Priorität. Könnte das nicht daran liegen, dass die Untersuchung nur von Männern geführt wird?«
Doemges' Phlegmatismus scheint ernsthaft gefährdet. Er öffnet den Mund zu einer geharnischten Erwiderung, aber bevor er reden kann, gebietet ihm Benedict mit einer Handbewegung Ruhe. Die Kommissarin spricht weiter. »Und jetzt ziehen Sie sich auch noch aus den Ermittlungen raus. Das ist doch wie ein Signal an die Presse. Der Leiter des 1. K übergibt die Ermittlungen an seine Untergebenen! Er ist mit wichtigeren Angelegenheiten beauftragt!«
Auf dem hellen Gesicht der Frau mit der Hornbrille erscheinen hektische rote Flecke. Die letzten Worte waren mit vor Empörung scheppernder Stimme hervorgestoßen worden. Kommissarin Leiden-Oster wischt sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das zeigt der Öffentlichkeit doch ganz klar, dass dieser Fall nur von zweitrangigem Interesse für die Düsseldorfer Polizei ist. Geht ja auch nur um Frauen!«
Die aufgebrachte Beamtin erhebt sich von ihrem Stuhl. Schon im Stehen sagt sie zu den Männern gewandt: »Aber das kapieren Sie ja nicht. Sie meinen doch, dass jetzt Ruhe ist. Täuschen Sie sich bloß nicht. Nur weil seit dem Mord an Brigitte Craatz nichts mehr passiert ist!« Verbittert lässt sie die Mundwinkel fallen. »Ich rede hier ja doch gegen Wände.«
Die Stimme des immer noch am Fenster lehnenden Hauptkommissars ist leise, aber sehr bestimmt, als er sagt: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zumindest Gelegenheit zu geben, auf Ihren Angriff zu antworten, bevor Sie gehen?«
Zögernd nimmt Kommissarin Leiden-Oster wieder Platz.
»Ich will in diesem Moment davon absehen, dass in Ihren Vorhaltungen auch eine sehr persönliche Attacke auf den Kollegen Doemges enthalten war. Das müssen Sie nachher untereinander ausmachen. Wie ich Doemges kenne, wird das Ihre dienstliche Zusammenarbeit nicht beeinträchtigen. Ich stimme Ihrer Feststellung zu, dass die Ermittlungen in der >Spritzer-Sache< nicht richtig laufen. Nur, Ihre Schlussfolgerung, dass das daran liegt, dass die Ermittlungen von Männern geführt werden, die muss ich zurückweisen. Ihnen ist bekannt, mit wie viel zusätzlichen Aufgaben die Kripo Düsseldorf in der vergangenen Woche belastet war. Das alles hat zu einer gewissen Unübersichtlichkeit beim Gang der sonstigen Arbeiten in den Kommissariaten geführt. Mein eigener ... Ausstieg gerade in dem Moment, an dem ich die Ermittlungen endlich koordiniert führen wollte, ist auf höhere Weisung zurückzuführen, also nicht von mir beabsichtigt. Es ist nicht, wie Sie vermuten, ein Beweis für die Abwertung dieses speziellen Falles. - Abschließend noch Folgendes: ich werde heute Nachmittag Maßnahmen in die Wege leiten, die Ihre Befürchtungen hinsichtlich der Nachrangigkeit der >Spritzer<-Ermittlungen hoffentlich zerstreuen werden. Über diese Maßnahmen werde ich zum gegebenen Zeitpunkt auch die Düsseldorfer Presse informieren!«
Das mit dem Stempel »Vertraulich« markierte Kurierpapier des Generalbundesanwalts hat es in sich. Der Inhalt ist für die fünf Männer im Chef-Zimmer des Präsidiums ebenso ungewöhnlich wie eindeutig. Und er hat erneut Konsequenzen für die Ermittlungsroutine des 1. K: Angesichts des eindeutigen Zusammenhanges der beiden Erschießungen im Aaper Wald mit dem bevorstehenden Besuch des englischen Thronfolgers und zur Abwehr eines Anschlages auf dessen Leben wird ein spezielles Ermittlungsteam gebildet. Die Teamleitung erfolgt aus naheliegenden Gründen von Düsseldorf aus und liegt in Händen von Hauptkommissar Vitus H. Benedict, Kripo Düsseldorf. Die drei weiteren Mitglieder dieses Teams werden voraussichtlich aus Irland und England kommen. Angaben über diesen Personenkreis folgen, wenn vorliegend. Es soll sich dabei um Spezialisten aus der Anti-Terrorbekämpfung handeln, um Leute, die mit der Terrorszene auf beiden Seiten vertraut sind. Ihre Kenntnisse sollen den Zugriff deutscher Dienststellen vorbereiten. Zweck des Teams: 1. Feststellung, ob bereits ein Terrorkommando in der BRD eingetroffen ist, 2. Lokalisierung und Feststellung der Identität, 3. Verhinderung des Anschlages und 4. Festnahme. Die Zusammenarbeit des Teams auf bundesdeutschem Boden ist mit den zuständigen Regierungsstellen abgeklärt. Mit dem Eintreffen der Beamten aus England und Irland ist am kommenden Wochenende zu rechnen. Offizieller Arbeitsbeginn ist Montag, der 21. September, um 8 Uhr.
Das >Karo< schüttelt den Kopf. Die Sache passt ihm nicht. Das schmeckt so gar nicht nach richtiger Polizeiarbeit, aber Benedict sieht angesichts der verfahrenen Situation im 1. K erst mal das Positive. »Ist doch wunderbar, dann können wir Läppert und die Zwillinge noch mit an die >Spritzer<-Sache setzen. Wenn das neue Team zusätzliche Leute braucht, dann fordern wir sie einfach kurzfristig an!«
Der Leitende Kriminaldirektor schnaubt durch die Nase. Einfach so anfordern! Das würde organisatorische Probleme geben. Und die würden natürlich bei ihm hängenbleiben.
Staatsanwalt Sprotte freut sich. Er sitzt fett im Tümpel und ist seinem Ziel, die rote Robe in Karlsruhe zu tragen, ein gehöriges Stück nähergekommen. Mit bedeutungsvoller Miene lässt er das vertrauliche Papier herumgehen und sammelt Unterschriften.
Kriminalrat Freudlos hat seine Hände ausnahmsweise nicht vor der Nase gefaltet. Sie liegen reichlich nutzlos auf seinen Oberschenkeln. Für ihn gibt es hier keinen Anlass, seine Konzentrationsgebärde vorzuführen. Er ist außen vor. Aber unterschreiben darf schließlich auch er.
»Dann noch etwas!« Benedict schwimmt obenauf und erläutert dem Polizeipräsidenten den Stand der Dinge in der >Spritzer<-Sache im allgemeinen und die Befürchtungen der Kommissarin Leiden-Oster im besonderen.
»Ja. Und was schlagen Sie da vor?«, fragt das >Karo< ungeduldig.
»Ich möchte den Ermittlungen sowohl nach innen als auch nach außen einen neuen Schub geben. Gewissermaßen auch ein Signal setzen. Mit der Verstärkung durch Läppert und die Neumänner ist das ansatzweise schon geschehen, aber ...«
»Es ist jetzt fast neun Uhr abends, lieber Kollege. Können Sie zur Sache kommen!« Das >Karo< will endlich nach Hause.
Benedict reißt sich zusammen.
»Veranlassen Sie bitte bei der Fachhochschule Duisburg, dass Kriminalhauptmeister Ganser für einen Monat vom KD-Lehrgang abgestellt wird für ein lehrgangbegleitendes Praktikum beim 1. K Der könnte dann die >SpriKo< unterstützen. Das würde ich für sehr sinnvoll halten!« Anschließend zieht der Hauptkommissar seinen Kopf ein. Nein, es sind zwar leicht erstaunte, aber eben nur müde Blicke, die ihn treffen. Der Polizeipräsident hat auch keine Lust mehr und delegiert die Entscheidung an den Leitenden.
Und der sagt eine Entscheidung für morgen zu.
5
Die Fontana di Trevi steht in Rom und giert mit ihrem Plätschern nach den Münzen rückkehrwilliger Touristen. Das TREVI hat nichts mit Touristen zu tun, sondern mit Terroristen. Und es giert auch nicht nach Münzen, sondern nach Informationen. TREVI ist ein zusammengesetztes Kunstwort. Die aneinandergekoppelten Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnungen Terrorism, Radicalism, Extremism und Violence International. Oder auf gut deutsch: Terrorismus, Radikalismus, Extremismus und Internationale