Von Versailles bis Potsdam. André François-Poncet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: André François-Poncet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783958902879
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Ebert oder Hindenburg nicht den Präsidenten der Republik, sondern den Präsidenten des Deutschen Reichs. Und ganz allgemein wird das Wort »Republik« in der deutschen Republik vermieden.

      Läge den Mitgliedern der Nationalversammlung daran, an die Vergangenheit anzuknüpfen, so hätte man die schwarzweißrote Fahne, die Nationalflagge des Bismarckreiches, beibehalten können. Sie schaffen aber dieses Emblem ab, überspringen die Geschichte des Hohenzollernreiches und beschließen – eine zweite Eigentümlichkeit –, dass die schwarzrotgoldene Fahne der Burschenschaften, der Verfechter der liberalen und nationalen Ideen von 1815 bis 1848, die Fahne des neuen Regimes sein solle. Hiermit begehen sie offensichtlich einen Fehler. Die Völker sind in der Frage der Nationalfarben sehr empfindlich. Unter den schwarzweißroten Farben hatten mehrere Generationen von Soldaten gedient. Man war an sie gewöhnt. Sie waren stets geehrt und nicht besiegt worden. Bürger, Militärs, Frontkämpfer, Nationalisten aller Art werden es der Weimarer Nationalversammlung verübeln, sie in den Kehricht geworfen zu haben.

      Schon in ihren ersten Artikeln unterscheidet die Verfassung zwischen der Zentralregierung und den Bundesstaaten. In der Tat konzentrieren sich die Verhandlungen des vorbereitenden Verfassungsausschusses, sodann die Nationalversammlung sehr bald auf diesen Hauptpunkt. Es handelt sich um die Frage, ob und in welchem Maße Deutschland nach dem Kriege zentralistisch oder föderalistisch sein soll.

      Das ist kein neues Problem. Seit hundert Jahren besteht die innere Geschichte Deutschlands in dem Konflikt zwischen Föderalisten und zentralisierenden Unitaristen. Im Jahre 1848 fordert die Frankfurter Nationalversammlung ein föderalistisches Reich nach dem Beispiel der Schweiz und der Vereinigten Staaten. Das Bismarckreich von 1871 selbst war ein Bundesstaat. Jedoch wurde der Föderalismus in Deutschland immer durch die maßlose Ungleichheit der Kräfte der Gliedstaaten des Bundes verfälscht. Nach der Ausschaltung Österreichs schmälerte Preußen nach und nach die Privilegien der Bundesstaaten. Es war Herr über den Bundesorganismus, weil der preußische Ministerpräsident gleichzeitig Reichskanzler war. Damit konnte es seinen Einfluss ausdehnen, seine Methoden überall einführen und den demokratischen und liberalen Geist des Südens und Westens zugunsten des konservativen, bürokratischen und militaristischen Geistes des Nordens ersticken. Preußen bediente sich des Föderalismus, um Deutschland zu »verpreußen«. In seinen Händen verwandelte sich der Föderalismus in sein Gegenteil. Er wurde zur Handhabe, um Preußen zum Mittelpunkt Deutschlands zu machen, wie auch Berlin die Hauptstadt Preußens und gleichzeitig die des Reiches wurde.

      Die aufrichtigen Föderalisten hörten indessen nicht auf, gegen die preußischen Eingriffe zu kämpfen. Sie ließen nicht ab, die Zerschlagung Preußens zu fordern, um das große Missverhältnis, das zwischen ihm und den anderen Bundesstaaten bestand und das ganze System verfälschte, zu beseitigen. Sie verteidigten hartnäckig das Daseinsrecht ihrer kleinen Heimat.

      Sogleich nach der deutschen Niederlage belebte sich ihre Tätigkeit, sie fanden in weiteren Kreisen Gehör. Das Ereignis scheint in der Tat die Richtigkeit ihrer Ideen zu bestätigen, ja diese voll zu rechtfertigen. Ist es nicht Preußen, das Deutschland in einen unheilvollen Krieg gestürzt hat? Ist nicht Preußen für das nationale Unglück verantwortlich? Die Novemberrevolution und die ihr folgenden Unruhen haben eine autonomistische Richtung und einen mehr oder weniger separatistischen Charakter. Die aufständischen Regierungen verweigern den ausdrücklichen Befehlen der Zentralregierung den Gehorsam und treiben es sogar bis zum Bruch mit ihr. Nicht nur in Bayern erschallt der Ruf: Los von Preußen! Los von Berlin! Hannover, Schleswig und die Rheinlande fordern das Recht, selbst über ihr Schicksal zu bestimmen. In Köln erklärt sich am 4. Dezember 1918 eine große, von dem Zentrumsabgeordneten Marx, dem späteren Reichskanzler, und Trimborn einberufene öffentliche Versammlung für die Errichtung einer rheinisch-westfälischen Republik im Rahmen des Reiches. Am 1. Februar 1919 erwartet man, dass der Kölner Oberbürgermeister Adenauer im Rathaus die rheinische Republik ausruft, wohin er die soeben gewählten Abgeordneten der Nationalversammlung und des preußischen Landtags eingeladen hat. Im Mai bitten Dr. Dorten, der Oberlehrer Kuckhoff und der Oberpfarrer Kastert in Mainz den Oberkommandierenden der französischen Besatzungsarmee, General Mangin, sie bei der Gründung eines Rheinstaates zu unterstützen. Noch im September und November rühren sich die Katholiken und setzen eine Bittschrift zugunsten eines rheinischen Parlaments in Umlauf.

      Die föderalistischen Verbände, der Deutsche Föderalistenbund und der Deutsche Bund, fordern eine Reorganisation Deutschlands im föderalistischen und deutschen Sinn, eine Aufteilung Deutschlands nach seinen natürlichen Stammesgrenzen in gleichartige und gleichberechtigte Staaten, also eine territoriale Neugliederung. In ihrer Verlautbarung heißt es: »Das deutsche Volk ist keine gleichförmige und einheitliche Volksmasse. Es ist das Volk der Völker. Hierin bestehen sein Charakter und sein größter Vorzug. Es ist das Ergebnis verschiedener Volksstämme mit besonderen Lebensformen und Merkmalen. Diese durch eine Geschichte von über 1500 Jahren bestätigte Tatsache ist die Quelle des politischen und kulturellen Reichtums Deutschlands. Man hüte sich, sie zum Versiegen zu bringen.«

      Über das Thema des Föderalismus und Zentralismus entwickelt sich eine reichliche Literatur einander widerstreitender Bücher, Flugschriften und Kommentare. Natürlich bricht der Streit in der Nationalversammlung heftig und leidenschaftlich aus. Dr. Spahn, der Zentrumsführer, erklärt am 28. März 1919: »Eine umfassende bundesstaatliche Organisation ist dem deutschen politischen Genius und dem Reichtum der deutschen Kulturtradition weit mehr angepasst.« Und der Kölner Abgeordnete Trimborn befürwortet die Errichtung einer rheinisch-westfälischen Republik, die, wie er sagt, die Zusammenarbeit mit Frankreich, Belgien und Holland gestatten, die wirtschaftliche Einheit des Niederrheins unangetastet lassen und aus dem Rhein den europäischen Strom im wahrsten Sinne des Wortes machen würde. Die Zentralisten rekrutieren sich aus der Rechten und aus der Linken der Nationalversammlung. Es sind die Preußen, die Nationalisten und die Militaristen, die Deutschnationalen, die Volksparteiler sowie die Mehrzahl der Demokraten und die Sozialisten beider Richtungen, Anhänger der einheitlichen und unteilbaren Republik. Hugo Preuß selbst ist Zentralist, aber er erfasst die Notwendigkeit, die preußische Hegemonie zu zerschlagen. Er wünscht eine einheitliche Republik, die nicht preußisch ist, und möchte deshalb Preußen in mehrere Teile zerlegen, in der Hoffnung, dass Bayern, Sachsen und Württemberg dem Beispiel folgen und es hinnehmen würden, nur noch Verwaltungsprovinzen zu sein.

      In dieser Auseinandersetzung führen die Zentralisten vier Arten von Argumenten ins Feld, die gewichtig sind und Eindruck machen:

      Sie beziehen sich auf den Gang der Entwicklung, der nicht aufgehalten oder zurückgedreht werden kann. Wie alle großen Staaten, leider ihnen gegenüber im Rückstand, geht Deutschland einer zunehmenden Einheit entgegen. Es ist vergebliche Liebesmüh, diesen natürlichen Prozess aufhalten zu wollen. Der Föderalismus war zulässig, solange es Dynastien gab. Diese aber sind verschwunden. Ihr Verschwinden soll für den deutschen Föderalismus das Grabgeläute sein.

      Eine der Ursachen des historischen Rückstandes, der chronischen Schwäche, in der sich Deutschland befindet, ist gerade das Überleben des Partikularismus. Einigkeit macht stark. Die Wiederaufrichtung des Reiches nach der Niederlage erfordert eine Verdichtung seiner Einheit, eine Festigung seiner zentralisierten Leitung. Die schweren Unruhen, die ausgebrochen sind und noch immer in den einzelnen Ländern schwelen, bekunden zwei Gefahren, die bolschewistische Gefahr und die Gefahr der Zerstückelung. Über Deutschland schwebt die Drohung, in eine revolutionäre Anarchie zu versinken und in Stücke zu zerfallen. Dem muss man vorbeugen.

      Man nimmt weiterhin eine Reihe verdächtiger Gleichsetzungen vor. Föderalismus ist gleichbedeutend mit Einverständnis mit dem Ausland. Einverständnis mit dem Ausland ist Landesverrat. Die Föderalisten sind Landesverräter, oder, wenn nicht Landesverräter, so doch schlechte Patrioten, schlechte Deutsche. In dieser Hinsicht haben die Dorten und Genossen, als sie sich an den französischen Oberbefehlshaber wandten, einen schweren Fehler begangen. Sie haben sich dem Verdacht und der Anklage ausgesetzt, Werkzeuge eines Frankreichs zu sein, das darauf erpicht ist, Deutschland auseinanderzureißen und das linke Rheinufer zu annektieren.

      Schließlich, und das nimmt am meisten Wunder, interessieren sich die siegreichen Alliierten, die mit Deutschland nach Belieben verfahren können, nicht für die Sache des Föderalismus. Sie begünstigen sie nicht. Sie glauben nicht, dass sie Zukunft hat. Sie geben