Von Versailles bis Potsdam. André François-Poncet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: André François-Poncet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783958902879
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widerspruchvollsten Umständen, denn er hat die Beamten des alten Regimes auf ihren Posten belassen und begnügt sich damit, sie zu kontrollieren. Das heißt, er ist von Reaktionären umgeben, die ihn verraten und verspotten. Auf Veranlassung Groeners möchte Ebert die Bevölkerung entwaffnen, sich der Extremisten entledigen und so bald wie möglich die Wahl einer konstituierenden Nationalversammlung in ganz Deutschland vornehmen lassen. Die Unabhängigen dagegen wollen die Bevölkerung bewaffnen, die Wahlen verschieben, Hindenburg absetzen, das Offizierskorps abschaffen und Sozialisierungsmaßnahmen ergreifen.

      Der Konflikt wird im Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin am 16. Dezember ausgetragen. Die Extremisten sind zunächst Sieger. Aber drei Tage später nimmt Ebert seine Rache. Ihm gelingt die Ernennung eines gemäßigten Zentralrats und die Festsetzung der Wahlen zur Nationalversammlung auf den 19. Januar 1919. Doch dies ist nur eine Phase des Kampfes. Am 23. Dezember umstellen die Matrosen die Reichskanzlei und schließen Ebert ein. Dieser alarmiert sofort das Große Hauptquartier, das inzwischen nach Kassel verlegt worden ist.

      Der Generalstab hält es für an der Zeit, Schluss zu machen. Er befiehlt dem General Lequis, dem Kommandanten der Berliner Garnison, die Aufrührer zur Vernunft zu bringen, besonders die Volksmarinedivision. Das Unternehmen schlägt völlig fehl. Am 24. Dezember fällt die Masse über die Soldaten her und hätte sie totgeschlagen, wenn sich nicht Ebert ins Zeug gelegt hätte. Aber die Extremisten verlieren sich in endlosen Debatten, anstatt ihren Erfolg auszunützen und den Massen die erwarteten Parolen zu geben. Ebert schwimmt dem Strom entgegen. Er botet die drei unabhängigen Volksbeauftragten Haase, Barth und Dittmann aus; sie finden sich mit ihrer Ausschließung ab, wohl in der Meinung, es sei vorteilhafter für sie, nicht in der Regierung zu sitzen. An ihrer Stelle werden zwei Mehrheitler, Noske und Wissell, ernannt. Der Rat der Volksbeauftragten steht fortan den Unabhängigen und Spartakisten in offener Feindschaft gegenüber und erscheint immer unverhüllter als ein Werkzeug des Generalstabs.

      Noske ist in der Tat der Mann der Generale und der alten Armee; er beherrscht fortan den Rat, in den er soeben eingetreten ist. Dieser ehemalige Holzarbeiter ist ein großer kräftiger Kerl mit gewaltigen Fäusten; ein starker Schnurrbart hängt unter seiner Nase, auf der eine goldene Brille sitzt. Auch er ist durch die Gewerkschaften in die Politik gekommen, ein militaristischer Sozialdemokrat, ein Feind der Revolution und der Unordnung. Er war Unteroffizier in den Schützengräben von 1914. Dort hat er eine dauerhafte Achtung vor der militärischen Autorität erworben. Außerdem ist er ein Mann der eisernen Faust, mit einer jeder Erprobung gewachsenen Energie und einem unbändigen Mut. Es fehlt ihm nicht an Brutalität. Das hat er in Kiel bewiesen, wo es ihm gelang, sich durchzusetzen und die Ordnung wiederherzustellen. Was er in Kiel getan hat, erreicht er mithilfe der Freikorps und des Generalstabs in Berlin und in ganz Deutschland, wo die Revolution zahlreiche Brandherde entfacht hat.

      In der zweiten Januarwoche 1919 rechnet Noske in Berlin, wo General von Lüttwitz die Nachfolge des General Lequis angetreten hat, mit den Spartakisten ab, die zur kommunistischen Partei geworden sind. Er bedient sich der Hilfe der Jäger des Generals Maercker, der Freikorps des Oberst Reinhard, des Majors von Stephanie, des Generals von Roeder, und der Gardekavallerieschützendivision des Generals von Hoffmann. In acht Tagen sind die Spartakisten niedergeworfen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden verhaftet und am 15. Januar in das Eden-Hotel, das Stabsquartier der Gardekavallerieschützendivision, gebracht. Im nahen Tiergarten werden sie halbtot geschlagen und mit Pistolenschüssen erledigt. Auf dieselbe Weise werden vom 2. bis 5. Februar in Bremen, dann an der Ruhr, wo General von Watter operiert, dann in Halle, wo General Maercker den Angriff leitet, die Extremisten unterworfen.

      Aber die Rohheit dieses Verfahrens und die Erinnerung an die im Januar erlittene Niederlage erwecken die revolutionäre Wut der Berliner Bevölkerung. Am 3. März rufen die Arbeiterräte den Generalstreik aus. Am 4. März setzen die Unterdrückungsmaßnahmen ein. Sie dauern bis zum 13. März. Diese Episode ist unter dem Namen der Berliner Blutwoche bekannt. Sie ist der Höhepunkt und der Zusammenbruch der zweiten deutschen Revolution.

      Zwischen den roten Milizen und den Matrosen einerseits und den Freikorps andererseits werden unbarmherzige Kämpfe geführt. Die Vergeltung ist furchtbar. Man zählt im Volke 1200 Tote und über 10 000 Verwundete. Noske ist auf der ganzen Linie siegreich. Magdeburg und Braunschweig, Hochburgen der Spartakisten und Unabhängigen, wo autonome Regierungen gebildet worden sind, welche die Beziehungen zu Berlin abgebrochen haben, werden vom 6. bis zum 13. April mehr oder weniger leicht zur Unterwerfung gezwungen.

      Vom 28. April bis zum 3. Mai 1919 wird auch Bayern gleichgeschaltet.

      Bayern hatte sich schon am 7. November mit dem Rufe »Los von Berlin!« empört und in München eine Regierung von Mehrheitssozialisten und Unabhängigen gebildet unter dem Vorsitz eines braven, treuherzigen und schwärmerischen, kindischen und begeisterten Mannes, eines langhaarigen, bärtigen, Brille tragenden und etwas unreinlichen Intellektuellen namens Kurt Eisner. Er schrak nicht davor zurück, die Verantwortlichkeit Deutschlands für den Kriegsausbruch von 1914 auszusprechen und deutlich föderalistische Thesen zu predigen. Danach brach auch er die Beziehungen zu Berlin ab, da Ebert ihn nicht angehört hatte. Er verfiel schnell der Missachtung und wurde am 21. Februar 1919 von einem jungen Offizier, dem Grafen Arco-Valley, ermordet. Aber sein Tod wirkte wie ein Peitschenhieb auf den revolutionären Schwung. Eine Räterepublik wurde proklamiert, die sofort Beziehungen zum Ungarn des Bela Khun und zu Sowjetrussland anknüpfte. An keiner Stelle stand in Deutschland der Kommunismus so dicht vor dem Erfolg. Es kam so weit, dass drei russische Agenten, Max Levien, Eugen Léviné und Tobias Akselrod, die Führung übernahmen. Eine sozialistische Gegenregierung hatte sich unter der Führung Hoffmanns gebildet und war nach Bamberg geflohen. Bayern zerfiel in zwei sich bekämpfende Lager. Man muss sich an diese Atmosphäre und diese Umstände erinnern, weil sie zweifelsohne einen Einfluss auf die Ideenrichtung Adolf Hitlers ausgeübt haben, als er nach Kriegsende in die Münchener Kaserne zurückkehrte und dort entlassen werden sollte. Auf den Hilferuf Hoffmanns unternimmt Noske einen förmlichen Feldzug, um die Münchener Kommunisten zu liquidieren. Der Operationsplan wurde von einem Offizier des Generalstabs, dem Major von Hammerstein, entworfen, der später Chef der Reichswehr werden sollte. In zwei Tagen, vom 28. bis zum 30. April 1919, wurde er ausgeführt, nicht ohne grausame Zusammenstöße und beiderseitige Geiselmorde.

      Schließlich erleidet Sachsen, wo die Revolutionsregierung, die den König Friedrich August III. verjagt hatte, auf Veranlassung eines Arbeiter- und Soldatenrats eine autonome Politik separatistischen Charakters betrieb, dasselbe Schicksal wie die Nachbarstaaten. Es ist Gegenstand einer wiederum von General Maercker geführten Strafexpedition.

      Im Frühling 1919 ist mithin die revolutionäre Bewegung, die im Herbst 1918 ausgebrochen war, unterdrückt. Das Schicksal der deutschen Revolution ist besiegelt. Sie hatte die Wahl zwischen dem Kommunismus, dem unabhängigen Sozialismus und der Mehrheitssozialdemokratie. Dieser gab sie den Vorzug. Aber da die Mehrheitssozialdemokratie keine Revolutionspartei ist, vielmehr eine Evolution im Sinne eines demokratischen Liberalismus erstrebt, bedeutet dies, dass die deutsche Revolution durch eigene Hand gefallen ist.

      Ihre inneren Zwistigkeiten haben sie vom ersten Tage an gelähmt. Aber auch ohne diese wäre sie gescheitert. Denn hinter ihr stand, um sie aus Überzeugung zu verteidigen, nur eine kleine Minderheit. Die ungeheure Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit lehnte sie ab. Und die damalige europäische Öffentlichkeit, erschreckt durch das Bild des Bolschewiken mit dem Messer zwischen den Zähnen, hätte sich durch einen etwaigen Erfolg beunruhigt gefühlt, hätte ihn vielleicht nicht einmal geduldet. Doch bedurfte die Sozialdemokratie zur Niederschlagung ihrer feindlichen Brüder der Unterstützung des Generalstabs, der Freikorps und der herrschenden Klassen des alten Regimes. Sie verständigte sich mit ihnen. Die Militärs, Nationalisten und Reaktionäre retteten Ebert, aber in gewiss noch höherem Maße retteten Ebert und Noske die Militärs, die Nationalisten und Reaktionäre, die herrschenden Kreise des alten Regimes. Sie halfen ihnen, sich der Volksrache zu entziehen, die sie wegen des Unglücks, in das sie das Reich gestürzt, heraufbeschworen hatten. Sie dienten ihnen als Schutzschild, ernteten aber wenig Dank dafür. Die militärischen Kreise sehen in ihnen auch weiterhin nur »Rote«, Helfershelfer der Revolution. Sie werden in die Dolchstoßlegende miteinbezogen, die ja so bequem ist, um sich selbst zu entlasten und die anderen mit Schande zu bedecken. Sie bedienen sich der Sozialdemokratie