Von Versailles bis Potsdam. André François-Poncet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: André François-Poncet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783958902879
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hinsichtlich der Häfen, Wasserstraßen und Eisenbahnen, Teil XIII über die Organisation der Arbeit und das Internationale Arbeitsamt, und uns sofort Teil XIV zuwenden mit der Überschrift »Sicherheiten für die Ausführung«.

      Um aufgrund der Artikel dieses Teiles die Ausführung des Vertrages zu sichern, sollten Truppen der alliierten und assoziierten Mächte das deutsche Gebiet westlich des Rheins »einschließlich der Gesamtheit der Brückenköpfe« fünfzehn Jahre lang besetzen. Bei getreuer Erfüllung der Vertragsbedingungen sollte die Kölner Zone nach fünf Jahren, die Koblenzer Zone nach zehn Jahren geräumt werden. Die Räumung der Mainzer Zone und des Brückenkopfes von Kehl war nach Ablauf von fünfzehn Jahren vorgesehen. Wenn aber zu diesem Zeitpunkte die Sicherheiten gegen einen nichtprovozierten Angriff Deutschlands als unzureichend betrachtet wurden, konnte die Räumung so lange aufgeschoben werden, wie man es für nötig hielt, um diese Garantien zu erhalten. Stellte die Reparationskommission vor oder nach Ablauf der fünfzehn Jahre fest, dass Deutschland sich weigerte, die Gesamtheit oder einzelne der Reparationsverpflichtungen des Vertrages zu erfüllen, so durften die Besatzungszonen sofort ganz oder teilweise von Neuem besetzt werden.

      Ein Rheinlandstatut ergänzte diese Bestimmungen und schuf in den besetzten Gebieten eine »Hohe Interalliierte Kommission für die rheinischen Gebiete« (H.C.I.T.R.), die aus vier Mitgliedern bestand – je einem belgischen, französischen, englischen und amerikanischen – und beauftragt war, Verordnungen, gegebenenfalls bis zur Ausrufung des Belagerungszustandes, zu erlassen, um Unterhalt, Sicherheit und Bedürfnisse der alliierten und assoziierten Streitkräfte zu gewährleisten.

      Dies waren im Wesentlichen die Ergebnisse der Verhandlungen und Arbeiten der Friedenskonferenzen. Es wird immer eine beachtenswerte Leistung und ein schwer zu überbietender Rekord bleiben, dass diese Ergebnisse in vier Monaten, von Januar bis Mai 1919, erreicht und in einem konstruktiv fest zusammenhängenden Vertragswerk niedergelegt wurden, das so klar in seinen Richtlinien und so präzis auch in den geringfügigsten Einzelheiten seiner zahlreichen Anlagen und dessen Text in einer so klaren, gehaltvollen und sorgfältigen Sprache abgefasst war. Die Vergleiche, die sich in unseren Tagen aufdrängen, scheinen diesen Eindruck nicht abschwächen zu können. Ich persönlich zweifle nicht daran, dass die Nachwelt den Vertrag von Versailles als ein Denkmal ansehen wird, das von großer geistiger Kraft Zeugnis ablegt und das Verdienst hat, reiflich durchdacht zu sein, mag diese Nachwelt auch sonst über die in dem Vertrage steckende Mäßigung und die praktische Durchführbarkeit oder über die Illusionen und Utopien, denen man sich hingab, urteilen, wie sie will.

      Diese Ergebnisse waren aber nicht ohne Mühen erreicht worden. Wenn es sich darum handelt, den gemeinsamen Feind zu schlagen, dann halten die Koalitionen einigermaßen zusammen. Sobald er geschlagen ist, geraten sie ins Schwanken. Die Kraft, die sie vereinigte, der Siegeswille oder die Furcht vor der Niederlage lassen nach, da sie gegenstandslos wurden. Es ist deshalb schwieriger, einen Koalitionsfrieden zu schließen als einen Koalitionskrieg zu führen, der übrigens an sich schon zur Ursache manchen Streits und manchen Hindernisses wird. Man hebt gern die Charakterunterschiede der drei beherrschenden Persönlichkeiten der Friedenskonferenz hervor. Der »Tiger« Clemenceau, ein sarkastischer Spötter, Realist, glühender Patriot, zur Menschenverachtung neigend, lebhaft, stürmisch und keinen Widerspruch duldend, autoritär, dickköpfig und wenig umgänglich. Lloyd George, geistsprühend, spitzfindig, beredsam, verführerisch, aber unwissend und ungebildet, zynisch und wankelmütig, ein auf die Schwankungen der öffentlichen Meinung achtender Demagoge, voll persönlicher Eitelkeit und nationaler Voreingenommenheit, im Grunde von Abneigung gegen Frankreich erfüllt. Wilson, schulmeisternd, idealistisch, großmütig, über Zufallswidrigkeiten schwebend, von dem Gedanken besessen, das Zeitalter der Kriege für immer zu beenden und die Welt zu erneuern, durch eine großartige und nie dagewesene Organisation die Herrschaft der internationalen Gerechtigkeit, des ewigen Friedens und der Völkerverständigung einzuleiten, von der menschlichen und amerikanischen Größe seiner Sendung überzeugt, enttäuscht und verletzt durch die Bedenken seiner Gegenspieler wie durch die Einwände seiner eigenen Landsleute.

      Selbst wenn sich diese drei Männer ähnlicher gewesen wären, so hätten sie sich doch nicht weniger erbittert auseinandergesetzt und nicht leichter verständigt. Sie vertraten Länder, die im Kriege nicht dieselbe Rolle gespielt, nicht die gleichen Leiden durchgemacht hatten und deren geschichtliche Überlieferungen, deren gegenwärtige und zukünftige Interessen auseinandergingen.

      Frankreich hatte die Hauptlast des Krieges getragen und die größten Opfer gebracht. Zehn seiner Departements waren verwüstet, 1 500 000 seiner Söhne gefallen. Es wollte die Sicherheit haben, dass sich eine derartige Prüfung, die zweite in weniger als fünfzig Jahren, nicht wiederholte, dass Deutschland außerstandgesetzt würde, Frankreich zu schaden. Seine Sicherheit sollte endgültig garantiert werden. Gleichzeitig schien ihm die Wiedergutmachung seiner Kriegsschäden durch ihre Urheber, die einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hatten, ein Gebot der Gerechtigkeit. Frankreich hatte als Kriegsschauplatz gedient. Es zählte mehr Tote und Verwundete als alle seine Verbündeten. Es empörte sich gegen den Gedanken, dass es unter Umständen aus eigenen Mitteln seine zerstörten Häuser, Fabriken und Bergwerke wiederherstellen und die Pensionen für seine Kriegsversehrten, Witwen und Waisen bezahlen sollte. England erhob nicht die gleichen Sicherheits- und Wiedergutmachungsforderungen. Es hatte sich in Scapa Flow die ganze deutsche Kriegsflotte ausliefern lassen. Das war ihm Hauptangelegenheit. Von einem Deutschland ohne Marine und ohne Kolonien fühlte es sich nicht mehr beunruhigt. Es hatte keine Invasion erlebt. Es glaubte auch nicht, dass es jemals den Feind im Lande haben könne. Weder seine Häuser noch seine Fabriken und Bergwerke hatten Schaden gelitten. Dagegen erinnerte es sich daran, dass Deutschland als Lieferant und Kunde stets ein vorzüglicher Partner gewesen war, und es wünschte, so bald wie möglich seine geschäftlichen Beziehungen zu ihm wiederaufzunehmen. Deshalb durfte das Reich nicht allzu geschwächt werden. Außerdem war England in viel geringerem Maße europäische Macht als Frankreich. Seine Dominien, das »Commonwealth«, nahmen seine Aufmerksamkeit mindestens ebenso in Anspruch. Es war ihm unangenehm, dass Europa weiterhin sein Sorgenkind bleiben könnte. Der Blick, den es auf den Kontinent richtete, war jetzt durch die Furcht getrübt, Frankreich könnte dort zu stark werden, nach der Ausschaltung Deutschlands eine zu große Rolle spielen, einem Expansions- und Annexionsdrang nachgeben und in Europa eine Hegemonie ausüben. In der Vergangenheit hatte England stets die Macht bekämpft, die kontinentale Hegemonie anstrebte, das Frankreich Napoleons, das Deutschland Wilhelms II. Am Tage nach dem Siege erschien ihm Frankreich wieder gefährlich. Als ich im Oktober 1919 Mitglied einer zu einer Reise in die Vereinigten Staaten eingeladenen Handelsdelegation war, wurde ich mit meinen Kollegen vor der Abreise von Georges Clemenceau empfangen. Der »Tiger«, der immer ein herzlicher Freund Englands gewesen war und darunter zu leiden hatte, sagte uns dem Sinne nach etwa Folgendes: »England ist die Enttäuschung meines Lebens. Kein Tag vergeht, ohne dass ich von irgendeinem unserer Auslandsvertreter Berichte erhalte, worin wirklich feindselige Handlungen Englands gemeldet werden. Ich hatte geglaubt, dass die Waffenbrüderschaft, das gemeinsam vergossene Blut die alten überlieferten Vorurteile beseitigen würden. Davon ist keine Rede. Aber das ist nun mal so! In den Vereinigten Staaten ist es anders. Von dort ist noch etwas zu erhoffen; wir können auf Freundschaft rechnen. Ich wünsche Ihnen gute Reise und guten Erfolg!« Fünf Monate später weigerte sich der amerikanische Senat, den Vertrag zu ratifizieren, zu dessen Ausarbeitung Präsident Wilson so wesentlich beigetragen hatte.

      Der Grund war, dass die Vereinigten Staaten noch stark der Monroedoktrin, dem überlieferten Isolationismus, anhingen. Sich so weit davon zu befreien, dass sie ein Heer aufstellten und über den Atlantik sandten, bedeutete für sie eine Initiative, eine Neuerung, eine ungewöhnlich kühne und gewagte Abweichung von allem Herkömmlichen. Die Erinnerung an Lafayette, die Gelegenheit, England, dem früheren Herrn, zu Hilfe zu eilen, hatten der Fantasie und dem Empfinden der Amerikaner geschmeichelt. Ihr stürmischer Idealismus hatte sich an dem Gedanken entflammt, in Europa zu erscheinen mit dem Ruf: »Lafayette, hier sind wir!«, als Befreier der unterdrückten Nationen, als Werkmeister der Befriedung, als Stifter einer neuen Ordnung, die in der Geschichte des Kontinents und der Menschheit einen entscheidenden Abschnitt darstellen sollte. Doch ihr anfänglicher Schwung war erlahmt. Sie waren erstaunt und entrüstet, dass man sich auf ihre Anregungen nicht mit mehr Begeisterung und Dankbarkeit stürzte; sie waren überrascht von den Hindernissen, denen sie begegneten