Die Amulettmagier. Natascha Honegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natascha Honegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741930
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bei dir liegt der Grund darin, dass du aus Merlina kommst. Diese Stadt ist viel zu abgelegen, als dass sie den Tyrannen interessieren würde. Vermutlich hat er an diesem Ort keine Amulettmagierin vermutet. Ich jedenfalls hätte das nicht. Dann bei mir … Wie du weißt, hätten sie mich damals, als ich vier war, beinahe geschnappt. Danach wurde ich niemals richtig beachtet, und als ich mich schließlich den Dieben anschloss, lernte ich sehr schnell, wie man sich unauffällig bewegt und rasch untertauchen kann.

      Wieso Valeria und Alessandro noch leben, weiß ich nicht, aber ich denke mal, dass Vega und Massimo dafür gesorgt haben, dass sie niemandem auffallen.“

      „Ja, so muss es sein.“ Isa dachte an Vegas Augentropfen und nickte. „Oh, sieh mal! Ich glaube, Vega sucht nach uns.“ Isa nickte mit dem Kopf in Richtung der schwarzhaarigen Frau, die auf sie zugeeilt kam und ihnen aufgeregt zuwinkte.

      „Ja, scheint so. Sonst würde sie kaum so herumfuchteln, was?“ Jerino lachte fröhlich und Isa stimmte mit ein.

      „Da seid ihr ja! Das Schiff legt schon bald ab“, rief Vega ihnen bereits von Weitem zu und stieß keuchend zu ihnen. „Beeilung!“

      Die Veranza, wie der Frachter hieß, mit dem sie nach Sentak übersetzen sollten, gehörte zu den mittelgroßen Schiffen, die im Hafen vor Anker lagen. Sie sollte eine Ladung edler Teppiche zur Insel bringen, die dort an reiche Kunden und andere Händler weiterverkauft werden würde.

      Es gab nur drei Kabinen an Bord. In der einen schliefen Isa und Vega, die zweite teilten sich Massimo und Jerino und die dritte bewohnte der Kapitän. Die Crew schlief in Hängematten im Frachtraum.

      Isa verbrachte die meiste Zeit der Reise auf dem großen Deck des Schiffs. Der Fahrtwind und die kühle Seeluft taten ihr gut. Anfangs war ihr vom ständigen Auf und Ab des Schiffes ziemlich übel geworden, doch hier an der frischen Luft war es erträglich. Glücklicherweise war sie dadurch auch nicht richtig seekrank geworden. Ganz im Gegensatz zu Vega. Diese hatte eine ungesunde grünliche Farbe angenommen und musste sich immer wieder übergeben. Den ganzen Tag lang lag sie in der Kabine und der Geruch darin zwang Isa dazu, fast die ganze Nacht an Deck zu verbringen.

      Doch das war nicht das Schlimmste auf diesem Schiff. Die Mannschaft des Frachters war schlimmer. Mit Ausnahme des Kapitäns waren sie alle etwas merkwürdig und Isa fürchtete sich vor ihnen. Mit den Tätowierungen auf ihren muskelbepackten Armen (was bei Seeleuten nichts Ungewöhnliches war) hatte das nichts zu tun. Nein, es waren ihre Gesichter, die Isa einschüchterten: Sie waren grimmig und verschlossen und lachten niemals. Es fühlte sich an, als würden sie etwas planen. Gefahr lag in der Luft und umhüllte das Schiff wie eine Wolke. Doch Isa erzählte niemandem davon. Die anderen würden sie bestimmt für verrückt erklären.

      Den größten Teil der Reise verbrachte Jerino mit ihr an Deck und so lernten sich die beiden immer besser kennen. Doch manchmal konnte sie den Jungen nirgendwo finden, weder in seiner Kabine noch an Deck.

      „Was um alles in der Welt treibt er in dieser Zeit?“, fragte sich Isa, als er wieder einmal spurlos verschwunden war. Versuchte er, etwas vor ihr zu verheimlichen?

      Am zweiten Tag der Überfahrt beschloss sie, ihn zur Rede zu stellen. Draußen tobte ein Unwetter und die Wellen schlugen meterhoch gegen das Schiff. Wegen der Gefahr, über Bord gespült zu werden, konnten sie also nicht an Deck und so zogen sie sich in Jerinos Zimmer zurück. Isa war übel von dem Geschaukel, aber das wollte sie dem Jungen keinesfalls zeigen. Solange sie nicht in ihre eigene Kabine musste, in der immer noch Vega mit ihrer Seekrankheit lag und es grauenhaft nach Übergebenem roch, würde sich der Inhalt ihres Magens nicht nach außen kehren. Andernfalls schon.

      „Was treibst du eigentlich in der Zeit, in der du weder auf Deck noch in deiner Kabine bist?“, fragte sie ihn, um auf andere Gedanken zu kommen.

      Jerino war nicht auf diese Frage gefasst gewesen und blickte sie erschrocken an.

      „Das ist dir aufgefallen?“ Er runzelte die Stirn.

      „Das Schiff ist nicht besonders groß. Da fällt es schon auf, wenn du einfach verschwindest.“

      Er schien fieberhaft darüber nachzudenken, ob er ihr die Wahrheit sagen sollte.

      „Warte kurz“, sagte er schließlich, stand auf, öffnete die Tür und spähte in den Gang hinaus. Niemand war zu sehen. Er schloss die Tür wieder und begann, in leisem Ton zu sprechen.

      „Eigentlich hast du ein gutes Recht zu erfahren, was los ist. Schließlich sitzt du hier genauso in der Klemme wie wir alle, aber Massimo wollte nicht, dass ich mit dir darüber spreche. Er wollte dich nicht beunruhigen.“

      „Beunruhigen? Beunruhigen!?“, begehrte Isa auf. Ihre Augen funkelten. „Also bitte! Ich bin vielleicht ein Mädchen, aber so schnell lasse ich mich nicht beunruhigen!“

      Jerino lachte. „Das habe ich mir schon gedacht.“ Dann wurde er wieder ernst. „Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt. Dieses Schiff war mir von Anfang an nicht geheuer, du weißt ja, wie die Matrosen sind, und jetzt hoffe ich nur, dass wir schnell genug das Festland erreichen, bevor …“

      Isa zählte eins und eins zusammen und vermutete plötzlich, worauf er hinauswollte. „Eine Meuterei?“

      Er blickte sie erstaunt an. „Ja. Die Matrosen planen eine Meuterei. Woher wusstest du das?“

      „Dein Gesicht spricht Bände“, erläuterte sie und fragte dann etwas beleidigt: „Wer weiß alles davon?“

      „Nur Massimo und der Kapitän. Vega kann man ja nicht ansprechen, ohne dass sie sich übergibt.“

      „Ach, und ich gehöre wahrscheinlich auch zu den Kranken? Man lässt mich einfach im Dunkeln tappen, weil ich vielleicht in Ohnmacht fallen könnte, wenn ich höre, dass wir mit einer Gruppe Banditen auf einem kleinen Schiff festsitzen! Ja, verdammt noch mal!“, rief das Mädchen wütend. Isa hasste es, über etwas nicht informiert zu sein. „Wenn sie mir dann eines Nachts die Kehle durchgeschnitten hätten, dann wäre das vermutlich viel besser gewesen, ja!?“

      „Pscht! Nicht so laut! Wenn die uns hören, sind wir so gut wie tot! Ich gebe es ja zu, es war ein Fehler, dir nichts zu sagen.“

      „Ja. Das war wirklich, wirklich dumm!“

      Isa stürmte an Deck. Es war ihr egal, ob das klug war oder nicht, ob das Meer sie wegspülen würde oder nicht. Sie brauchte frische Luft, um nachzudenken und ihre Übelkeit zu bekämpfen. Sie schlug mit einem lauten Knall die Tür auf und wäre beinahe auf dem nassen Deck ausgerutscht. Im letzten Moment konnte sie sich an einer Stange festhalten und wieder auf die Beine ziehen.

      Isa warf wütend ihre Magie gegen das Unwetter und zu ihrem Erstaunen begann sich der Himmel zu lichten. Der Sturm ließ nach und es nieselte nur noch leicht. Sie ging zur Reling und blickte auf die Wellen hinaus. Sie waren nun nicht mehr die tobenden Monster von vorher, aber immer noch groß genug.

      „Eine Meuterei … Oh weh!“, dachte sie.

      Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Sie drehte sich um, ganz in der Erwartung, Jerino hinter sich zu sehen. Doch stattdessen stand dort einer der Matrosen mit einem Messer in der Hand und kam langsam auf sie zu.

      „Was zum Teufel …“ Erschrocken trat sie einen Schritt zurück, verlor prompt das Gleichgewicht, versuchte sich am glitschigen Geländer festzuhalten und stürzte dann kopfüber ins tiefblaue Wasser des Meeres.

      Der Wind zischte an ihr vorbei, als sie fiel, dann schlug das Wasser über ihr zusammen. Ihre schweren Gewänder sogen sich mit Wasser voll und zogen sie rasch in die Tiefe. Isa bekam Panik.

      „Oh nein! Ich kann doch gar nicht schwimmen“, schrie eine Stimme in ihr. Sie spürte, wie sie tiefer sank. Vor Schreck war sie wie gelähmt. Ihre Lungen begannen, sich langsam zusammenzuziehen.

      Luft! Sie brauchte Luft! Endlich löste sie sich aus ihrer Erstarrung. Panisch begann sie, mit den Füßen zu strampeln und Wasser zu treten. Doch ihre Kleider waren viel zu schwer. Verzweifelt versuchte sie, sie abzustreifen, doch die eng gebundenen