Die Amulettmagier. Natascha Honegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natascha Honegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741930
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Vega zum Richter eilte, erhob sich dieser rasch und verbeugte sich tief vor ihr. Mit leiser Stimme redete sie auf ihn ein, ehe auch Massimo hinzutrat und sich ebenfalls in das Gespräch einmischte.

      Worte wie „Dieb“, „Herumtreiber“ und „böse“ drangen an ihr Ohr, doch Isa achtete nicht groß darauf. Erst als der Richter das Wort „Magie“ fallen ließ, zuckte sie kurz zusammen. Den Rest des Satzes konnte sie nicht verstehen. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Wenn sie bloß keine Probleme bekamen …

      Da Isa den größten Teil der Unterhaltung nicht mitbekam, glitten ihre Augen durch den Raum, ehe sie auf den Jungen trafen, der noch immer am selben Ort stand.

      Er blickte sie nicht an, sondern starrte teilnahmslos zu Boden. Wie hübsch er doch war! Braunes, strubbeliges Haar, ein schönes Gesicht und die blauen Augen, die man im Moment nicht sehen konnte. Er war genau ihr Typ, doch das hätte sie niemals zugegeben.

      Nach einigen Minuten glitten die beiden Erwachsenen endlich zu ihren Plätzen zurück und Isa war erleichtert zu sehen, dass sie zufrieden lächelten. Das Mädchen seufzte leise auf. Die beiden schienen den Richter überzeugt zu haben, Jerino freizulassen.

      Als schließlich auch alle anderen Anwesenden, Isa eingeschlossen, wieder ihre Plätze eingenommen hatten und Ruhe im Saal eingekehrt war, erhob der Richter erneut seine eintönige Stimme.

      „Dem Angeklagten ist es gestattet, zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden: Arbeit in den Minen oder eine Beschäftigung im Haus der Familie Aleander.“

      Jerino zögerte. Er schien nicht recht zu wissen, was er von dieser neuen Möglichkeit halten sollte und was von ihm erwartet wurde. Musste er etwas sagen oder nicht? Unruhig wechselte der Junge von einem Bein auf das andere.

      „Entscheide dich“, blaffte ihn der Richter an. „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

      „Familie Aleander“, murmelte der Junge schnell. Die Minen wären sein Todesurteil gewesen. So schlimm konnte nicht einmal eine adlige Familie sein. Vor allem eine, deren eines Mitglied ihn ungemein interessierte: das Mädchen mit dem blonden Haar und den hellblauen Augen. Es besaß Magie. Eine Menge Magie.

      Jerino zuckte zusammen, als der Richter mit seinem Hammer dröhnend auf den Tisch schlug und verkündete: „Verurteilt zu einer Beschäftigung im Haus der Familie Aleander.“ Er holte kurz Luft und rief dann: „Bringt den nächsten Gefangenen herein.“

      Währenddessen waren Vega und Massimo zu Jerino getreten, der unschlüssig stehen geblieben war, als die beiden Wachen, die ihn bisher flankiert hatten, plötzlich verschwunden waren.

      Kurz wechselten Isas Adoptiveltern einige Worte mit ihm, ehe sie in ihre Richtung kamen und rasch das Gerichtsgebäude verließen.

      Erst einige Straßen weiter hielt Vega plötzlich inne und meinte, das Schweigen brechend: „So, ich denke, wir sollten uns einander vorstellen. Jerino, ich bin Vega, das ist Massimo und diese junge Dame hier ist Isalia.“

      „Isa“, murrte das Mädchen leise. „Einfach nur Isa.“

      Jerinos Blick fuhr flüchtig über die beiden Erwachsenen und blieb dann an Isa hängen. „Schön, dich kennenzulernen“, sagte er mit einer sanften, wohlklingenden Stimme. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mich da herausholst. Wieso hast du das gemacht? Es muss doch einen Grund dafür geben?“

      Isa kniff die Lippen zusammen und nickte dann langsam. „Vielleicht hast du schon bemerkt, dass wir einige Gemeinsamkeiten haben, die normale Menschen nicht mit uns teilen …“, begann Isa.

      „Du meinst unsere Augen?“

      „Nicht nur. Ich meine auch die …“, sie senkte die Stimme auf einen Flüsterton, „… die Magie.“

      Das Lächeln des Jungen verschwand und er wurde schlagartig käseweiß. Gehetzt blickte er zu den beiden Erwachsenen, dann zu Isa. Diese lächelte.

      „Du kannst mir und ihnen gleichermaßen vertrauen. Vega ist eine Magierin, ich auch.“

      Der Junge schüttelte jedoch nur ruckartig den Kopf und blickte auf seine Fußspitzen. „Ich vertraue niemandem. Schon gar nicht dann, wenn es sich um Pecunabundas handelt.“

      „Pecunabundas? Was ist das denn für ein Wort?“ Vega schien entsetzt zu sein.

      „Diebessprache“, meinte Isa schulterzuckend. „Ein Schimpfwort für reiche Leute.“

      Jerino musterte sie verblüfft. „Woher kennst du unsere Sprache?“, fragte er in der Sprache der Diebe.

      Isa verdrehte die Augen und antwortete ihm in derselben Sprache: „Ich bin nicht in einem riesigen, vergoldeten Haus mit Gardinen aus grünem Samt aufgewachsen, falls du das meinst, sondern in einem Waisenhaus. Da macht man manchmal die Bekanntschaft von Dieben.“

      Jerino prustete plötzlich laut los. „Keine Lady, ein Waisenmädchen!“, gluckste er, krümmte sich vor Lachen und wechselte dann unter den schockierten Blicken der Erwachsenen in die normale Sprache zurück. „Ah, jetzt wird mir einiges klar! Dein Angriff heute Morgen und alles … Glaube mir, deine Reaktion war mir ein unlösbares Rätsel. Ich habe mich zu Tode gefürchtet, als du dich auf mich gestürzt hast. Die anderen Reichen schreien nur herum und hoffen vermutlich, dass ich von dem Gekreische bewusstlos werde.“ Er schüttelte lachend den Kopf. Isa war während seiner Worte immer röter geworden und auch Vega hatte eine ungewöhnlich rote Farbe angenommen.

      Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Oh weh, das kann ja noch was werden! Und Isalia? Wieso – sprichst – du – DIEBISCH?“

      Isa lächelte herzerwärmend. „Ein ehemaliger Dieb hat es mir beigebracht. Oben in Merlina. Er konnte lesen und schreiben und vier verschiedene Sprachen sprechen.“

      „Das muss ein Scherz sein!“

      Isa stöhnte. „Ist es aber nicht.“

      „Vielleicht habe ich einige Vorurteile den Dieben gegenüber, aber das ändert nichts daran, dass sie Kriminelle sind“, erwiderte Vega naserümpfend.

      Dem Jungen sah man nicht an, was er dachte. „Was ist, wenn ich nicht mit euch kommen möchte?“ Die Frage kam so plötzlich, dass Isa zusammenzuckte.

      „Du willst nicht mit uns kommen?“, fragte sie entsetzt.

      „Nein.“

      „Vielleicht ist das für dich jetzt schwer zu verstehen, aber es ist nicht dein Schicksal, hier in Karpensas weiterhin ein Leben als Dieb zu führen“, brauste Vega auf und sah aus, als hätte sie ihn am liebsten durchgeschüttelt.

      „Jerino, du bist ein Amulettmagier! Ich könnte dir jetzt sagen, dass du frei bist zu gehen, wohin du willst, aber bedenke, dass dich irgendwann dein Schicksal einholen wird. Du musst lernen, deine Kräfte zu beherrschen, sonst beherrschen sie dich!“

      „Außer ich trage dieses Amulettding nicht“, erwiderte der Junge ungerührt. „Dann können mich meine Kräfte nicht beherrschen, weil ich keine Magie besitze.“

      „Du besitzt sehr wohl Magie, auch ohne Amulett.“ Vegas Stimme war nun sehr ernst. „Sie kann dich nicht beherrschen, das ist richtig, aber wie lange kannst du noch von deinem Amulett wegbleiben?“

      „Das ist mir egal!“

      „Sei nicht naiv!“

      „Ich bin ein Dieb und Diebe neigen dazu, naiv zu sein, oder nicht?“ Jerinos Stimme triefte vor Spott, dann trat er einen Schritt von der Gruppe weg. „Ich habe keine Lust mit euch zu gehen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und rannte fort. Die drei Aleanders sahen ihm kopfschüttelnd nach.

      Jerino lief atemlos durch die Straßen von Karpensas. Einmal nahm er einen Geheimgang, dann kletterte er über ein Dach und stieg in einer Sackgasse in das geheime Labyrinth der Diebe hinab. Nur weit weg wollte er von den drei Menschen, die ihn aus dem Gefängnis herausgeholt hatten. Er war sich nicht ganz sicher, wieso eigentlich, aber er hatte