Die Amulettmagier. Natascha Honegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natascha Honegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741930
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wie Ihr Euch einer Adligen gegenüber zu verhalten habt?“, fragte sie mit fester Stimme und beugte sich zu der Frau vor, die eingeschüchtert den Kopf schüttelte. Da richtete sich Vega wieder gerade auf, schnaubte herablassend und ließ ihren Kopf kurz über alle anderen Anwesenden schweifen, die sich schnell wieder ihren Gesprächspartnern zuwandten. Dann sah sie erneut die Empfangsdame an. „Nun? Habt Ihr noch etwas zu sagen?“

      „Nein, nichts Lady“, hauchte sie und händigte ihnen unter vielen Entschuldigungen zwei Schlüssel aus.

      „Komm“, sagte Vega freundlich zu Isa, die nur noch von hier fort wollte. „Unsere Zimmer liegen ganz oben. Die Aussicht dort ist wundervoll.“

      Dann sah sie Isas Gesicht und ein mitleidvoller Ausdruck trat in ihre Augen. „Oh, Kindchen! Lass dich doch von diesen Leuten nicht erschrecken. Sie sind nichts weiter als reiche Dummköpfe, die den Bezug zur normalen Welt verloren haben.“

      Isa lief hochrot an und grummelte: „Ich würde mich von denen doch nicht einschüchtern lassen!“ Sie reckte das Kinn in die Höhe und schnaubte. Immerhin war sie eine Magierin und diese Adligen waren nichts weiter als Marionetten von König Salsar. „Nein“, wiederholte Isa. „So schnell lasse ich mich nicht einschüchtern!“

      Ihre Adoptivmutter lachte. „Na bitte! Das ist das starke Mädchen, das wir in Merlina kennengelernt haben! Und trotzdem …“ Sie warf einen Blick auf Isas Kleider. „Die Frau hatte recht: Du brauchst dringend ein Bad und passende Kleider. Aber das kann bis morgen warten.“

      Isas Zimmer mit eigenem Balkon lag neben dem der beiden Erwachsenen und war genauso prunkvoll eingerichtet wie der Rest des Hauses. Die Möbel waren aus edlem Holz, vergoldet und mit Samt überzogen, und wie Vega gesagt hatte, war die Aussicht einfach wundervoll: Man konnte sogar bis zum tiefblauen Meer sehen. Glitzernd spiegelten sich die letzten Sonnenstrahlen im Wasser und färbten es rot.

      Der Anblick war so schön, dass Isa aus dem Staunen kaum herauskam. Einige Minuten genoss sie noch die Aussicht, dann entdeckte sie das riesige Himmelbett und ihr fiel auf, wie müde sie eigentlich war. Rasch zog sie sich das Nachthemd über, das Vega ihr mitgegeben hatte – ein hellblaues aus feiner Seide – und ließ sich dann auf das Bett fallen. Ihr Kopf versank tief in den weichen Federkissen und sie schlief sofort ein, überwältigt von der anstrengenden Reise.

      *

      Eine ungewöhnliche Begegnung

      Als Isa am nächsten Morgen erwachte, fand sie einen hauchdünnen, rosafarbenen Umschlag neben ihrem Bett liegen. Verwundert nahm sie ihn in die Hand, wendete ihn hin und her und erkannte dann das Siegel der Familie Aleander auf der Rückseite.

      Noch ein wenig verschlafen öffnete sie den Brief und zog ein gefaltetes Stück Papier hervor. In der zierlichen Schrift Vegas standen folgende Worte darauf:

      Liebe Isalia,

      wir sind zum Hafen gefahren, um ein Schiff zu finden, das uns morgen nach Sentak mitnimmt. Ich habe dir einige nützliche Dinge bereitgelegt, darunter auch ein Kleid in deiner Größe. Falls du damit Hilfe brauchst, kannst du mit dem Glockenzug neben der Tür eine der Angestellten rufen.

      Wenn du die Stadt zu erkunden gedenkst, sei vorsichtig und gehe nicht allzu weit fort von hier. Es gibt Orte in der Stadt, die nicht sicher für dich wären.

      Grüße

      Vega und Massimo Aleander

      PS: Die Tropfen in der Phiole neben deinem Bett sind gegen deine leuchtenden Augen. Solange du in der Sonne stehst, werden sie dadurch aussehen wie alle anderen Augen auch.

      Isa legte den Brief beiseite und nahm die Phiole, die auf ihrem Nachttisch lag, in die Hand.

      „Augentropfen. Ein bis zwei pro Tag“, las sie die Aufschrift auf dem Etikett und lächelte. Vega schien wirklich an alles gedacht zu haben! Vorsichtig öffnete sie das Fläschchen und träufelte sich je zwei Tropfen in die Augen. Die Flüssigkeit brannte ein wenig und zwang sie, mehrmals zu blinzeln. Dann stand sie auf und betrachtete sich im Handspiegel, der neben dem Bett lag. Im Zwielicht des Zimmers leuchteten ihre Augen immer noch ein wenig, doch als sie ans Fenster trat, sahen sie plötzlich so gewöhnlich aus wie bei allen anderen Menschen auch. Beeindruckend!

      Sie legte den Spiegel beiseite und ging zu den anderen Gegenständen, die Vega ihr bereitgelegt hatte.

      Ihr Blick blieb an einem samtenen Geldbeutel hängen und sie ging näher heran. Neugierig griff sie danach und wog ihn in den Händen. Er war erstaunlich schwer, und auch wenn Isa nicht viel über das Gewicht von Münzen wusste, ahnte sie, dass es ganz schön viele sein mussten. Langsam zog das Mädchen die Kordel auf, die den Beutel zusammenhielt, und stülpte den Inhalt auf den Tisch. Es staunte nicht schlecht über die glitzernde und funkelnde Masse, die sich über das dunkle Holz ergoss, eine Flut aus Silber und Bronze, so viel, dass es zweifellos der Monatslohn eines Handwerkermeisters hätte sein können.

      Was sollte Isa mit so viel Geld anfangen? Eine Weile beobachtete sie noch, wie sich das Sonnenlicht auf den Münzen brach, dann steckte sie sie kopfschüttelnd zurück in den Beutel und legte ihn beiseite. Sie hielt nicht viel von Gold, Silber und Bronze, denn es machte viele Menschen gierig, selbstgefällig und egoistisch.

      Doch sie, Isa, würde sich niemals davon verführen lassen.

      Als Nächstes wandte sich das Mädchen dem Kleid zu, das über der Stuhllehne hing. Es war aus hellblauer Seide und mit teurer Spitze und kleinen Edelsteinen verziert. Daneben lagen ein passender Hut, eine Handtasche und ein Fächer sowie ein Paar zierlicher Schuhe.

      Isa hob das Kleid hoch und betrachtete es eingehend. Es hatte mehrere verschiedene Unterröcke und war dadurch unfassbar schwer. Wenn sie ehrlich war, machte es einen ziemlich unbequemen Eindruck und nur schon das weiße Unterkleid bestand aus unzähligen Häkchen und Schnüren, die kreuz und quer in alle Richtungen verliefen.

      Um das anzuziehen, würde sie zweifellos Hilfe brauchen …

      „Wieso machen die sich das Leben nur so schwer?“, dachte Isa mit einem leisen Seufzer und legte es wieder an seinen Platz zurück. Sie würde es erst anziehen, wenn sie nach draußen gehen wollte.

      Einige Minuten durchstöberte Isa noch die restlichen Gegenstände, fand jedoch nichts Interessantes mehr. So entschloss sie sich, erst einmal ein Bad zu nehmen und sich dann ganz gemächlich für einen kleinen Ausflug in die Stadt vorzubereiten. Sie war sich sicher, dass es hier in Karpensas eine ganze Menge aufregender Dinge zu entdecken gab.

      Über eine Stunde verbrachte Isa im Badezimmer und genoss den Luxus von fließendem Warmwasser und nach Rose duftender Seife. Es war eine Wohltat nach der anstrengenden Reise der letzten Wochen und sie hätte diese Oase der Ruhe am liebsten nie wieder verlassen. Dennoch fasste sie sich schließlich ein Herz, hüllte sich in einen weichen Bademantel und betätigte den Glockenzug, den Vega ihr im Brief beschrieben hatte. Wenn sie tatsächlich dieses Kleid anziehen sollte, das dort so unschuldig über dem Stuhl hing, brauchte sie Hilfe. Oder sollte sie einfach in ihre normalen Kleider schlüpfen?

      Sie stellte sich die missbilligenden Blicke der anderen Gasthausbewohner vor und verwarf den Gedanken sofort wieder. Vega zuliebe würde sie ein solches Kleid tragen. Es dauerte weniger als zwei Minuten, da klopfte bereits eine ältere Angestellte an die Zimmertür und Isa ließ sie mit einem freundlichen Lächeln eintreten.

      Sie zeigte ihr das Kleid. „Könnt Ihr mir damit helfen?“

      „Natürlich, Lady Aleander.“ Die Frau knickste leicht und half ihr ohne Widerrede in das Kleid.

      Als sie schließlich das Korsett so fest zusammenzog, dass Isa kaum noch Luft bekam, fuhr sie die Frau wütend an. „Was macht Ihr denn da?“

      „Das macht man so, Miss“, antwortete die Bedienstete etwas erschrocken. „Das ist in Mode.“

      „Wirklich?“ Isa war entsetzt.