Die Amulettmagier. Natascha Honegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natascha Honegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741930
Скачать книгу
Gesicht. Er hielt ein Fernglas in den Händen, das bei jeder Bewegung in der Sonne blitzte, und starrte unverwandt auf einen Raum, der rechts neben ihrem lag.

      „Das Zimmer von Vega und Massimo“, erkannte Isa erschrocken. Vorsichtig erhob sie sich, schlich zur Tür und rannte zu den Aleanders hinüber.

      Diese waren nicht sonderlich erstaunt, als Isa ihnen vom Mann hinter dem Fenster erzählte. Ganz nebenbei zog Vega die Gardinen vor die Fenster, so, dass dem Beobachter die Sicht auf die drei verwehrt blieb.

      „Wir wissen längst, dass wir bespitzelt werden“, erklärte Vega in gedämpftem Ton. „Du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen.“

      Massimo nickte. „König Salsar lässt uns überwachen, weil wir des Umgangs mit Magie verdächtigt werden.“

      Er schaute seine Frau mit einem schwachen Lächeln an. „Bisher konnte man uns jedoch nichts nachweisen.“

      „Haben sie mich auch bespitzelt, als ich zum Markt ging?“, fragte Isa entsetzt. „Wissen sie von dem Dieb?“

      Vega schüttelte den Kopf. „Bis gerade eben wusste der Spitzel dort drüben noch nicht einmal, dass du zu uns gehörst. Du musst wissen, er folgt uns, seit wir von Sentak aufgebrochen sind, um dich zu suchen. Aber dann haben wir ihn auf unserer Reise nach Merlina abgehängt. Er hat uns erst heute Nachmittag wieder gefunden. Und da warst du schon zurück in deinem Zimmer.“

      „Oh! Das wusste ich nicht. Ist es schlimm, dass er jetzt weiß, dass ich zu euch gehöre?“ Isa kaute auf ihrer Unterlippe. Wusste er von ihren leuchtenden Augen? War die Familie Aleander jetzt in Gefahr?

      Doch Massimo nahm ihr sogleich die Angst. „Ganz ruhig“, sagte er und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Er weiß gar nichts über dich, weder wer du bist noch dass du irgendetwas mit Magie zu tun hast. Für ihn bist du nur ein vollkommen normales, reiches Mädchen. Noch sind wir sicher.“

      „Und meine Augen? Hat er nicht vielleicht gesehen, dass sie leuchten?“

      Der Mann lächelte. „Kaum. Vega hat in dieser Hinsicht einige … Vorkehrungen getroffen.“

      „Was ist mit heute Abend? Werden wir den Spitzel nicht auf direktem Weg zum vierten Amulettmagier führen?“

      „Vermutlich würden wir das tun“, gab Massimo ihr recht. „Aber ich denke, er wird uns wohl in einer kleinen Gasse aus den Augen verlieren, nicht wahr, Vega?“ Er warf seiner Frau einen verschwörerischen Blick zu.

      „Natürlich wird er das“, antwortete die Angesprochene lächelnd und erwiderte seinen Blick. „Nichts leichter als das.“

      „Wirklich?“ Isa blieb der Mund offen stehen. „Und wie wollt ihr das anstellen?

      „Du wirst schon sehen.“ Ein wissendes Lächeln stahl sich auf Vegas Gesicht und ihre Augen leuchteten amüsiert. „Du wirst schon sehen …“

      Einige Zeit herrschte Stille im Raum und alle hingen ihren eigenen Gedanken nach. Von draußen drang das Geschrei von spielenden Kindern und das Kreischen aufgescheuchter Möwen an Isas Ohr.

      „Wieso hat König Salsar euch eigentlich nicht einfach töten lassen, wenn er euch sowieso der Magie bezichtigt?“

      Vega zögerte etwas. „Versteh das nicht falsch, meine Liebe, aber wir sind keine gewöhnliche Familie. Wenn irgendjemand aus dem Volk hingerichtet wird, so ist das … bedauerlich, aber es sind Leute ohne Einfluss, die gegen die herrschende Willkür nicht ankommen können. Aber wir, wir sind von hohem Adel. Massimos Familie ist eines der ältesten Geschlechter des Landes und genießt hohes Ansehen und Einfluss in der gesamten Oberschicht. Und die haben alle ihre treuen Gefolgsleute. Salsar weiß, dass er mit unserem Tod eine Kettenreaktion auslösen könnte und das ist ihm schlicht und ergreifend zu mühsam. Kurz und gut: Solange wir uns unauffällig verhalten und uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern, lässt er uns in Ruhe.“

      „Aber ich dachte immer, er kann Magie spüren?“

      „Das ist schon richtig, aber sie muss in seiner Nähe oder in seinem Einflussbereich – dem Dentratan-Gebirge – benutzt werden“, meinte Vega und fügte spöttisch hinzu: „Und er hat sich bisher noch nie dazu herabgelassen, uns zu besuchen.“

      Die Nacht lag bereits wie ein schwarzes Tuch über der Stadt, als sich die kleine Gruppe auf den Weg in Richtung Osttor machte. Laternen erhellten die größeren Straßen, die Gassen lagen in vollkommener Dunkelheit. Isa wusste nicht, wann genau sie den Spitzel abgehängt hatten, aber seine Präsenz war so plötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war. Sie blickte zu Vega, doch auf deren Gesicht lag nur ein undeutbares Lächeln.

      Einige Zeit und unzählige Straßen weiter, erreichten sie schließlich das Gerichtsgebäude von Karpensas. Es lag in einem Teil der Stadt, der leer und heruntergekommen war. Ratten beobachteten sie mit funkelnden Augen aus tiefdunklen Löchern und am Straßenende erhob sich das östliche Stadttor bedrohlich gegen den Himmel. Schon seit Jahren hatte es niemand mehr geöffnet und Isa bezweifelte, dass es sich mittlerweile überhaupt noch öffnen lassen würde. Dicke Bolzen und schwere Ketten verriegelten es und trennten die Menschen aus dem ärmsten und zugleich gefährlichsten Vorort der Stadt von der restlichen Bevölkerung. Isa ließ sich vom geschlossenen Tor jedoch keineswegs täuschen. Sie war sich sicher, dass die Mauern bereits von den Dieben untertunnelt worden waren, die sich auf diesem Weg trotz allem Zugang zur Stadt verschaffen konnten.

      Sie hatte schon einiges von diesen unterirdischen Gängen gehört, die die größeren Diebesbanden für sich anlegten und oftmals ein riesiges Netzwerk bildeten. „Diebesstraßen“ wurden sie genannt, obwohl sie meist kaum breiter waren, als zwei, höchstens drei Fuß.

      Ardan, ein ehemaliger Dieb, der sich in Merlina als ehrenhafter Altwarenhändler niedergelassen hatte, hatte ihr dies und vieles mehr über das Leben in der Stadt erzählt. Für sie war er stets der Vater gewesen, den sie niemals gekannt hatte: stark, mutig und klug. Er war es auch gewesen, der der wissbegierigen Isa das Schreiben, Lesen sowie die Sprache der Diebe beigebracht hatte.

      Sein Tod vor drei Jahren war ein tragischer Schicksalsschlag für sie gewesen, den sie niemals richtig hatte überwinden können.

      Ein Geräusch lenkte ihre Gedanken in die Gegenwart zurück. Sie waren vor einer hölzernen Tür stehen geblieben, über der in bröckelnder Goldschrift das Wort „Gericht“ prangte. Davor stand ein Mann in der Uniform der Soldaten und bewachte den Eingang. Als er die drei kommen sah, trat er beiseite und verbeugte sich.

      „Willkommen am Gericht von Karpensas. Der Gerichtssaal befindet sich gleich zur Rechten der Eingangshalle“, erklärte er.

      Vega nickte ihm dankend zu, dann betrat sie, gefolgt von Isa und Massimo, das Gerichtsgebäude. Dieses war riesig, hell ausgeleuchtet und das genaue Gegenteil des düstern Stadtteils, in dem sie sich gerade befanden.

      Auch der Raum, in dem der Gerichtstag abgehalten wurde, war groß und reich geschmückt. Es gab keine Fenster, doch alles war mit Kerzen ausgeleuchtet wie am helllichten Tag. Die Sitzbänke für Besucher waren mit Polstern ausgelegt, um es ihnen so bequem als nur möglich zu machen. Sie waren in einem Halbkreis um eine Art hölzerne Tribüne angeordnet worden, auf der sich der Richter und einige andere Personen eingefunden hatten.

      Als sie den Raum betraten, waren die Verhandlungen bereits in vollem Gange. Es gab auch einige weitere Zuschauer, darunter vor allem reich aussehende Bürger und Händler, die das Geschehen gelangweilt verfolgten.

      Durch eine unscheinbare hölzerne Tür wurden die Gefangenen hereingeführt und vor den Richter gezerrt, der wie ein Unheil verkündender Schatten über ihnen aufragte. In ihren schmutzigen Kleidern und mit den vor Angst und Verzweiflung verzerrten Gesichtern wirkten sie verloren und fremd in diesem prächtigen Raum.

      Isa hatte Mitleid mit den Unglücklichen und am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte ihnen geholfen. Doch sie wusste, dass ihr in dieser Hinsicht die Hände gebunden waren. Sie konnten schon von Glück sprechen, wenn sie den jungen Dieb mit den leuchtenden Augen aus seiner misslichen