Die Amulettmagier. Natascha Honegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natascha Honegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741930
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Lasst uns bitte durch. Geht zur Seite! Zur Seite, bitte!“ Fünf Männer drängten sich durch die Menschenmenge. Sie trugen die landesübliche Uniform von Stadtwachen und atmeten schwer, als wären sie gerannt. „Was ist hier los?“, fragte einer von ihnen.

      „Die junge Dame ist beinahe bestohlen worden. Dort ist der Dieb“, riefen einige Leute und zeigten auf den Jungen, der die Schultern hängen ließ. Er blickte zu Boden, sein Gesicht zeigte keine Regung.

      „Elender Dieb!“

      „Sperrt ihn ein!“

      „Eine Gefahr für das öffentliche Wohl!“

      „Schmutziger Abschaum!“

      In diesem Augenblick schob sich eine Wolke vor die Sonne und der Junge blickte zu Isa auf. Erschrecken spiegelte sich in ihrer beider Gesichter, als zwei magische Augenpaare einander begegneten.

      Diese Augen!

      „Das darf doch einfach nicht wahr sein!“, dachte Isa erschrocken. Denn die Augen des Diebs waren blau, so blau wie das Meer und so leuchtend wie ihre eigenen.

      In diesem Moment packten zwei der Wachen seine Arme und verdrehten sie ihm auf den Rücken. Isa hörte, wie er vor Schmerz leise aufstöhnte, doch er leistete keinen Widerstand, wohl wissend, dass er keine Chance hatte, zu entkommen. Sein Blick ließ ihren los, als er den Kopf senken musste.

      Eine der fünf Wachen trat zu Isa, nahm den Hut ab und räusperte sich, während die Sonne wieder hinter den Wolken zum Vorschein kam.

      „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr heute Abend zum Gefängnis am Osttor kommen. Es ist Gerichtstag und Zeugenaussagen sind immer willkommen.“

      „Ähm ja, mal sehen … vielleicht …“, stotterte Isa und befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen. „Sagt, Wachmann, wie sind denn eigentlich so die Bestrafungen für Diebstahl?“ Sie hoffte, dass man ihr die Besorgnis nicht anmerken konnte.

      Der Junge war ein Amulettmagier! So ein Mist aber auch!

      „Das kommt ganz auf die Laune des Richters an. Wenn der in guter Stimmung ist, verliert er vielleicht nur einen Finger, sonst muss er in die Minen“, erklärte der Mann mit gleichgültiger Stimme und blickte auf den Jungen hinab. „Außerdem werden wir ihn wie üblich einer Magieprüfung unterziehen.“

      „Was?!“ Isa schaute den Mann schockiert an. Vielleicht etwas zu schockiert, doch da er sich noch immer dem Dieb zugewandt hatte, konnte er das nicht sehen. „Und was passiert dann mit ihm?“

      Der Wachmann seufzte. „Nun, die Strafen für das Verbrechen der Magie werdet Ihr wohl kennen?“

      Isa zuckte zusammen. „Der Feuertod …“, flüsterte sie heiser und blickte zu dem Jungen hinüber. Bei ihm würden sie Magie entdecken. So viel war sicher und dann würden ihm selbst Vega und Massimo nicht mehr helfen können!

      Isa schluckte. „Wann wird er denn geprüft?“

      „Na ja, der Prüfer kommt wohl erst in ein oder zwei Wochen vorbei. Es gibt ja nicht mehr so viele von ihnen, weshalb er alle Gefangenen auf einmal prüft und dann wieder verschwindet.“ Er klang etwas gelangweilt.

      „Und was ist, wenn der Dieb heute Abend freigesprochen wird?“

      „Freispruch? Das wäre mal was Neues. Kommt selten vor heutzutage, müsst Ihr wissen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber wenn er tatsächlich einer der Glückspilze ist, die freigesprochen werden, nun ... dann wird er eben nicht geprüft. Ich glaube sowieso nicht, dass er Magie besitzt. Wieso wäre er sonst nur ein einfacher Dieb?“

      „Ja, da habt Ihr wohl recht“, meinte Isa und atmete erleichtert auf. Alles entwickelte sich hervorragend, auch wenn ihr die schwerste Aufgabe noch bevorstand: Sie musste Vega und Massimo überzeugen, ihr zu helfen.

      „Dann kommt ihr also heute Abend zur Verhandlung?“

      „Ja, ich denke schon.“

      *

      Eine unfaire Verhandlung

      „Ein Dieb? Der letzte Amulettmagier soll ein Dieb sein? Isalia, mein liebes Kind, du hast dich bestimmt geirrt!“ Vega schritt im Zimmer auf und ab und auch Massimo machte ein Gesicht, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen.

      Isa seufzte. So ging das schon, seit sie diesen Raum betreten hatte.

      „Ein Amulettmagier muss zuverlässig sein, stark, selbstbewusst …“, fuhr Vega eifrig fort und fuchtelte wild mit den Armen durch die Luft, ehe sie diese ruckartig sinken ließ und hektisch den Kopf schüttelte. „Aber doch kein … Krimineller!“

      Isa verdrehte die Augen. „Kriminell oder nicht. Ich war auch nur ein Waisenkind.“

      „Ein Waisenkind, ja“, begehrte Vega auf. „Aber du warst und bist ein anständiges Mädchen. Außerdem besitzt du für ein Waisenkind außerordentlich viele Fähigkeiten, kannst lesen und schreiben …“

      Isa schwieg. „Wenn sie wüsste, wer mir das alles beigebracht hat“, dachte sie und sagte dann laut: „Na und?“

      „Na und, na und?“ Vega verdrehte die Augen. „Eine Amulettmagierin oder ein Amulettmagier zu sein, bedeutet, Verantwortung zu tragen! Ich bezweifle, dass ein Dieb … Er kann kein Amulettmagier sein!“

      Isa stampfte mit ihrem Fuß auf den Boden. „Ist er aber doch! Ich konnte es fühlen! Und seine Augen leuchten auch.“

      „Vielleicht hat sie recht, Vega“, meinte Massimo mit ruhiger Stimme. „Ich glaube nicht, dass sie sich täuscht.“

      Vega hatte aufgehört, im Zimmer auf und ab zu gehen, und machte nun ein nachdenkliches Gesicht. Einige schweigsame Minuten vergingen, dann setzte sie sich auf einen der Sessel. „Wo ist er jetzt?“, fragte sie Isa ernst.

      „Im Gefängnis beim Osttor.“

      Das Mädchen sah, wie eine ihrer Augenbrauen leicht nach oben zuckte.

      „Ist heute nicht Gerichtstag?“

      Isa nickte. „Ja. Heute Abend.“

      Vega schien nachzudenken. Mit ihrem Zeigefinger tippte sie unruhig auf die Polsterung des Sessels. „Wenn du recht hast …“

      „Ich habe mich bestimmt nicht geirrt“, murrte Isa, doch Vega brachte sie mit einem scharfen Blick zum Schweigen.

      „Wenn du recht hast“, fuhr sie fort, indem sie die Worte stark betonte, „dann ist der Junge tatsächlich in ernsthaften Schwierigkeiten.“

      „Das heißt, wir werden heute Abend zum Osttor gehen?“ Isa blinzelte die beiden Erwachsenen flehend an.

      Vega warf erst einen Blick zu Massimo, dann seufzte sie und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Ja, ich denke, wir sollten ihn uns wenigstens einmal ansehen.“

      Der Nachmittag verging nur schleichend. Jede Minute erschien Isa wie eine Ewigkeit, während sie gelangweilt dem Lärm lauschte, der von der Straße bis in ihr Zimmer drang: Kindergeschrei, das Klappern von Hufen und die fernen Rufe der Händler, die ihre Ware feilboten.

      Nach ihrem Gespräch mit den beiden Erwachsenen hatte Vega ihr ein sauberes Kleid und einen schwarzen Schleier in die Hand gedrückt. Letzteren würde sie heute Nacht tragen, um ihre leuchtenden Augen vor neugierigen Blicken zu verbergen.

      Als Isa so gedankenverloren in ihrem Zimmer saß und ihren Tagträumen nachhing, fiel ihr Blick durch eines der Fenster auf das gegenüberliegende Gebäude. Es war aus roten Backsteinen und schien mehrere kleine Wohnungen zu beherbergen. Ganz plötzlich sah sie hinter einem der Fenster etwas aufblitzen und glaubte, eine Bewegung wahrzunehmen. Darauf aufmerksam geworden, versuchte sie, mehr zu erkennen, doch das Glas spiegelte das Licht der abendlichen Sonne und blendete sie.