Die Chroniken der Wandler. Laura Schmolke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Laura Schmolke
Издательство: Bookwire
Серия: Die Chroniken der Wandler
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741732
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Als niemand antwortete, richtete sich ihr Blick auf Alex. „Was denkst du?“

      Für einen kurzen Augenblick sah Alex unsicher aus. „Ich weiß es nicht genau. Das mit den Träumen ist okay, denke ich. Träume sind für einen Menschen zwar wichtig, aber sie verändern nicht unbedingt die Persönlichkeit und zwingen einen auch nicht, die Wege, die wir vorschlagen, zu gehen. Ich glaube, das ist das Wichtigste“, meinte er zögernd, „dass wir die Menschen nicht zwingen, sondern sie sich im Endeffekt frei entscheiden können.“

      „Ich finde, Alex hat recht“, stimmte Jessy als Erste zu und warf dem Jungen einen treuherzigen Augenaufschlag zu.

      Ituma kniff die Augen zusammen und nickte. Ihren stark rot geschminkten Mund hatte sie zu einem schmalen Strich zusammengekniffen, den Blick auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Es schien, als wäre sie mit den Gedanken ganz woanders. Bei jenen Tagen, an denen sie sich selbst diese Fragen gestellt hatte, immer und immer wieder. War es richtig, die Träume anderer Menschen zu manipulieren? Oder sollte man gar noch weitergehen? Was war mit den Gefühlen?

      „Ist der Weg, auf den wir die Menschen führen wollen, denn wirklich der richtige?“, fragte Ailina plötzlich leise.

      Ituma schreckte aus ihren Gedanken auf. „Natürlich!“, meinte sie schnell. „Wir wollen ihnen helfen, sich zu vereinen und in eine bessere Zukunft zu gehen. Wir wollen ihnen helfen, die Augen zu öffnen und die Farben zu sehen, die scharfen Konturen. Es wird den Menschen viel besser gehen, wenn sie sich nicht mehr gegenseitig fürchten und hassen müssen.“

      Ailina nickte nachdenklich, sagte aber nichts mehr.

      Nach den vier Unterrichtsstunden blieb ihnen nicht mehr viel Zeit bis zum Abendessen. Dennoch bestand Ailina darauf, noch einmal in die Bibliothek zu gehen. Felicitas wollte nicht mit. Sie hatte Angst vor einer weiteren Begegnung mit Meda. Sie mochte die alte Bibliothekarin nicht. Weder die Art, wie sie sich immer an sie heranschlich, noch ihren bohrenden Blick oder ihre rätselhaften Worte.

      Deswegen ließ sie Ailina alleine gehen und blieb in ihrem Zimmer. Sie stand einfach am Fenster und sah hinaus auf den Hof, doch irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Da waren so viele Gedanken in ihrem Kopf, dass er zu zerplatzen drohte.

      Am liebsten wäre sie gerannt, egal wohin, und nicht mehr stehen geblieben. Oder hätte geschrien, so laut, dass die ganze Welt es hören konnte. Aber sie wandte sich einfach nur um und ging rastlos hin und her. Irgendwann ließ sie sich auf der Kante ihres Bettes nieder und starrte das Foto auf ihrem Nachtisch an. Tränen stiegen ihr in die Augen. Kurzerhand drehte sie es um.

      Eva.

      Sie starrte auf die fein säuberlichen, leicht schrägen Buchstaben, die auf die Rückseite geschrieben waren.

      Eva bedeutet Leben.

      Was für eine Ironie.

      Obwohl sie ihren Blick abwenden wollte, gelang es ihr nicht. Das Wort schien ihre Augen anzuziehen, sie nicht mehr loszulassen. Sie sah das Mädchen in dem weißen Kleid vor sich in dem Wald, umrahmt von dem seltsamen, grünen Licht.

      „Was wird hier gespielt?“, fragte sie sich.

      Es dauerte eine Weile, bis Felicitas die Kraft aufbrachte, ihren Blick von dem Namen loszureißen. Sie stand auf, stopfte das Foto unter ihr Kopfkissen und tigerte wieder im Zimmer umher. Schließlich wurde ihr klar, dass sie es nicht länger alleine aushielt, und hinterließ Ailina eine Nachricht: Bin bei Jessy.

      Obwohl Felicitas noch nie in Jessys Zimmer gewesen war, fand sie ihre Tür sofort. Das weiße Blatt Papier, auf dem in knallbunten Lettern Jessys Name prangte, war auch kaum zu übersehen.

      Sie klopfte leise.

      Niemand antwortete.

      Sie klopfte noch einmal, diesmal lauter.

      „Ja?“

      Jessy saß auf ihrem Bett, auf ihren Knien lag ein rosafarbener MP3-Player. Die Ohrenstöpsel hielt sie in der Hand. „Hi!“ Jessy wirkte ehrlich überrascht.

      „Hi“, antwortete Felicitas zögernd und sah sich in Jessys Zimmer um. Es war sogar noch kleiner als das von Ailina und ihr selbst und sie wunderte sich, wie man hier überhaupt die beiden Betten, die Schränke und den Schreibtisch hineinbekommen hatte. Auf dem unbenutzten Bett stapelten sich Jessys Kleidungsstücke und sie hatte die Wände mit Bildern und Postern behangen. Felicitas direkt gegenüber hing ein stark vergrößertes Foto eines riesigen Golden Retrievers, der sie aus großen, runden Augen mitleiderregend anstarrte.

      Jessy folgte ihrem Blick. „Das ist Sun“, erklärte sie etwas zu laut, da sie sich die Ohrstöpsel schon wieder in die Ohren gesteckt hatte.

      „Gehört sie dir?“

      „Was?“

      „Gehört sie dir?“

      Jetzt sah Jessy doch ein, dass sie ihre Musik ausschalten musste. „Nicht mehr.“ Jessy starrte das Foto traurig an. „Aber mein Bruder wird sich gut um sie kümmern.“

      „Bestimmt.“

      Es folgte eine unangenehme Stille, in der Jessy ihre Ohrstöpsel unschlüssig in der Hand wog. Schließlich ließ sie den MP3-Player auf ihrem Bett zurück und trat ans Fenster.

      „Schau mal.“ Sie zeigte hinaus in den Hof. „Sie üben schon, seit wir auf unsere Zimmer gehen durften.“ Kurze Pause, dann: „Sie sind gut.“

      Felicitas stellte sich neben ihre Freundin. Es dauerte einige Augenblicke, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit draußen gewöhnt hatten. Anscheinend hatte es aufgehört zu regnen und es blinzelten sogar ein paar wenige Sterne zwischen den schnell dahinjagenden Wolken hindurch. Dann sah Felicitas sie: Unten im Hof tanzten mehrere schattenhafte Gestalten.

      Nein. Sie tanzten nicht. Sie kämpften.

      Erst jetzt fielen Felicitas die Schwerter auf, die sie schwangen. Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass die Gestalten nicht viel älter waren als sie selbst. Vermutlich Schüler, die trainierten.

      Sie suchte den Hof nach Mingan ab und entdeckte den Lehrer tatsächlich. Selbstsicher schritt er durch die kämpfenden Schüler, nickte mal anerkennend oder blieb stehen, wahrscheinlich, um Ratschläge zu erteilen. Plötzlich fiel Felicitas noch eine Gestalt auf. Sie hielt sich im Schatten der Mauer, sodass sie nur als schwarzer Umriss zu erkennen war, und doch konnte Felicitas den Blick auf einmal nicht mehr von ihr abwenden. Sie kam ihr vertraut vor – obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, sie jemals gesehen zu haben.

      „Siehst du diese Gestalt da? Gegenüber an der Mauer?“, fragte Felicitas. Unwillkürlich hatte sie die Stimme zu einem Flüstern gesenkt.

      „Welche Gestalt?“, fragte Jessy sofort. Ihre Stimme klang unangenehm laut.

      „Da hinten, an der Mauer!“

      Jessy kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Schließlich zuckte sie hilflos mit den Schultern. „Nein ...“, setzte sie an.

      „Du musst genau hinschauen!“ Felicitas wusste selbst nicht, was sie an dieser Gestalt so sehr beunruhigte. Vielleicht die Tatsache, dass sie sich absichtlich im Schatten aufhielt oder dass sie diese Person noch nie hier an der Schule gesehen hatte.

      „Felicitas, da ist nichts!“

      Felicitas blinzelte und sah noch einmal hin. Die Gestalt stand immer noch dort. Konnte Jessy sie wirklich nicht sehen?

      „Wenn man verrückt wird, fängt es dann so an?“, fragte Felicitas sich auf einmal.

      Laut aber sagte sie: „Vielleicht sehe ich jetzt schon Gespenster.“

      „Oder ich brauche eine Brille.“ Jessy grinste.

      Dann drehte sie sich um und schritt schnell durch den Raum. Felicitas fragte sich gerade, was ihre Freundin vorhatte, als die kahle Glühbirne an der Decke erlosch.

      „Was …“,