Johanna kam vom Krämer heim. Anton hatte in einer Nebengasse gewartet, trat näher, als ob der Zufall ihn des Weges führte. Er bot alle seine Galanterie auf, nahm ihr den Korb ab, begleitete sie. Sie nahmen einen Seitenweg, der durch die Felder führte. Es war ein geheimes Einverständnis zwischen ihnen, den Umweg zu wählen, der sie länger beisammen ließ.
»Morgen ist Tanz, weißt du schon?«, fragte er. »Kommst du auch?«
Da wußte sie keine Antwort. Sie hätte wohl gehen mögen. Tanzen konnte sie zwar nicht, aber dabei sein konnte sie ja; zusehen, wie sich die Anderen freuen, ist auch eine Freude. Aber es lud sie ja niemand ein.
»Willst du kommen?« fragte Anton weiter, als er ihr Schweigen verstand.
—
»Ich möchte wohl«, entgegnete sie zögernd, mit dem Kopf nickend.
»Nun dann komm’ doch. Gehörst ja auch zum Dorf –«
»Es leidet mich aber keiner dort – sie jagen mich sicherlich fort, wenn ich komme.«
»Das laß mich machen. Bin ja auch noch da. Wen ich beschütze, den jagt keiner fort. Darauf kannst du trauen.«
Sein Selbstgefühl blähte sich. Er wollte zeigen, was er bedeutete, daß er Schutz gewähren könnte, daß er eine Rolle spiele im Dorf. Daß er nicht nur wußte, was seine Kraft ihm ermöglicht, sondern auch, wozu sie ihn verpflichtet.
Schweigend gingen sie nebeneinander. Es war Mittag, die Felder lagen still, atmeten die Hitze ein, glänzten im Sonnenglast. Ein einsamer Vogel trällerte durch die Luft. Ein Bauer kam an ihnen vorbei, lachte, als er den Burschen mit Johanna sah.
»Also kommst du?«
»Wenn du glaubst - daß sie mich nicht fortjagen –«
»Sie werden dich nicht fortjagen. Ich gebe dir mein Wort.«
Als der Hof in Sichtnähe kam, trennten sie sich. Er schlug sich in den Wald, sie ging dem Haus zu. Er gab ihr den Korb zurück, fragte nochmals:
»Also du kommst – bestimmt?«
Sie sah ihm in die Augen.
»Ja.«
»Suche mich – komm’ grade auf mich zu. Ich werde bei dir sein.«
Sie gaben sich die Hände, wie Freunde, die Abschied nehmen.
Der Tag verging ihr wie eine Stunde. Sie überlegte, was sie sich anziehen sollte. Ihre Kleider waren zerrissen. Sie flickte sie zusammen – aber das war häßlich. Hätte sie eine bunte schöne Schürze gehabt, die hätte die Flecke bedeckt. Die Kuhmagd hatte zwei – die konnte ihr eine leihen. Ihre weißen Strümpfe wusch sie aus. An nichts anderes dachte sie als an den Tanz. Der Bauer rief sie – sie kam nicht. Man wollte sie holen – man fand sie, Nadel und Zwirn in der Hand, zwischen ihren Kleidern. Der Knecht brach in Lachen aus, daß das Haus dröhnte, lief die Stiegen hinunter, erzählte es allen:
»Hört – die Hanne putzt sich – hat einen Liebsten – geht morgen zum Tanz.«
Das tolle Gelächter, das bis in ihre Kammer emporschlug, kränkte Johanna. Sie sollten sie doch in Ruhe lassen.
Nachts lag sie stundenlang wach. Erwartung zitterte in ihren Nerven. Sie wollte einmal wie die Anderen sein – dasselbe tun, dieselben Freuden teilen – da galt es gering, daß ihre Kleider so armselig geflickt, ihre Schuhe so abgenutzt waren.
Oder doch – er mußte sich ja schämen. Es war so schön von ihm, daß er sich ihrer annahm. Er war lieb zu ihr, das war noch keiner gewesen. Er könnte die Schönste und Reichste im Dorf haben – und lädt sie ein – nun soll sie ihn beschämen in ihrem elenden, schlissigen Zeug? Nein – da muß jede Schüchternheit ausgerissen, jede Angst niedergetreten werden. Sie mußte die Schürze verlangen. Soll die Kuhmagd lachen, spotten – das tut sie ohnedies. Verweigern wird sie die Bitte nicht – sie weiß, daß sich Johanna auf tausendfache Weise rächen kann. –
Der Mond ging träge über den Himmel, sein Licht wurde fahl in der Dämmerung. Ringsum im Dorf krähten die Hähne. Der Tag brach an.
Lange zauderte Johanna, bevor sie die Kuhmagd ansprach.
»Leih mir deine Schürze – es wird ihr gewiß nichts geschehen. Ich werde sehr acht geben darauf.«
Ein langer, unverständiger Blick folgte, der Johanna durchbohrte.
»Wozu brauchst du eine seidene Schürze? Du willst doch nicht etwa –«
»Ich gehe heute abend zum Tanz.«
Die Kuhmagd krümmte sich vor Lachen, Johanna verging vor Scham.
»Das ist doch nichts zu lachen. Ich kann genau so gut tanzen gehen wie du.«
»Gewiß – gewiß kannst du das. Niemand darf dich hindern. Im Gegenteil, ich helfe dir, leih dir meine Schürze. Putz dich nur – damit du ihm gefällst.«
»Das geht dich gar nichts an.«
»Nein – ich meine nur so – – Komm mit mir, ich geb’ dir gleich die Schürze.«
Beim Mittagessen fragte der Bauer, wer alles zum Tanz ginge. Der Sohn und die Knechte und Mägde – alle gingen. Johanna schwieg. Da wandten sich alle Augen nach ihr. Sie senkte den Kopf, fühlte den Hohn über sich hängen, wie eine dunkle Wolke war es, die jeden Augenblick bersten konnte. Es war nicht zu vermeiden. Man ließ sich die günstige Gelegenheit nicht entgehen.
»Und du – Johanna«, fragte der Bauer, »ich habe gehört – du gehst auch.«
Johanna wurde blutrot. Ihre Augen waren auf den Teller gerichtet, der vor ihr stand. Aber der Bauer ließ nicht nach.
»Hast recht – bist ja ein hübsches Mädel – und sauber – ziehst dich nett an – nicht wahr – und alle laufen dir nach – paß nur auf.«
Das war das Zeichen zum Gelächter. Der Damm war eingerissen, erbarmungslos wälzte sich die Sturzflut von Sticheleien über das wehrlose Mädchen. Johanna ließ die Schmutzwelle über sich hinweggleiten, sie wußte, sie mußte abfließen, wie sie hereingebrochen. Aber ihr Herz krampfte sich zusammen, jedes Wort stach wie eine feine Nadel, tief, schmerzend, mit höllischer Freude am Wehtun.»Wer hat dich denn geladen?«, fragte der Knecht.
»Wer ist denn dein Liebster? Für wen machst du dich so schön?«, fragte die Magd.
Johanna sah verstohlen, ohne daß es die Anderen merkten, zu Anton. Der stellte sich unschuldig, unbeteiligt. So sah es mit seinem Schutz aus. Alle Menschlichkeit war falsches Prahlen, alles Mitleid Heuchelei, jede Freundlichkeit Deckmantel, unter dem sich die scheußliche Fratze der Selbstsucht verbarg. Feig war er wie die Anderen, mild nur, um sie zu ködern, in sein Garn zu locken, sie berauben zu können. Blitzschnell fuhr es durch Johannas Kopf. Aber er war doch gut gewesen – der einzige – der gut gewesen