Johanna. Fritz Rosenfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fritz Rosenfeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650349
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wie noch?«

      Das Kind starrte verständnislos.

      »Wie hieß deine Mutter?«

      »Mutter«, sagte das Kind und blickte die Alte an, wie man etwas so Selbstverständliches fragen konnte.

      Da sah die Alte, daß aus dem Kind nichts herauszuholen war.

      »Und wie wirst du mich nennen?«

      Wieder waren die Augen des Kindes groß, aufgerissen, fragend.

      »Willst du mich Mutter nennen? Ich bin jetzt deine Mutter.«

      Das Kind schüttelte den Kopf.

      »Dann Großmutter.«

      »Großmutter?«

      »Ja. Großmutter. Weißt du nicht, was das ist?«

      »Nein.«

      »Du wirst das Wort schon behalten. Jetzt iß nur. Magst ein Stück Brot? Ein recht großes? Und viele Kartoffeln, recht viele?«

      Der Hunger ließ das Kind alles vergessen, er schnitt ihm alle Gedanken ab. Stumm aß es seine Kartoffeln, kaute an seinem Brot.

      Als es fertig war, fragte die Großmutter: »Nun – wie heiße ich – weißt du’s noch?«

      »Großmutter.«

      »Und wirst du mich lieb haben?«

      Ein langer, irrender Blick ging über das Antlitz der Alten. Dann nickte Johanna.

      »Ja.«

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      Die Alte war keine schlechte Person. Ihre Gier war nichts als das Ausgehungertsein der Armut, sie griff nach dem Geld, nur weil sie es brauchte, ihren Hunger zu stillen. Darum war sie auch zu Johanna nicht hart. Was sie dem Kinde an Essen versagen mußte, das ersetzte sie durch Freundlichkeit und Liebe. Sie sah in dem Mädchen den hilflosen, verlassenen Menschen, der ihr anvertraut war, und sie wußte wie es tat, keinen zu haben, der einen lieb hat. Daß dieses Wesen ihr Brot brachte, das war einmal so, das minderte nicht seine Hilflosigkeit, seine Verlassenheit.

      Sie nahm das Kind mit, wenn sie aufs Feld ging, gab ihm Blumen und Steine zum Spielen, erzählte ihm Geschichten von Tieren und Wunderwesen. Die Einsamkeit gab ihr Nährboden für die Ausbreitung der Phantasie, die Märchen der Alten taten das Ihrige, und Johanna sah die Welt von Elfen und Nixen und Kobolden und Riesen erfüllt.

      So gingen die Monate dahin, der Winter kam, sperrte Johanna in die Hütte, engte ihren Gesichtskreis ein, band sie noch enger an die Alte. Nun begannen die Dinge in der Hütte zu leben, Pfosten und Brett und Pfanne und Bank sprachen eine stumme, unfaßbar schöne Sprache, waren Johanna nahe, daß sie sie streichelte, daß sie weinte, wenn die Pfanne auf den Boden fiel, weil sie sich anschlug und das wehtat.

      Die Alte gewöhnte sich so an das Kind, gewann es so lieb, daß sie in ihm nicht mehr das Verdienstobjekt, sondern das einzige nahestehende Wesen sah, dessen Leben mit ihrem verbunden war. Und auch Johanna gewann die Alte lieb, vergaß alles, was früher gewesen, und fühlte sich glücklich.

      II.

      Das Jahr verrann, abwechslungslos trottete das Leben seinen Gang. Johanna wuchs, der Sinn für ihre Umwelt ging ihr auf, sie fragte nach den Namen der Blumen und Tiere, wollte alles erklärt haben, lernte die Wunder des Waldes kennen und freute sich über Vögel und Schmetterlinge.

      Aber die Zeit des Spielens, der Sorglosigkeit, war bald vorüber. Die Alte zog das Mädchen nach und nach an Arbeiten heran, es mußte helfen, Unkraut jäten, mußte die Ziege, das einzige Haustier, das die Alte besaß, bewachen, und ihr mühsam über alle Felsblöcke nachklettern, wenn sie sich verstieg, sie mußte Gänge machen, zum Krämer gehen, zum Müller und kam so mit den Menschen in Berührung. Sie wurde übersehen, verachtet, war nur so ein lästiger Esser, der viel Geld kostete. Niemand hielt damit zurück, sie fühlen zu lassen, daß sie von der Gnade anderer lebe. Der Bürgermeister musterte sie mit unfreundlichem Blick, wenn er das Kopfgeld brachte, dann kam er nicht mehr, sandte es durch einen Boten, durch einen Bauern, der zufällig vorüberging. So war das Kind ganz der Alten überlassen.

      Die Alte gab Johanna aus ihrem Wissen soviel sie konnte. Sie beantwortete ihre Fragen, mischte immer Spukvorstellungen in ihre Erklärungen, mengte Einbildung und Wirklichkeit, daß sie Johanna oft verwirrte. Aber es war ihr seltsam, wie sie sich gewandelt hatte. Sie gab Johanna an Essen, was ihre Mittel erlaubten; im Anfang war ihr das Kind ein aufgezwungener Gast, ein Mensch, den man aufnahm, weil er Geld ins Haus brachte. Nun fand sie ein gutmütiges, schmiegsames, dankbares Wesen, das niemals ein liebes Wort gehört hatte, solange seine Erinnerung zurückreichte, und das jeden liebte, der seinen Hunger stillte.

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      Auch die Kinder des Dorfes übersahen Johanna. Johanna wollte nicht mehr ins Dorf. Wenn sie Menschen sah, verbarg sie sich, bis sie vorüber waren. Aber sie beobachtete die Menschen. Sie sah schöne Puppen in den Händen der Kinder und verlangte auch eine Puppe. Die Alte versprach, ihr eine zu nähen, bis sie Zeit dazu hätte. Johanna weinte. Sie wollte keine genähte, keine Puppe aus alten Lappen. Schön sollte sie sein, mit echten Haaren wie die Puppen der anderen Mädchen. Da sagte die Alte, sie sei unbescheiden, dürfe nicht alles verlangen, sei nur ein Bettlerkind. Gleich tat ihr das harte Wort leid. Sie kramte Tuchstücke hervor, machte eine Puppe. Es wurde ein Wechselbalg, ein roher, schlecht gestopfter Körper, mit Stroh gefüllt, der Kopf aus Leinwand, kleine Knöpfe als Augen. Die Kleider waren aus grellen Stoffen, feuerrot und violett, eine alte Schachtel sollte das Puppenbett sein. Mit feuchten Augen sah Johanna die Puppe entstehen. Als sie fertig war, warf sie sie in den Winkel. Sie sah gar nicht einem kleinen Kinde gleich wie die echten Puppen. Die Alte wurde böse, sie hatte sich mehrere Stunden geplagt, und nun wurde ihre Puppe mißachtet. Aber sie verstand den Schmerz des Kindes und bändigte deshalb ihren Zorn. Mit vielen Worten versuchte sie dem Kinde klarzumachen, daß sie keine Puppe kaufen könnte. Das hielt aber den Tränenstrom nicht auf. Was sind alle Erklärungen und Gründe, alle Worte und Tröstungen gegen die brutale Tatsache, daß das Kind nicht bekommen kann, was es will, womit andere Kinder sich freuen; die Tatsache zerreißt das Herz, und den Platz, den die Freude in der Seele hätte einnehmen sollen, füllt der Neid aus.

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      Ein furchtbares Laster hatte die Alte: sie trank. Früher, da sie kaum das kümmerliche Brot hatte, reichte es nicht zu soviel Branntwein, wie sie wollte. Aber jetzt konnte sie ihren Durst stillen. Sie humpelte mindestens einmal am Tag zum Wirt. Holte eine Flasche Schnaps heim und begann ihr einsames Gelage. Einmal hatte sie Johanna trinken lassen – das Mädchen hatte das brennendscharfe Zeug ausgespuckt, die Tränen waren ihm in die Augen getreten, über den Schmerz in der Mundhöhle hatte es aufgeschrien. Seither gab ihm die Alte nichts mehr. Sie umschlich die Flasche, die auf einem Wandbrett stand, mit lüsternem Blick, wartete, bis Johanna in ihren Verschlag kroch, um zu schlafen. Dann holte sie ein seltsames altes Glas hervor und trank, solange, bis die Flasche leer war. Wilde Lieder summte sie dann vor sich hin und hielt mit sich selbst Gespräche. Oft schreckte Johanna aus dem Schlaf auf, wenn das Glas und die Flasche zusammenstießen, daß ein schriller Klang durch den Raum pfiff.

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      So geschah es wieder einmal nachts. Johanna fuhr jäh auf. Es brannte noch Licht. Über den Tisch floß Branntwein, tropfte auf den Boden, auf die Glasscherben, die ihn bedeckten. Die Alte tanzte, halbnackt, mit wirren Haaren, drehte sich, schlug um sich, warf einen Sessel um, stieß rohe Worte aus. Das Kind sah in seiner Angst phantastische Schreckbilder. Oder war es die Hexe, die Hänsel und Gretel gefangen gehalten hatte? – – Doch nein, das konnte nicht sein, die war ja verbrannt – die hatte Gretel ja in den Ofen gestoßen – nein – aber dann war es Teufels Großmutter, die in der Hölle arme Sünder quälte – – so, das war es – Teufels Großmutter.

      Das