Johanna. Fritz Rosenfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fritz Rosenfeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650349
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Dorf.«

      Die Magd glaubte ein Recht zu haben, sie auszuforschen. Sie präsentierte ihre Gefälligkeit wie einen Wechsel, der einzulösen ist. Da wurde Johanna zornig. Ihr ekelte vor diesen Menschen, diesen herzlosen Schleimquallen, die ihre Fühler in fremde Seelen strecken, wenn sie meinen, dort Stoff zu ihrer Unterhaltung zu finden. Johanna warf den Löffel beiseite, lief in ihre Kammer. Dort brach sie in Weinen aus.

      Es war ihr, als bewegte sich die Tür. Sie hoffte, Anton werde nach ihr sehen, sie trösten, Abbitte leisten, sein Verhalten erklären. Als sie die Tür öffnete, fand sie den Gang leer. Der Wind mußte an der Tür gerüttelt haben. Oder es hatte sich eine Schwalbe hereinverirrt und gegen die Wand geschlagen mit lahmen Flügeln.

      Da erklärte sie sich selbst Antons Schweigen. Der mußte so sein. Sie war dumm, daß sie anders erwartet hatte. Sein Vater durfte nichts wissen. Aber wie sollte das beim Tanz werden? Dann wußten es ja alle? Das ganze Dorf?

      Johanna holte ihre Kleider hervor, band die Schürze und betrachtete sich selbstgefällig. Den ganzen Nachmittag über sah sie niemand mehr.

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      Gegen Abend machte sie sich fertig. Es wäre ihr recht gewesen, ungesehen aus dem Hause zu kommen. Sie horchte, ob jemand auf der Treppe war, sah beim Fenster nach, ob jemand im Hof stand. Sie eilte die Stiege hinunter – und lief dem Bauern in die Arme.

      »Aha – also doch. Bist du aber frech – das hätt’ ich nie gedacht! Mordsmädel – die Buben werden schauen! Das erinnert einen so an seine besten Zeiten – wie man noch jung war. – Da hat man nicht gezaudert, ist drauflosgegangen durch Dick und Dünn –«

      Er maß sie lachend, sie wollte fort. Ehe sie sich versah, hatte er sie an der Hand gefaßt, drehte sie hin und her, um sie von allen Seiten zu betrachten.

      »Wollen mal sehen – ob noch was übrig geblieben ist von dem da –«

      Er riß sie jäh an seine Brust, beugte ihren Kopf aufwärts, küßte sie auf den Mund.

      Verwirrt taumelte sie zurück. Der Bauer lachte.

      Durch die Tür, die in die Küche führte, kam die Küchenmagd.

      »Ah – da schauts her – der Bauer –«

      »Sei ruhig – geht dich gar nichts an. Kümmert sich ja niemand drum, was du treibst.«

      »Ich sag ja gar nichts – gar nichts – –«

      Johanna war starr dagestanden. Nun erwachte sie. Ohne sich umzusehen, stürzte sie fort, ging durch den Wald, um nicht gesehen zu werden, bis sie sich beruhigt hatte. Denn ihre Augen waren geschwollen, so hatte sie nachmittags geweint.

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      Der Tanzplatz war gedrängt voll, das ganze Dorf versammelt. Zwischen den Bäumen hingen Lampen, von bunten Wimpeln umflattert, streuten spärliches Licht über den Platz. Die Musik schmetterte lustig drauflos, die Älteren saßen abseits, tranken tüchtig, spielten Karten, die Jüngeren tanzten. Scherzreden flogen hin und her, man bewunderte und verspottete einander, stritt und vertrug sich. Gerieten zwei heftig aneinander, trennte man sie. Und der Grund des Zwistes war bald vergessen.

      Johanna irrte durch viele Menschen. Nirgends fand sie Anton. Unter den Tanzenden war er nicht, auch beim Bier saß er nicht.

      Begrüßungen stürzten auf sie nieder.

      »Bist auch da – Johanna! Da schau her! Endlich hervorgekommen aus dem faden Nest?«

      »Wo hast du denn die schönen Kleider her?«

      »Hat sie ein Prinz gebracht?«

      »Der in der Nacht durchs Fenster stieg!«

      »Oder ein Märchenvogel?«

      »Oder hast sie wo mitgehen lassen, nicht?«

      »Ausgeborgt. Auf Nimmerwiedersehen.«

      Johanna hielt sich die Ohren zu. Stimmen und Musik verschwammen zu einem einzigen ungeheuren Lärm, zu einem Brausen, das anstieg und verebbte, das die Ohren zerriß und das Bewußtsein betäubte. Und aus dem Trubel kreischten Töne auf, die ihr galten:

      »Willst du mit mir tanzen – Lumpenprinzessin?«

      Mit grotesken Bewegungen, vornehme Gesten kopierend, tänzelte ein Bursch vor ihr her. Sie wich ihm aus.

      »Wie stolz – wie hochmütig – du Betteldirn!«

      Sie suchte Anton. Ihre Blicke jagten über die Gesichter, blieben haften, da und dort, aber es war ein Irrtum. Glitten weiter, Menschenreihen entlang, zickzack durch den Wirbel. Endlich fand sie ihn. Abseits saß er, mit Kameraden auf einer Bank.

      Zögernd trat sie vor ihn hin. Vor den Anderen zu sprechen, hieß ihr Geheimnis preisgeben. Aber sie wollte sehen, ob er wirklich feig war, ob er sich ihrer wirklich schämte. Aufgedrängt hatte sie sich ihm nicht. Er hatte um sie geworben – nun durfte er sie nicht verleugnen.

      »Da bin ich – Anton.«

      Anton sah auf. Es war ihm unangenehm, inmitten seiner Freunde von ihr angesprochen zu werden. Das brachte ihm Spott von allen Seiten. Blitzschnell überlegte er. Es gab nur einen Ausweg. Sich fremd stellen.

      »Was willst du?«

      Wie vor den Kopf geschlagen, wankte sie einen Schritt zurück.

      »Du hast mich ja eingeladen –« sagte sie kleinlaut, als sie die Fassung wiedergewonnen hatte.

      »Ich?«, fragte er langgedehnt.

      »Du.«

      Da lachte er, um seine Verlegenheit zu verbergen. Aber es war zu spät. Die Anderen hatten verstanden.

      »Du irrst – fällt mir gar nicht ein – ich tanze ja nicht.«

      —

      »Du hast mich geladen«, wiederholte sie. Sie war dem Weinen nahe. Dennoch gab sie nicht nach. Sie wußte, was auf dem Spiele stand. Behielt er recht, war sie dem Gespött des ganzen Dorfes ausgesetzt, als eine, die dem reichen Bauernsohn nachläuft, sich ihm an den Hals wirft. Aber er blieb hart.

      »Was gehst du mich an? Du hast nicht ausgeschlafen. Träumst wohl noch?«

      Er stieß sie fort. Doch die Burschen mengten sich ein.

      »Hab’ gehört, du hast was mit der Hanne«, sagte der eine.

      »Guter Geschmack, daß muß man dir lassen«, höhnte ein anderer.

      »Gratuliere«, sagte ein dritter und hielt ihm die Hand hin.

      Anton wurde rot, schlug die Hand weg.

      »Laßt mich in Ruhe. Ihr seid alle toll. Weil eine Verrückte mich angeht, glaubt ihr wirklich, ich hätte – ach was, ihr seid alle Esel!«

      Wütend sprang er auf, lief davon.

      Johanna blickte ihm nach. Sie wußte nicht mehr, was da war. Er müßte sich doch jeden Augenblick umdrehen und zu ihr kommen! Wenn seine Worte wahr gewesen!

      Sie erwachte erst, als die Burschen ihren Spaß mit ihr begannen.

      »Vielleicht Ersatz gefällig – schöne Dame?«

      Einer nahm gelehrten Ton an, machte, als ob er sich durch den Bart strich:

      »Ja – das pflegt vorzukommen – daß der Liebste eine verläßt – leider – kommt vor – oft sogar –«

      »Nicht zornig sein – wenn man so schön ist – gibts hundert für einen.«

      »Tänzchen angenehm, Frau Bürgermeisterin?«

      Johanna fühlte ein Brausen im Hirn. Der Platz taumelte vor ihren Augen, drehte sich rasend schnell um sie. Sie sah nur Fratzen, Grimassen, lüsterne, höhnische, teuflisch verzerrte Gesichter, die lachten. Sie allein stand. Alles