Johanna. Fritz Rosenfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fritz Rosenfeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650349
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Alte erwachte aus ihrer Berauschung.

      »Ins Bett, Hannerl, ins Bett – es ist ja so kalt.«

      Ihr Blick fuhr über den Tisch.

      »Der schöne, süße Branntwein. Die dumme Großmutter – hat ihn umgestoßen – ganz umgestoßen –«

      »Der süße Branntwein –« lallte sie.

      »Ja, Hannerl, wenn du nicht wärst, hätte Großmutter keinen Branntwein. Dann müßte Großmutter Wasser trinken – brrr! – statt süßen Branntwein –«

      Das Kind starrte hilflos, verständnislos auf die Frau. Es wußte nicht, was Großmutter so verändert hatte. Die Alte wankte zwischen den Sesseln, fiel zu Boden, lallte unverständliche Worte. Johanna ging zu ihr, sie stieß das Kind fort.

      »Laß mich, geh ins Bett – schnell – schnell – sonst wirst du krank – und dann stirbst du – und wenn du tot bist – hat Großmutter – keinen Branntwein mehr –«

      Gehorsam kroch Johanna ins Bett. Aber sie konnte lange nicht einschlafen, sah auf die Großmutter, hörte noch lange ihr irres Singen, durch das scharf ein Uhu-Schrei von draußen schnitt. Johannas Augen sanken zu. Sie vergaß, was vorging, alles tauchte in Schlaf. Als sie am Morgen erwachte, war die Szene vergessen.

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      Dem Wirt fiel es auf, daß die Alte nun soviel Branntwein kaufte, er erzählte es dem Bürgermeister. Der war lange nicht bei der Alten gewesen.

      Diesmal kam er, als der Monat um war, selbst.

      Die Alte empfing ihn mit gewohnter Unterwürfigkeit.

      »Wie geht’s dir –«

      »Könnt wohl besser gehen, Herr Bürgermeister.«

      »Und dem Kind?«

      Johanna wurde von der Alten vorgeschoben.

      »Es wächst viel – und wird gescheit. Es fragt soviel.«

      —

      Der Bürgermeister sah Johanna an. Sie war gewachsen – war stark geworden. Ihr Leib war fest, hatte derbe Knochen, wenn auch ihr Gesicht nicht schön war. Noch ein Jahr lasse ich sie, dachte der Bürgermeister; wenn sie zwölf ist, kann sie schon etwas leisten – dann nehme ich sie zu mir. –

      »Nun – dann ist so alles gut.«

      »Vielleicht ein Gläschen gefällig?« fragte die Alte und wollte die Flasche holen.

      »Nein – danke – war soeben beim Wirt. Soviel vertrage ich nicht mehr. Das Alter macht sich langsam bemerkbar.«

      Er zog den Beutel aus der Tasche, legte Geld auf den Tisch.

      Die Alte griff danach, zählte.

      Es war weniger als sonst.

      Erst wollte sie schweigen. Aber dann, als sie daran dachte, was ihr verloren ginge, meldete sie sich.

      »Herr Bürgermeister – entschuldigen schon – aber – es stimmt nicht.«

      Der Bürgermeister hatte das erwartet. Er zog die Weste straff über seinen Bauch und erhob sich. Dann kam die Standrede.

      »Doch, doch, es stimmt schon. Wir zahlen von nun ab weniger.«

      »Ja, warum denn?«

      Der Bauer wies auf die Schnapsflasche.

      »Deswegen. Du brauchst es ja nicht. Hast viel Geld für Branntwein. Das muß die Gemeinde nicht zahlen.«

      In der Alten Häuslerin wallte es auf.

      »Dann behalte ich das Kind nicht mehr –«

      Der Bürgermeister wußte, daß es der Alten damit nicht ernst war.

      »Dazu bist du nicht verpflichtet, das ist richtig. Wir werden einen anderen Kostplatz suchen.«

      Nun wollte die Alte begütigen.

      »So ernst – ist das nicht gemeint gewesen – Herr Bürgermeister. Aber ich meine doch, daß man mir soviel zahlen sollte wie früher. Das Kind wird größer und braucht mehr. Und alles wird teurer.«

      »Solange es für Schnaps reicht – gibt’s nicht mehr. Wenn du statt dessen dem Mädel ein Kleid kaufst, dann vielleicht. Dann komm zu mir – und du bekommst das Übrige.«

      Er konnte es wohl wagen, der Alten das Geld auf diese Weise zu vermindern. Bevor sie ihren Schnaps ganz verlor, verzichtete sie doch lieber auf einen Teil.

      »Aber wenn das Kind dann nicht so gut gehalten ist – es reicht halt nicht – ich kann dann nichts dafür.«

      »Wenn es schlechter gehalten wird als bisher, nehmen wir es fort.«

      Die Alte sah, daß sie unterlag.

      »Ich werde es versuchen. Und wenn es doch nicht ausgeht, dann komme ich zu Euch und sage es Euch.«

      Der Bürgermeister ging. Ein Fluch flog ihm nach. Die Alte nahm die Flasche und trank sie aus. Einige Stunden saß sie, starrte vor sich hin, sprach nichts. Als Johanna hungrig um Brot bat, schlug sie das Kind. Das war das erstemal. Es sollte nicht das letztemal sein.

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      Von nun an war die Alte ganz verändert. Sie mußte ihren Schnaps haben, und das Geld dazu sparte sie vom Essen ab. Wenn Johanna über Hunger klagte, bekam sie Prügel. Dann hieß es immer:

      »Geh zum Bürgermeister – der zahlt nicht für dich – hol dir dort Essen. Der hat mehr als ich.«

      Johanna wurde vergrämt, schweigsam, und begann über die Dinge zu grübeln.

      Die Kinder der Bauern hatten Spielzeug und gutes Essen, schöne Kleider, bunte Bänder – und sie hatte nichts. Warum die Anderen und sie nicht? Sie war genauso wie die Anderen, hatte Augen, Ohren, Glieder wie die Anderen – und hungerte, lief in Lumpen herum, mußte mit alten Flaschen und Steinen spielen.

      Nach und nach trug ihr die Alte schwere Arbeiten auf. Sie mußte auf dem Felde helfen, Wasser schleppen, Holz hacken, mußte Gras für die Ziege heimtragen. Mehr als knappe Befehle sprach die Alte nicht. Nur eine Bemerkung wiederholte sie stets, Tag für Tag:

      »Mach schnell – schnell – daß du nicht ganz umsonst ißt – wie komme ich dazu, dich auszufüttern – gehst mich gar nichts an – bist fremd – –«

      Johanna wich der Anrede der Großmutter aus, sprach nicht mehr als ja oder nein, wenn sie gefragt wurde.

      Es begann eine freudlose, düstere Zeit für Johanna.

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      Früher hatte die Alte dem Kind oft vom Pfarrer erzählt, vom geistlichen Herrn, der so mild sei und mit dem Himmel so gut stünde, und der überall helfen könnte, wo der Mensch Hilfe versagte. Johanna hatte ihm demütig die Hand geküßt, wenn sie ihm begegnet war, er hatte aber nie ein Wort mit ihr gesprochen. In die Schule ging sie nicht, ob sie etwas lernte oder nicht, lag ja keinem am Herzen. Der Pfarrer wußte, wer sie war, und achtete ihrer nicht.

      Als sie den Pfarrer einmal traf, an einem Sommerabend zwischen den Feldern, da blieb sie stehen, nachdem sie ihm die Hand geküßt hatte, damit er sie fragen sollte. Er blickte sie an, las in ihren Augen, daß ein Wunsch in ihr webte, und ermunterte sie zu sprechen.

      Da schüttelte sie ihren Kummer aus; nicht daß sie sich über die Alte beklagte, dazu war sie zu einfältig. Sie jammerte nur, daß sie Hunger habe, daß sie nichts zu essen bekäme, mittags wenig, abends oft gar nichts. – Und daß er, der doch gewiß helfen könnte, ihr helfen sollte.

      Der Pfarrer setzte eine ernste Miene auf und begann zu lehren.

      »Mein Kind – du mußt zufrieden sein. Du bist arm,