III.
Auf dem Hof des Bürgermeisters war Johanna die niedrigste Magd. Man hatte sie nicht in die Schule geschickt und verhöhnte sie wegen ihrer Dummheit. An ihrer Kraft wurde Raubbau getrieben, auf ihrer Seele herumgetreten.
Vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Finsternis mußte sie rackern. Kaum war eine Arbeit beendet, fand sich eine andere. Erbarmungslos preßte man aus ihrem Leib, was sie nur leisten konnte. War sie endlich fertig mit ihrem Tagewerk, fiel sie ins Bett, todesmatt, unfähig zu denken.
Obwohl sie alle Kraft zusammenraffte, um durchzuhalten, wurde sie wieder krank. Nächte rasten im Fieberschauer vorüber – Wochen hindurch war sie ans Bett gefesselt. Der Bauer wetterte und schrie, daß sie faul sei, daß sie gerade dann, wenn man sie brauche, krank sei.
Während der Krankheit ging in Johanna eine Wandlung vor. Sie begann wieder nachzudenken, verglich sich mit den Anderen, fragte sich, ob die Bäuerin etwas Besseres sei als sie selbst, was die anderen Kinder von ihr unterscheidet, was die Andern ihr voraushaben. Und sie fand keine Antwort auf diese Fragen. Niemand stand ihr bei, niemand half ihrer Seele in ihren Kämpfen. Sie begann alle zu hassen. Ihre Demut kehrte sich in verhaltenen Groll. In den Wochen der Krankheit biß sich dies Gefühl tief ein in ihr Herz. Selbst die alte Magd, der einzige Mensch, der es gut mit ihr meinte, haßte sie. Als sie einmal in die Kammer trat, eine Schale Kaffee in den Händen, fuhr Johanna sie hart an:
»Du lachst – du lachst mich aus –«
»Bei Gott – Hanne – ich habe nicht gelacht.«
»Doch, doch – du hast gelacht. Du machst dich lustig über mich. Du kommst überhaupt nur zu mir, weil du mich verspotten willst. Die unten haben dich geschickt – um herauszubekommen, was ich denke und spreche. Sie wollen wissen, was ich denke, damit sie darüber lachen können.«
»Du hast Fieber – Hanne – sei ruhig – es wird vorübergehen.«
»Ich habe kein Fieber mehr – ich sehe klar und deutlich. Ich durchschaue euch alle.«
Kopfschüttelnd verließ die Magd das Zimmer. Johanna schielte nach dem Kaffeetopf. Als sie hungerte, griff sie danach. Der Kaffee war gut und süß.
Als Johanna gesund war, stand sie anders zu ihrer Umgebung.
Alle Scheltworte gingen an ihr vorüber, sie war taub gegen jede Weisung, stumpf gegen jeden Befehl.
Da der Sommer zu Ende ging und der Winter weniger Arbeit brachte, ließ der Bauer die Dinge gehen, wie sie waren. Wenn man in Betracht zog, was Johanna unter dem Zwang, eingespannt, angepeitscht, leistete, war sie immer noch billig; denn sie kostete fast nichts. Die Wintermonate hindurch mußte sie nähen und spinnen, und das tat sie mit mehr Luft, das lag ihrem Wesen näher. Sie saß in der Ecke mit ihrer Arbeit, hörte kaum dem Gerede der Anderen zu, summte eine ungewisse, endlose Melodie vor sich her, bis man sie zurechtwies, daß sie still sein sollte. Es kam ihr nicht zu, sich bemerkbar zu machen, hieß es dann, sie habe zu schweigen.
Der Winter ging vorüber, das Feld wurde schneefrei, es gab wieder Arbeit draußen im Freien. Frühlingsstürme zerfetzten tiefherabhängende Nebel, die Bergspitzen wurden klar, die Sonne lag auf ihnen und spielte in tausendfältigem Glanz. Zum erstenmal bemerkte Johanna, daß Sonne und Licht und Berge herrlich schön seien, zum erstenmal horchte sie freudig den Vögeln, freute sie sich über den ersten Schmetterling, den sie sah. Gefühle waren in ihr Herz eingezogen, die sie sich nicht zu erklären wußte. Ihr Sinn wurde mild, sie war wieder fügsam, alles Störrische war von ihr genommen. Der Bauer war zufrieden mit ihr, sie bekam ein neues Kopftuch geschenkt und durfte mit den Anderen am Sonntag zur Kirche gehen.
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Johanna wußte gar nicht wie ihr war. Sie verachtete sich selber, weil sie wieder wehrlos war, wieder alles hinnahm. Aber sie konnte sich nicht auflehnen. Nicht aus Schwäche – nein, aus einem inneren Drang heraus, mit der Welt in Frieden auszukommen. Sie fühlte Kräfte in ihr sich regen, ungestüm, brausend, es drängte sie die Arme zu recken, weit, umfassend das All, den Himmel – ihre Brust wollte zerspringen, so schlug das Herz; das Blut rollte schneller in den Adern, es war, als ob gar kein Blut mehr in ihnen flösse, sondern Feuer – rinnende, stürmende Glut. – So wüst war ihr im Kopf, sie war ganz wirr von der Schönheit, die unvermutet auf sie einströmte, von der Unruhe, die sie erfüllte.
Keine Nacht schlief sie mehr. Sie lag im Fenster, sah zu den Sternen auf. Daß der Mond mild war, sah sie zum erstenmal, daß sein Licht wie Seide über ihre Hand floß, daß man in seinem Glanz weiche, sanfte Schatten warf. Sie wollte immer mit aufgelöstem Haar gehen – man verbot es ihr. Aber die Nadeln waren Fesseln, das Haar lastete schwer auf ihrem Kopf, sie war froh, es lösen zu können, wenn der Tag zu Ende ging.
Niemand sagte ihr, was das neue Leben, das in ihr erwachte, bedeuten sollte. Sie ertappte sich nur selbst dabei, daß sie öfter zu den Burschen hinüberschielte. Warum sie das tat, wußte sie nicht. Aber sie freute sich, wenn ihr Blick erwidert wurde. Sie wurde ganz rot vor Freude, wurde verlegen. Wandte sich ab und lachte. Aber ihre Arbeit litt darunter nicht. Und das war ja die Hauptsache.
So stand Johanna mitten im Wunder des Erwachens, nicht wissend, was in ihr wuchs, einer namenlosen, unbegriffenen Freude hingegeben, einem Gefühl, das sie veredelte, Liebe zum Leben in ihr Herz pflanzte und allen Kummer verscheuchte.
Der achtzehnjährige Sohn des Bürgermeisters, ein selbstsüchtiger, spottlustiger Junge, war der einzige Bursch, mit dem sie sprach. Die anderen sahen ihr nach, verschlangen sie mit den Augen, tasteten mit gierigen Blicken ihren Leib entlang und machten sich schließlich in derben Spottreden Luft. Im Grunde wollte Anton ja auch nichts, als seinen Spaß mit ihr haben. Er war bei all seinem Selbstbewußtsein ein Schwächling, der es den anderen nicht gleich tun konnte und deshalb stehts den Kürzeren zog, wenn er mit ihnen beisammen war. Das Mädchen gefiel ihm nicht sonderlich – so suchte er sich dieses Mädchen aus, dem er sich überlegen fühlte, demgegenüber er seine Herrschgelüste spielen lassen konnte, ohne fürchten zu müssen, durch sein Begehren abhängig zu werden.
Es war anfangs das primitive Gefühl der Überlegenheit des Stärkeren gegen die Schwächere, das in ihm wirkte. Aber sein Blut stürmte rasend durch seine Adern, wenn er sie sah, seine Sinne verlangten so heiß, so fiebrig, daß seine Ruhe bald dahin war. – Andere Elemente schlichen sich in sein Handeln. Seine Gefallsucht wandelte sich in Brutalität. Wollte er erst einen Menschen haben, der zu ihm aufsah und ihn bewunderte, so war er jetzt der Mann, dem das schwache Mädchen ausgeliefert war. Mehrmals versuchte er, seinen Arm um ihre Hüften zu schlingen, sie wehrte ab, lachte dabei, er wurde rot, lief davon.
Die Niederlage schmerzte ihn. Es gab also doch Dinge, auf die ihm seine Stellung kein Vorrecht einräumte. Da lehnte er sich auf gegen das Joch, in das ihn sein Begehren spannen wollte. Er fühlte, daß es ihn zu ihr hinzog mit wunderbarer Gewalt, daß es ihn zwang, sich ihr zu nähern, und er widerstrebte. Er rief soziale Vorurteile zu Hilfe, um dem Verlangen entgegenzutreten, sagte sich, daß er sich wegwerfe, er, der Sohn des Bürgermeisters, an das elternlose, blutarme Mädchen. Er kam sich wie eine Gestalt aus einem Kolportageroman vor, wie der Graf, der die Bettlerstochter liebt und mit sich ringt, ob er die leichte Beute erhaschen oder fahren lassen soll. Sein Gehirn arbeitete zwecklos. Johanna ging durch seine Träume, ganz anders, als sie in Wirklichkeit war, veredelt, gehoben, verklärt.
Im Hause legte er sich Zwang auf. Er fürchtete den Vater. Aber außerhalb des Hauses stellte er ihr nach. Er folgte ihr im geheimen auf das Feld, durch das Dorf, in den Wald, wenn sie Holz sammelte. Sie wußte das, sah sich um, freute sich, daß er ihr nachging, denn es war das erstemal, daß einer kam, nicht um sie zu schlagen, nicht um sie zu beschimpfen