Johanna. Fritz Rosenfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fritz Rosenfeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650349
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Widerstand bringt den Bürgermeister in Zorn. Er fährt los wie ein Wilder:

      »Macht mit dem Kind, was Ihr wollt. Von mir aus ertränkt es im Bach. Lebenslang hat man die Bettler zu erhalten, und dann soll man noch die Kinder füttern. Wenn man das tut, wird das Gesindel nur frech. Hätten das Kind mitnehmen sollen – wer braucht es denn. Laufen genug Rangen im Dorf herum. Noch ein Balg mehr – nein. Jetzt soll man es aushalten – und wenn es groß ist und arbeiten kann, dann läuft es davon. Dann gehört es nicht mehr zur Gemeinde. Nein, nein, macht mit dem Kind, was Ihr wollt.«

      »Aber wir können doch das Kind nicht verhungern lassen.«

      »Wenn du so weichherzig bist, nimm es dir, es wird dir keiner streitig machen.«

      »Hab’ selbst genug – mehr als ich Brot hab’.«

      »Dann soll es Eure Gemeinde erhalten. Die unserige ist arm und hat nichts übrig für fremde Kinder. Heut nacht ist einem die Scheune abgebrannt – dem müssen die Anderen unter die Arme greifen – hat nichts zum beißen –«

      »Wir sind auch nicht reich. Wir können es nicht erhalten. Uns ist es ein Fremdes. Streit’ nicht, Bürgermeister, du weißt, es gehört Euch. Du weißt, es ist Eure Pflicht, für das Kleine zu sorgen.«

      »Pflicht hin, Pflicht her. Ich will nicht, und das ist wichtiger.«

      »So – – du willst nicht. Nun gut. Meinetwegen. Ich laß das Kind da. Geh, Hannerl, wir holen deine Sachen.«

      Das Kind hat von dem Auftritt nichts verstanden, es weiß nicht, worum es geht. Gehorsam läuft es auf die Straße, hilft die Kleiderbündel und Taschen ins Zimmer tragen. Der Bürgermeister steht dabei, die geballten Fäuste in den Hosentaschen vergraben, und sieht ohnmächtig zu. So sehr er zürnt, so heiß die Wut in ihm kocht, weiß er doch ganz genau, daß er nichts machen kann, weil er zur Erhaltung des Kindes verpflichtet ist.

      »So, da sind die Sachen. Mehr war es nicht. Ihr könnt drüben nachfragen, wenn Ihr mir mißtraut.«

      Nochmals flammt der Zorn des Bürgermeisters auf.

      »Und ich sag – daß ich es nicht leide – ich will nicht –«

      »Das macht untereinander aus. Ich selber kann nichts dafür. Wir haben kein Geld.«

      Der Mann wendet sich zum Kind.

      »Bleib recht brav, Hannerl, ich besuch’ dich bald – ja – gut sein zum neuen Onkel – recht folgsam sein – ja –«

      Er bietet dem Bürgermeister die Hand, die dieser widerwillig nimmt. Das Kind blickt dem Manne unverständig nach. Es begreift dunkel, daß er sich von ihm trennt und fängt darum zu weinen an. Als es auf die Straße läuft, ist der Wagen bereits fort. Es geht in die Stube zurück, sieht zu dem großen, finsteren Mann auf, und als dieser sich abwendet, schleppt es seine Habe in den Winkel, wirft sich darauf und weint wieder.

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      Der Bürgermeister rief die Bauern zusammen. Sie wetterten und tobten, weil sie einen unnützen Esser ernähren sollten. Aber da sie sich nicht helfen konnten, fügten sie sich darein und suchten so billig wie möglich davonzukommen. Sie schrieben eine Art Versteigerung aus und bemühten sich, das Kind um ein möglichst geringes Kostgeld unterzubringen. Es wurde um ein paar Groschen gefeilscht. Niemand wollte das Kind nehmen, denn soviel, daß man daran verdienen konnte, gab die Gemeinde nicht, und umsonst wollte niemand das Kind erhalten. Wenn nur die Kosten gedeckt waren, dann blieben Zeit und Mühe unbezahlt. Hätte man es kaufen können – sich ein Anrecht auf die werdende Arbeitskraft sichern – das wäre eine gut verzinste Kapitalanlage gewesen. Das Kind billig großzufüttern, um dann ein williges Arbeitstier zu haben. Aber das ging nicht an.

      Im hohen Rat der Gemeinde wußte man nicht aus noch ein. Witzbolde sagten, wenn sich niemand findet, muß der Bürgermeister das Kind behalten. Wäre es zu irgendeiner Arbeit zu brauchen gewesen, hätte er das auch gerne getan. Aber es war erst vier Jahre alt.

      Endlich erinnerte man sich einer alten Häuslerin, die an der äußersten Grenze des Dorfes, wo der Wald begann, wohnte, und nichts zu beißen hatte. Die war für einen Groschen zu allem zu haben. Sie ließ das Kind hungern, aber das kümmerte niemanden, und wenn es bei ihr zugrunde geht, ist die Gemeinde von der Last befreit. Der Bürgermeister übernahm es selbst, das Kind hinzuführen. Und da nicht anzunehmen war, daß die Alte das Geschäft zurückweisen werde, galt die Sache für erledigt.

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      Die Hütte der Alten stand am Waldrand, war ehemals von Köhlern bewohnt gewesen, dann verfallen, eine Zeit lang hatten Zigeuner darin gehaust; als das Haus der Alten einmal niedergebrannt war, wies man ihr die Hütte an. Der Tischler vernagelte die eingebrochenen Fenster, zimmerte einige rohe Möbel, und damit war genug getan. Niemand dachte an das alte Weib, man sah es selten auf dem Stück Acker, das man ihm geschenkt hatte, traf es noch seltener im Dorf. Es suchte keinen und wurde von keinem gesucht.

      Darum verwunderte sich die Alte sehr, als der Bürgermeister eines Tages daherkam – sie war vor Aufregung außer sich, lief in dem engen Raum umher, wußte nicht, was sie beginnen sollte.

      »Aber die Ehre – der Herr Bürgermeister.«

      Der Bürgermeister, der Eile hatte, beschwichtigte sie. Sie ließ es sich aber nicht nehmen, de Stühle abzuräumen, warf allerlei Plunder kurzerhand in den Winkel, holte aus einer Truhe eine Flasche Branntwein, um den Bürgermeister zu bewirten. Da ihm daran lag, sich mit der Alten zu vertragen, trank er einen Schluck. Nun wandte sich die Alte zu dem Kinde.

      »Ja – was bringt ihr mir da für eine liebliche Prinzessin?«

      »Das Kind soll bei Euch bleiben. Hört zu.«

      —

      Mit wenigen Worten klärte der Bürgermeister die Häuslerin über das Wichtigste auf. Die Alte war sofort einverstanden. Als sie das Geld für den ersten Monat sah, kannte ihre Freude keine Grenzen. Ihre brennenden Augen gierten aus fahlen Höhlen nach den Münzen. Der Bürgermeister beobachtete sie scharf.

      »Du haftest selbstverständlich für das Kind.«

      »Selbstverständlich – das süße Kleine – wird es gut bei mir haben. – Ich hab ja Kinder gern. Herr Bürgermeister – Sie wissen es gar nicht – so gern. Und dann – bin ich nicht mehr so einsam. Es ist manchmal recht unheimlich – da heraußen.«

      Und ihre Blicke strichen neugierig nach dem Bündel, das die Kleine trug.

      »Das sind ihre Kleider. Einiges ist noch von der toten Mutter. Das kannst du für dich verwenden.«

      »Tausend Dank – Herr Bürgermeister – tausend Dank. Werde meine Sache schon gut machen.«

      »Ich schaue mal wieder her. – Wenn dem Kind etwas zustößt, meldest du’s sofort – verstanden?«

      »Es wird ihm nichts zustoßen bei mir – ich werde es gut halten.«

      Ohne auf das Kind zu blicken, ging der Bürgermeister davon.

      Kaum war die Tür hinter ihm zugefallen, da stürzte sich die Alte auf das Bündel, riß es auf, wühlte in den Kleidern, suchte die buntesten Stücke, hielt sie sich selbstgefällig vor den Leib. Das Kind sah zu, wußte nicht, wie ihm war. Eine tiefe Leere gähnte in seinem Innern.

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      Es ging gegen Mittag. In dem kleinen Ofen flackerte Feuer, die Alte kochte Kartoffeln, das Kind saß stumm in der Ecke.

      »Komm her – Kleine – komm her.«

      Das Mädchen sah auf. Seine Augen hatten einen feuchten Glanz. Als es die Alte sah, fürchtete es sich.

      »Na, so komm doch.«

      Erst als das Essen dastand, kam das Kind, vom Hunger getrieben.