4. Das Eingruppierungszustimmungsverfahren
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Die rechtliche Verpflichtung der Herstellung eines Einvernehmens der Betriebsparteien über die Eingruppierung eines Arbeitnehmers ist ein gestuftes Verfahren, in dem das Erreichen der jeweils nächsten Stufe voraussetzt, dass die Pflichten aus der vorangegangenen Stufe ordnungsgemäß erfüllt sind.
a) Die Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber
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Zunächst hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die beabsichtigte Eingruppierung zu unterrichten. Der Umfang der hierfür erforderlichen Informationen wird bestimmt durch das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats, insbesondere zur Frage, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG aufgeführten Widerspruchsgründe vorliegt. Daher sind alle Tatsachen von Bedeutung, die die Richtigkeit der beabsichtigten Eingruppierung belegen, insbesondere hinsichtlich des anzuwendenden Entgeltschemas, der Anforderungen des für zutreffend gehaltenen Tätigkeitsmerkmals und deren Erfüllung durch die vom Arbeitnehmer auszuübende Tätigkeit.89 Die Informationen orientieren sich dabei letztlich an der jeweiligen Ausgestaltung der Vergütungsordnung.90
b) Die Reaktionsmöglichkeiten des Betriebsrats
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Der Betriebsrat kann auf die Eingruppierungsabsicht in verschiedener Weise reagieren. Vom Gesetz ist ihm – ungeachtet einer objektiven Richtigkeit der geplanten Zuordnung – frei gestellt, untätig zu bleiben, d.h. die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstreichen zu lassen, oder ihr ausdrücklich zuzustimmen.91 Waren die ihm mitgeteilten Tatsachen hinreichend, ist damit das Zustimmungsverfahren erledigt; eine Überprüfung der beabsichtigten Eingruppierung findet unter betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr statt.
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Will er die Fiktion einer Zustimmung vermeiden, muss der Betriebsrat auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen Beschlusses92 schriftlich unter Angabe von Gründen der beabsichtigten Eingruppierung widersprechen. Die Ansprüche an die Begründung werden sehr niedrig gehalten. Nach einer Formel des BAG soll eine auch nur mögliche Zuordnung zu einem der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Widerspruchsgründe (realistisch: wohl Nr. 1) genügen,93 ohne dass die Wiederholung des Wortlauts ausreicht. Insoweit empfiehlt sich eine zumindest kurze und knappe Begründung, die jedoch keinesfalls schlüssig sein muss.
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Bei ordnungsgemäßem Widerspruch des Betriebsrats ist das betriebsverfassungsrechtliche Verständigungsverfahren nicht beendet, weil es zu keiner Einigung gekommen ist. Der Arbeitgeber kann nun die Sache auf sich beruhen lassen. Wenn er keinen Antrag auf die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates durch das Arbeitsgericht stellt, was er, wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, nicht muss, ist es Sache des Betriebsrats zu entscheiden, ob er es dabei bewenden lassen will oder ob er die Fortsetzung des Zustimmungsverfahrens mit Hilfe eines Antrags nach § 101 BetrVG erzwingt. Zwar sieht § 101 BetrVG die Herbeiführung einer Entscheidung über die „Aufhebung“ der personellen Einzelmaßnahme vor, was bei einer Eingruppierung als rein gedanklicher Zuordnung nicht möglich ist. Das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats kann aber dazu analog gerichtlich durchgesetzt werden. Der entsprechende Antrag richtet sich darauf, dem Arbeitgeber – ggf. unter Androhung eines Zwangsgeldes94 – aufzugeben, die gegenständliche Ein- oder Umgruppierung vorzunehmen, den Betriebsrat um Zustimmung zu ersuchen und im Fall einer beachtlichen Zustimmungsverweigerung das arbeitsgerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einzuleiten und durchzuführen.95
c) Das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren
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Der Antrag des Arbeitgebers auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu der beabsichtigten Eingruppierung umfasst – auch ohne dass dies im Antragswortlaut zum Ausdruck kommen muss – hilfsweise das Begehren, festzustellen, dass die Zustimmung des Betriebsrats mangels wirksamen Widerspruchs als erteilt gilt,96 der betriebsverfassungsrechtliche Konflikt also bereits abschließend beendet ist. Bei der Frage der Zustimmungsersetzung prüft das Gericht, ob der vom Betriebsrat vorgebrachte Widerspruchsgrund bestand. Das beschränkt sich nicht auf die Argumente des Widerspruchs; dieser braucht nicht einmal schlüssig zu sein. Das Gericht hat vielmehr im Rahmen der Zuordnung des Widerspruchs zu einem der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Widerspruchsgründe – im Wege der Amtsermittlung (§ 83 Abs. 1 ArbGG) – alle danach möglichen Argumente, etwa die Zuordnung zu einer bestimmten Entgeltgruppe oder die Anwendung der zutreffenden Entgeltordnung, zu prüfen.97 In dem Rahmen kann es dazu kommen, dass das Gericht die Tatsachen selbst ermittelt, die den Widerspruch des Betriebsrats dann – unabhängig von dessen dort vorgebrachten Argumenten – begründen können.98 Die Entscheidung des Gerichts ergeht nur über die Frage, ob die Zustimmung des Betriebsrats zu der beabsichtigten Eingruppierung zu ersetzen ist oder nicht. Die Feststellung einer anderen als der vorgesehenen Entgeltgruppe darf das Gericht nicht treffen.
5. Rechtsfolgen der betriebsverfassungsrechtlichen Eingruppierung für das einzelne Arbeitsverhältnis
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Die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus der Durchführung des betrieblichen Zustimmungs- und ggf. des arbeitsgerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 BetrVG für das Individualarbeitsverhältnis, insbesondere den Entgeltanspruch des betroffenen Arbeitnehmers ergeben, gehört zu den derzeit umstrittensten Fragen des Arbeitsrechts. Das Bundesarbeitsgericht hat hier in den letzten Jahren mehrfach Rechtsprechungsänderungen vorgenommen, die höchst folgenreich sind, aber – teilweise mit guten Gründen – kritisiert werden. Es hat vor allem die Frage aufgeworfen und noch nicht abschließend eindeutig beantwortet, ob und unter welchen Umständen sich aus der betriebsverfassungsrechtlichen Eingruppierung ein Anspruch des Arbeitnehmers auf das sich aus dieser Eingruppierung ergebende Entgelt der angewandten Entgeltordnung ergibt, soweit keine entsprechende einzelvertragliche Vereinbarung getroffen worden ist.99 Halbwegs gesichert erscheint die Feststellung, dass nach derzeitigem Stand davon auszugehen ist, dass dann, wenn der Arbeitnehmer nach dem Entgeltschema zu vergüten ist, es dem Arbeitgeber verwehrt ist, sich auf eine Entgeltgruppe zu berufen, die entweder niedriger ist als diejenige, die er selbst im gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren durchgesetzt hat, oder die derjenigen entspricht, mit der er bei Gericht gescheitert ist. Die entsprechende gerichtliche Entscheidung soll danach einseitig zwingende präjudizielle Wirkung entfalten.100
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In der Praxis spielt diese Frage vielleicht deshalb keine so große Rolle, weil der Arbeitgeber die Vorgaben des betrieblich „geltenden“ und angewandten Entgeltschemas, vor allem, wenn es auf einem Tarifvertrag beruht, an den er selbst gebunden ist, ungeachtet der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der tarifschließenden Gewerkschaft anwendet, z.B. aufgrund einer vertraglichen Verweisungsklausel. Soweit dies nicht der Fall ist, sollten Arbeitgeber als „Arbeitshypothese“ einstweilen davon ausgehen, dass im Zweifel die betriebsverfassungsrechtliche Eingruppierung zumindest als „Untergrenze“ der dem einzelnen Arbeitnehmer geschuldeten Vergütung angesehen werden kann. Die Rechtslage ist sehr umstritten; eine Prognose über die Entwicklung der Rechtsprechung des BAG ist in diesem Punkt kaum zu treffen.
74 BAG 14.4.2015, 1 ABR 66/13, Rn. 32 m.w.N., NZA 2015, 1077. 75 BAG 14.4.2015, 1 ABR 66/13, NZA 2015, 1077 (Entgeltordnungen in Tarifverträgen der Deutschen Bahn mit der EVG und der GdL); allg. zu Vergütungssystemen in tarifpluralen Betrieben vgl. unten Kap. 13.