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In der Metall- und Elektroindustrie hat die Einführung des ERA zwei unterschiedliche Arbeitsbewertungssysteme hervorgebracht. In den meisten Bezirken wurde eine summarische Arbeitsbewertung zugrunde gelegt. Dabei werden die Anforderungen der Arbeit, des Arbeitsplatzes oder des Arbeitsbereichs in einer globalen Betrachtung erfasst und je nach ihrer Wertigkeit verschiedenen Entgeltgruppen zugeordnet. In diesem Bereich findet sich insoweit eine bedeutsame Abweichung von einem sonstigen allgemeinen Eingruppierungsgrundsatz. Normalerweise verlangt die Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe das Vorliegen aller dort genannten Anforderungen; fehlt es an der Erfüllung auch nur einer Anforderung, ist eine Einstufung in diese Gruppe nicht möglich. Anders in den Bezirken der Metall- und Elektroindustrie mit summarischer Arbeitsbewertung: Hier ergibt sich aus den Tarifverträgen mit notwendiger Klarheit der Wille der Tarifvertragsparteien, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, in der eine mögliche Nicht- oder Untererfüllung hinsichtlich eines der drei Kriterien (erforderliche Ausbildung, Grad der Komplexität der Aufgabe, Maß der Vorgaben vs. selbständiger Erledigung) kompensiert werden kann durch die Übererfüllung eines anderen Merkmals. Ferner sollen die zeitlichen Anteile verschiedenwertiger Einzeltätigkeiten ausdrücklich keine Rolle spielen.50 Dies entspricht jedenfalls im Ergebnis dem in den Tarifgebieten NRW und Baden-Württemberg vereinbarten analytischen Verfahren, in NRW in der Form eines Punktbewertungssystems, in BW in Form eines Stufenwertzahlverfahrens. Dabei werden die Anforderungen weitgehend untergliedert und ihnen jeweils einzelne Punktzahlen oder Stufenwertzahlen zugeordnet, aus deren Summe sich jeweils die Entgeltgruppe ergibt. Auch hier sind derartige Kompensationsmöglichkeiten eröffnet.
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Erfüllt die Tätigkeit eines Arbeitnehmers keines der in der Entgeltordnung geregelten Tätigkeitsmerkmale (und zwar weder eines Richtbeispiels noch einer abstrakten Anforderung), obwohl das Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich des die Entgeltordnung enthaltenden Tarifvertrags liegt, handelt es sich um eine Tariflücke. Bei einer von den Tarifvertragsparteien erkennbar bewusst nicht geregelten Tätigkeit, was selten vorliegt, kann eine Eingruppierung nicht vorgenommen werden. Ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die Tätigkeiten der Branche an sich vollständig und abschließend regeln wollten und die fragliche Tätigkeit lediglich versehentlich nicht geregelt haben (unbewusste Tariflücke), kann diese nur dann – z.B. durch die Heranziehung artverwandter, vergleichbarer Tätigkeitsmerkmale – geschlossen werden, wenn es sichere Hinweise darauf gibt, wie die Tarifvertragsparteien selbst vorgegangen wären, wenn sie die Lückenhaftigkeit erkannt hätten.51 Gibt es dafür aber verschiedene Möglichkeiten, ist eine Eingruppierung nicht möglich, und erforderlichenfalls muss die Entgeltbestimmung unter Rückgriff auf § 612 BGB vorgenommen werden.
b) Bedeutung der Erst-Eingruppierung
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Mit der – zutreffenden – Erst-Eingruppierung erfolgt eine gewisse Festlegung, die Rückwirkungen auf die grundsätzliche Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und – reziprok – seinen Beschäftigungsanspruch haben kann. Denn nach der Rechtsprechung des BAG kann z.B. ein Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, der als „Verwaltungsangestellter“ eingestellt ist und aufgrund der ihm vereinbarungsgemäß übertragenen Aufgaben nach der Tarifautomatik mit der Entgeltgruppe 6 TVöD bewertet wird, danach nicht ohne Vertragsänderung mit Aufgaben nach der Entgeltgruppe 5 TVöD beschäftigt werden. Ansonsten könnte der Arbeitgeber durch die Zuweisung einer niedriger wertigen Tätigkeit mittelbar selbst die Entgelthöhe einseitig festlegen. Hier begrenzt die durch die Erst-Eingruppierung vorgenommene Konkretisierung der Arbeitspflicht das Direktionsrecht des Arbeitgebers für die Zukunft.52
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Eine in der Sache ähnliche Festlegung enthalten manche ERA-Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie. So legt § 2 Ziff. 6 TV ERA NRW fest, dass ein Arbeitnehmer zwar – ohne Entgeltverlust – vorübergehend auch mit niedriger bewerteten Tätigkeiten betraut werden kann. Es heißt dann aber weiter: „Eine dauerhafte Ausübung einer niedriger bewerteten Tätigkeit über sechs Monate hinaus setzt eine Änderungskündigung oder Änderungsvereinbarung voraus“; damit wird die bisherige Eingruppierung „vertragsfest“ gemacht und dementsprechend auch die Reichweite des Direktionsrechts des Arbeitgebers.53
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Dieses Problem ist – soweit ersichtlich – bisher nicht in anderen Branchen Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen.54 Ob das BAG davon ausgeht, dass es sich dabei um einen allgemeinen Grundsatz handelt, kann schwer prognostiziert werden. Es empfiehlt sich jedenfalls, dieses – mögliche – Problem nicht aus den Augen zu verlieren.
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Zu vorübergehend übertragenen höherwertigen Tätigkeiten enthalten viele Tarifverträge Bestimmungen, die in der Regel davon ausgehen, dass eine solche Übertragung mit Zustimmung des Arbeitnehmers möglich ist und dass – ggf. nach einer bestimmten Zeit – auch die Differenz zur höheren Entgeltgruppe zu zahlen ist.55 Ein Anspruch auf Höhergruppierung soll sich daraus aber regelmäßig nicht ergeben.
c) Umgruppierung
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Eine einmal vorgenommene Eingruppierung, die zutreffend und womöglich auch gerichtlich bestätigt worden ist, wirkt so lange, wie die beiden Faktoren, die Entgeltordnung und die tariflich bewertete Tätigkeit unverändert bleiben. Ändert sich einer der Faktoren, muss eine erneute Eingruppierung, die in diesem Fall Umgruppierung genannt wird, durchgeführt werden.56
aa) Umgruppierung bei Änderung der Entgeltordnung
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Gelegentlich kommt es in der tariflichen Praxis zu einer Veränderung von früher vereinbarten oder zur Schaffung von neuen Tätigkeitsmerkmalen. In diesen Fällen ist die Eingruppierung der einzelnen Arbeitnehmer zu überprüfen und ggf. eine Neu-Eingruppierung oder Umgruppierung vorzunehmen. Auch hier gibt es im individualrechtlichen Bereich im Allgemeinen keine unmittelbaren Verfahrensvorschriften hinsichtlich der Eingruppierung im engeren Sinn. Ergibt die Überprüfung durch den Arbeitgeber aus seiner Sicht eine Änderung der zutreffenden Entgeltgruppe, kann er den Arbeitnehmer hiervon in Kenntnis setzen und im Weiteren seine Vergütungszahlung entsprechend anpassen. Wenn der Arbeitnehmer damit nicht einverstanden ist, kann er seinen ihm vermeintlich zustehenden Anspruch gerichtlich geltend machen. Das ihm gezahlte Entgelt entspricht dann nicht der „objektiven Rechtslage“. Ist der Arbeitgeber nach der neuen Entgeltordnung verpflichtet, dem Arbeitnehmer Entgelt nach einer höheren als der bisherigen Entgeltgruppe zu zahlen, kann sich ein Arbeitnehmer hierauf berufen.
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Noch folgenreicher ist eine komplette Neuordnung der Entgeltsysteme, wie etwa im öffentlichen Dienst oder in der Metall- und Elektroindustrie geschehen. Dabei sind u.U. alle Arbeitnehmer einer Branche neu einzugruppieren, wie es in der Metall- und Elektroindustrie auch tatsächlich geschehen ist.57 Häufig gibt es in diesen Situationen Überleitungstarifverträge, die versuchen, den Aufwand für eine Neueingruppierung in erträglichen Grenzen zu halten,58 etwa indem eine feste „Überleitungsmatrix“ gebildet wird, wonach das bisherige Entgeltschema hinsichtlich der bisherigen Eingruppierungen – zumindest vorübergehend – aufrecht erhalten bleibt und eine Neu-Eingruppierung nur bei einer Änderung der Tätigkeit vorgenommen wird.
bb) Umgruppierung bei Änderung der Tätigkeit
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Eine (bisherige) Eingruppierung wird aber auch hinfällig, wenn dem Arbeitnehmer – im Rahmen des Direktionsrechts59 – eine neue Tätigkeit übertragen wird. Das ist im Regelfall bei jeder Versetzung gegeben. Hier hat der Arbeitgeber die Verpflichtung einer Überprüfung, ob die bisherige Eingruppierung auch für die neue Tätigkeit zutrifft, und ggf. eine Umgruppierung vorzunehmen.