3. Die Bestimmung der zu bewertenden „Arbeitseinheit“
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Bei der Eingruppierung ist den abstrakten Anforderungen aus der Entgeltordnung die zu bewertende Tätigkeit des Arbeitnehmers gegenüberzustellen. Deren Festlegung ist ein oft unterschätzter Vorgang. Denn einerseits kann nicht jede Tätigkeit als Ganzes bewertet werden. Dafür ist die Vielfalt der übertragenen Aufgaben oft zu groß. Andererseits ist auch nicht „jeder Handgriff“ gesondert einem tariflichen Merkmal zuzuordnen. Deshalb müssen die zu bewertenden Arbeitseinheiten nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften zusammengefasst werden.
a) Die Notwendigkeit einer Zusammenfassung von Arbeitsschritten
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Die hierfür heranzuziehenden Bestimmungen der tariflichen Regelungen sind dabei – vor allem in der Privatwirtschaft – oft nicht sehr hilfreich. Beispiele:
– TV ERA Metall, Bezirk Küste – § 3: Grundlage der Eingruppierung sind die Anforderungen aus der übertragenen Arbeit (Tätigkeiten, Aufgaben, Aufgabengebiete oder Aufgabenbereiche) an die Beschäftigten. Hierbei werden alle Anforderungen, soweit sie die übertragene Arbeit im Wesentlichen prägen, in ihrer Gesamtheit bewertet. Es sind die Anforderungen prägend, die die Wertigkeit der Arbeit bestimmen. Dabei kommt es nicht auf die Prozente der einzelnen Arbeitsanteile an.
– TV ERA Metall NRW – § 2 Abs. 3: Grundlage der Eingruppierung des Beschäftigten ist die Einstufung der übertragenen und auszuführenden Arbeitsaufgabe. Die Arbeitsaufgabe kann eine Einzelaufgabe beinhalten oder einen Aufgabenbereich umfassen. ... Abs. 4: Werden einem Beschäftigten mehrere Arbeitsaufgaben übertragen, die wegen des fehlenden unmittelbaren arbeitsorganisatorischen Zusammenhangs nicht ganzheitlich zu betrachten sind und die verschiedenen Entgeltgruppen zugeordnet sind, ist er entsprechend der überwiegenden Tätigkeit einzugruppieren.
– TV ERA Metall Niedersachsen – § 2 Abs. 1: Die Beschäftigten werden entsprechend ihrer Tätigkeit in einer der Entgeltgruppen ... eingruppiert ... Abs. 3: Für die Eingruppierung der Beschäftigten in eine Entgeltgruppe ist allein die Tätigkeit maßgebend, nicht die Ausbildung.
– BETV Chemie – § 3: Die Arbeitnehmer werden entsprechend der von ihnen ausgeübten Tätigkeit in die Entgeltgruppen eingruppiert. Für die Eingruppierung in eine Entgeltgruppe ist nicht die berufliche Bezeichnung, sondern allein die Tätigkeit des Arbeitnehmers maßgebend. ... Übt ein Arbeitnehmer innerhalb seines Arbeitsbereichs ständig wiederkehrend mehrere Tätigkeiten aus, auf die verschiedene Entgeltgruppen zutreffen, so ist er in die Entgeltgruppe einzugruppieren, deren Anforderungen den Charakter seines Arbeitsbereichs im Wesentlichen bestimmen.
– GTV Einzelhandel Hessen – § 2 Abs. 1: Die Angestellten werden nach der von ihnen tatsächlich verrichteten Tätigkeit in eine der nachstehenden Beschäftigungsgruppen ... eingestuft. ... Abs. 12: Übt ein/e Arbeitnehmer/in mehrere Tätigkeiten aus, so ist die überwiegende Tätigkeit für die Eingruppierung maßgebend. Lässt sich eine überwiegende Tätigkeit nicht feststellen, so erfolgt die Eingruppierung in die höhere Tarifgruppe.
– GTV und LTV Einzelhandel Bayern und Sachsen: keinerlei tarifliche Vorgaben.
– ETV Hotel- und Gaststättengewerbe Niedersachsen – Ziff. 6: Die Eingruppierung der Beschäftigten in die Entgeltgruppen erfolgt nach den Tätigkeiten.
– BRTV Bau – § 5 Abs. 2 Unterabs. 2: Für die Eingruppierung der Arbeitnehmer sind seine Ausbildung, seine Fertigkeiten und Kenntnisse sowie die von ihm ausgeübte Tätigkeit maßgebend. ... Unterabs. 3: Führt ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten gleichzeitig aus, die in verschiedenen Gruppen genannt sind, wird er in diejenige Gruppe eingruppiert, die seiner überwiegenden Tätigkeit entspricht.
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Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, dass die Tarifvertragsparteien regelmäßig davon ausgehen, dass zunächst die von ihnen auszuübende oder ausgeübte Tätigkeit maßgebend ist.
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Im Normalfall ist die Tätigkeit, für die der Arbeitnehmer angestellt ist, im Arbeitsvertrag nur schlagwortartig umschrieben, z.B. Dreher im Metallbereich, Verwaltungsangestellter im öffentlichen Dienst, Servicekraft in der Gastronomie. Aus diesen jeweils sehr weit gefassten Bereichen wird dem Arbeitnehmer konkret ein Teilbereich zugewiesen. Damit ist in einem ersten Schritt festgelegt, dass es nicht um die tarifliche Bewertung der nach dem Arbeitsvertrag allgemein möglichen Tätigkeiten geht, sondern um diejenige der ihm real übertragenen Tätigkeit. Die dabei übertragenen Aufgaben, die gestellten Anforderungen und konkreten Arbeitsumstände sind der tariflichen Bewertung zu unterziehen.37
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Aus den oben zitierten beispielhaften tariflichen Festlegungen ergibt sich sodann, dass nicht nur eine einheitliche, sondern auch verschiedene zu bewertende „Tätigkeiten“ vorliegen können. Nach welchen Kriterien diese tariflich bedeutsamen Einheiten gebildet oder festgestellt werden, zeigt der Wortlaut nicht unmittelbar auf. Klar ist lediglich, dass eine Art von „Gruppierung“ der einzelnen Arbeitsschritte stattfindet, die zu einer oder mehreren „Tätigkeiten“ in diesem Sinne zusammengefasst werden. Bildlich gesprochen: wenn die gesamte Tätigkeit des Arbeitnehmers aus 1000 verschiedenen Einzeltätigkeiten/Arbeitsschritten besteht, kann einerseits nicht jede einzelne dieser Einzeltätigkeiten einer tariflichen Bewertung unterzogen werden. Dies würde zu einer unzulässigen sog. „Atomisierung“ der Arbeitsbewertung führen (beliebtes Beispiel: das Bleistiftspitzen des Buchhalters; ähnlich das Abholen eines übersandten Ersatzteiles aus der Poststelle durch einen IT-Spezialisten; das Ein- und Ausfahren der zu reparierenden Kfz in die Werkstatt durch einen Mechatroniker, das Kaffeekochen durch einen Assistenten der Geschäftsführung usw.). Andererseits sind nicht notwendig alle 1000 Einzeltätigkeiten zusammenfassend zu bewerten. Wie die tarifvertraglichen Formulierungen zeigen, gehen auch die Tarifpartner davon aus, dass es sich um mehrere „Tätigkeiten“, Arbeitsaufgaben, Arbeitsbereiche, usw. handeln kann, und – wie im TV ERA NRW ausgedrückt – die dort eigentlich vorgesehene ganzheitliche Betrachtung der gesamten Arbeit einen „unmittelbaren organisatorischen Arbeitszusammenhang“ voraussetzt, bei dessen Fehlen die übertragenen Arbeitsaufgaben getrennt voneinander zu bewerten sind. Für diesen Prozess der Zuordnung einzelner Arbeitsschritte zu einer als solchen dann insgesamt zu bewertenden „Arbeitseinheit“, von der eben auch mehrere gegeben sein können, gibt es in den Tarifverträgen der Privatwirtschaft keine konkreten Regelungen.
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Dagegen haben die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes außerordentlich detaillierte Bestimmungen für diesen bei einer Eingruppierung notwendig anfallenden Vorgang getroffen, die durch eine teilweise extrem kleinteilige Rechtsprechung des BAG über Jahrzehnte noch weiter ausdifferenziert worden ist.38 Die dort entwickelten Prinzipien gelten jedoch als allgemein anerkannte Grundsätze der Eingruppierung auch für die Privatwirtschaft.39 So hat das BAG zu dem häufig gebrauchten Begriff der „überwiegend auszuübenden Tätigkeit“ festgelegt, dass insoweit zunächst festzustellen ist, ob der Arbeitnehmer eine – einheitlich zu bewertende – Gesamttätigkeit, eine überwiegend auszuübende Teiltätigkeit oder mehrere selbständige Teiltätigkeiten zu erbringen hat. Die so ermittelten Bereiche sind dann jeweils zu bewerten. Dabei sind zwar weniger strenge Maßstäbe anzulegen als sie durch den Begriff des Arbeitsvorgangs eingeführt wurden. Die für eine – ggf. notwendige – Abgrenzung oder Verbindung von Tätigkeitsbereichen maßgebenden Kriterien sind aber vergleichbar.40
b) Das allgemeine „Muster“ des öffentlichen Dienstes
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Der zentrale Begriff im Tarifsystem des öffentlichen Dienstes ist der „Arbeitsvorgang“.