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Die sich aus dem demographischen Wandel ergebenden Anforderungen an die Gesamtvergütung sind im Grundsatz denen, die sich aus den Anforderungen der Globalisierung ergeben, ähnlich und überlappen mit denen, die sich aus dem Vorhandensein einer multiplen Generationenstruktur in den Unternehmen ergeben. Letztlich verschieben sich insbesondere in den westlichen Industrienationen die Machtverhältnisse auf verschiedenen Teilarbeitsmärkten, wobei die Verknappung des kritischen Arbeitskräfteangebots die Unternehmen dazu zwingt, flexibler als bisher auf Bedürfnisse und Wünsche potenzieller Mitarbeiter einzugehen. Dies berührt mit Blick auf Transaktionskosten wiederum das Spannungsfeld von Flexibilisierung und Standardisierung und betrifft auch die Gestaltung der Gesamtvergütung.
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Eine multiple Generationenstruktur erfordert zunächst grundsätzlich eine ganzheitliche und lebensphasenorientierte Gestaltung des unternehmerischen Human Resource Management, wozu die flexible Ausgestaltung der Elemente Arbeitsplatz, Arbeitszeit und -ort gehört. Bei allem Bemühen um Prozess- und Umsetzungseffizienz bei gleichzeitiger Absenkung der Transaktionskosten personalwirtschaftlicher Maßnahmen muss sich gefragt werden, ob ein einheitlicher Ansatz dauerhaft Mitarbeitergewinnung und -bindung in den wesentlichen Teilarbeitsmärkten sicherstellt. Es werden spezifische Strategien zur Mitarbeitergewinnung und -bindung der Early Talents benötigt. Gleichzeitig müssen Unternehmen vermeiden, den Fokus zu stark auf eine spezifische Mitarbeitergruppe zu legen, damit die Mitarbeiter anderer Generationen sich nicht diskreditiert fühlen, zumal die Unterschiede zwischen den Generationen ja weitaus geringer sind als oft behauptet wird. Die eigentliche Herausforderung der nächsten Jahre für das Human Resource Management in der Praxis liegt auch hier darin, den Spagat zwischen der erforderlichen Flexibilisierung des Leistungsangebots i.S. eines „consumer-driven HR“ und die gleichzeitige Sicherstellung von Prozessoptimierung und Prozessstandardisierung sowie Kosteneffizienz durch Reduktion der Transaktionskosten zu bewältigen. Aus Vergütungssicht muss etwa überlegt werden, ob für Mitarbeiter zu Beginn ihrer Karriere regelmäßigere Gehaltsüberprüfungen als im Jahrestakt durchgeführt werden müssen, um insbesondere Toptalente nicht zu verlieren. Berufseinsteiger zeigen größeres Interesse an Grundgehalt und dessen Entwicklung, weniger an variablen Gehaltsbestandteilen. Hier muss ein entsprechender angepasster Paymix mit einem hohen Fixvergütungsanteil angeboten werden. Zunehmend relevant wird auch das Angebot von Einmalzahlungen für Berufseinsteiger bei Vertragsangebot, damit Ausbildungsdarlehen schneller zurückgezahlt werden können.
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Des Weiteren zeigt sich, dass das Angebot freiwilliger Zusatzleistungen insgesamt stärker flexibilisiert werden muss, um den unterschiedlichen Ansprüchen von Mitarbeitern in unterschiedlichen Lebensphasen gerecht zu werden. Mit dem Verlangen nach Einführung flexibler Zusatzleistungssysteme feiert die Idee des „Cafeteria-Ansatzes“ eine Renaissance. Dabei ergänzen sich aus einer Gesamtvergütungsperspektive im Idealfall fixe und variable Barvergütungsbestandteile sowie ausgewählte Zusatzleistungen. Insbesondere hervorzuheben sind dabei Möglichkeiten des Wandels von Leistungs- in Versorgungslohn (Altersvorsorge) sowie in Verbindung mit Entgeltumwandlungsangeboten das Ermöglichen längerer Unterbrechungen des Berufslebens im Sinne von Sabbaticals oder der Verkürzung der Lebensarbeitszeit (Arbeitszeitkontenmodelle).
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Selbst wenn aufgrund der Höhe gesetzlich definierter Zusatzleistungen (etwa für die Kranken- oder Rentenversicherung) die materiellen Spielräume für die Einführung von entsprechenden „Cafeteria-Systemen“ begrenzt sind, lässt sich der Flexibilisierungsgedanke zum Beispiel gut in betriebliche Versorgungssysteme integrieren, welche häufig in Ergänzung zur gesetzlichen Vorsorge angeboten werden. So kann den Mitarbeitern etwa in Abhängigkeit vom Grundgehalt und der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung jährlich ein Finanzierungsbeitrag zur Verfügung gestellt werden, der wiederum mit einem verpflichtenden Eigenanteil des Mitarbeiters gekoppelt werden kann. Der Mitarbeiter entscheidet dann jedes Jahr neu, wie dieser Beitrag auf die Elemente des Versorgungsystems (z.B. Altersvorsorge, Hinterbliebenenvorsorge und Absicherung von Berufsunfähigkeit) aufgeteilt wird. Durch die Wahlmöglichkeit bei der Risikoabsicherung kann sich der Mitarbeiter je nach Lebensphase bedarfsgerecht absichern und das Unternehmen setzt seine Versorgungskosten flexibel, auf die Mitarbeiter abgestimmt und damit optimiert ein. Schließlich kommen die Mitarbeiter aufgrund der jährlichen Wahlmöglichkeit in einem solchen Modell nicht umhin, sich mit dem Versorgungssystem und dem Thema „Absicherung“ zu beschäftigen, was zu einer bewussteren Wahrnehmung und damit höheren Wertschätzung dieses Gesamtvergütungselementes führt.
3. Anforderungen aus der Digitalisierung der Arbeitswelt
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Wie angesprochen zählen im Zuge des Wandels in Richtung „Arbeitswelt 4.0“ Innovationsfähigkeit, Selbstorganisation und vernetztes Arbeiten im Team zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren von Unternehmen. Eine frühere statisch-tayloristische Sichtweise wird zunehmend von einer prozessorientierten und auf Verfahrensherrschaft angelegten, ganzheitlichen Sichtweise auf Leistungsprozesse abgelöst. Die Arbeit in der „smart factory“ wird anspruchsvoller, aber gleichsam flexibler und weniger planbar sein. Im Vordergrund stehen dabei mehr als je zuvor der Teamgedanke und das gemeinsam erreichte Ergebnis. Mit Blick auf die Gesamtvergütung ergeben sich hier insbesondere Herausforderungen an die Gestaltung der kurzfristigen, variablen Vergütung.
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Das gängige Schema von variabler Vergütung als Zusammenspiel von individueller Zielvereinbarung, Zielerreichungsfeststellung/-bemessung und der sich anschließenden Ableitung eines Bonus mit Fokus auf Leistungsbeiträge des Einzelnen wird dabei zunehmend in Frage gestellt. Konstatiert man des Weiteren eine mit der Arbeitswelt 4.0 zunehmende Verbreitung von mobilen Arbeiten, dann bedeutet dies in aller logischer Konsequenz, dass eine Bezahlung nach Anwesenheit nicht mehr greift und stattdessen eine am Ergebnis orientierte Vergütung zunehmend wichtiger wird. Mehr denn je muss sehr genau hingeschaut werden, für welche Mitarbeitergruppen welches Bonussystem geeignet ist. Auch wenn die Transaktionskosten zur Umsetzung und Nachhaltung variabler Vergütungssysteme deren flexible Ausgestaltung limitieren, ist bei der Gestaltung kurzfristiger variabler Anreizsysteme eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen umsatzgenerierenden Bereichen und umsatzunterstützenden Bereichen mit besonderem Fokus auf Innovationsbereiche vorzunehmen.
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In Bereichen, in denen unmittelbare Umsatzverantwortung liegt, wie insbesondere im Vertrieb, sollte die direkte, unmittelbare Abhängigkeit zwischen individueller Leistung und Belohnung aufrecht erhalten werden. In diesen Bereichen dominieren individuelle Leistung, harter Konkurrenzkampf und – je nach Rolle – die Möglichkeit, hohes Risiko mit hohen Chancen zu übernehmen. Dies wird sich auch in der digitalen Arbeitswelt nicht grundsätzlich ändern, solange das Anforderungsprofil des klassischen Verkäufers dort bestehen bleibt. Dem mit einer unmittelbaren Verknüpfung von individueller Zielerreichung und Bonus einhergehenden Risiko eines Mangels an Zusammenarbeit kann mit einem angemessenen Leistungsmanagement, das ausdrücklich Werte wie Teamarbeit, Verhalten und Weitergabe von Wissen beinhaltet, begegnet werden. Es soll also nicht nur um das „Was wurde erreicht?“, sondern auch um das „Wie wurde es erreicht?“ gehen. Dies kann zusätzlich unterstützt werden durch Anerkennungs-Programme, die die Möglichkeit bieten, kurzfristig wünschenswertes Verhalten und das Einhalten von Werten über nicht-monetäre Zuwendungen zu belohnen.10
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In Bereichen innovativer Arbeit (wie z.B. Forschung und Entwicklung) sind kurzfristig orientierte Vergütungsprogramme, die auf individueller Leistung basieren, jedoch eher kontraproduktiv. Für sog. „Innovative Worker“ kann davon ausgegangen werden, dass die Bereitschaft des Einzelnen zur Mitwirkung an den Unternehmenszielen stärker auf intrinsischer Motivation sowie auf Zusammenarbeit und Teamarbeit basiert. Innovation ist an langfristiges Denken gekoppelt. Innovationsabhängige Strategien erfordern eine Kultur der psychologischen Sicherheit, in der Experimentieren gefördert wird und Fehlschläge toleriert