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Ein weiterer Trend ist die Digitalisierung der Wirtschaft. Insbesondere in Ländern wie Deutschland, in denen Arbeit ein beträchtlicher Kostenfaktor ist, wird die sogenannte Fabrik der Zukunft eine große Bedeutung haben. Zum einen, weil damit etwaige Wettbewerbsnachteile eines Hochlohnlandes ausgeglichen werden können, zum anderen, weil schon bestehende Wettbewerbsvorteile wie Flexibilität, Schnelligkeit, Individualisierung und höchste Qualität weiter an Bedeutung gewinnen werden. Die Digitalisierung der Gesellschaft und der Wirtschaft ist eine bereits begonnene Entwicklung und kein disruptiver Vorgang, dennoch muss davon ausgegangen werden, dass die Geschwindigkeit des Wandels weiter zunimmt und sich im Zuge der Digitalisierung das Wesen der Arbeit spürbar verändern wird. Je virtueller, vernetzter und letztendlich flexibler unsere Arbeitswelt wird, umso mehr werden Arbeitsformen obsolet, die sich an Präsenz und deren Messung orientieren. Unternehmen, die eine Innovationsstrategie fahren, erkennen, dass Konzepte mehrjähriger Entwicklungsarbeit hinter verschlossenen Türen bis hin zur Serienreife und entsprechend langjährige Innovationszyklen zunehmend unter Druck geraten. Gefragt sind agile Organisationsformen, die schnell und kundenorientiert sind (z.B. sog. Scrum-Teams, in denen nicht mehr nach dem Wasserfallprinzip, sondern in kurzen Zyklen – von Sprint zu Sprint – entwickelt wird), Kunden in Entwicklungsprozesse einbindet (z.B. Design Thinking) und Mitarbeiter und Führungskräfte benötigt, die in hohem Maße selbstorganisiert und veränderungsflexibel arbeiten. Dies bedeutet gleichzeitig, dass Fehler erlaubt sein müssen. Beim mobilen Arbeiten steht das Ergebnis mehr im Fokus als eine tradierte Leistungsüberprüfung. Gleichzeitig werden Formen der Zusammenarbeit immer bedeutender, die globale Teams in die Lage versetzen, Wissen zu teilen und mit Blick auf die sich stetig wandelnden Kundenanforderungen zusammen zu arbeiten. Dies bedeutet, in der Arbeitswelt 4.0 ersetzt vernetztes Arbeiten bisher vorherrschende hierarchische Strukturen zugunsten von Handlungsfreiräumen, die den Wissensaustausch fördern.7
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Eine spezifische Herausforderung an die Gestaltung monetärer Anreizsysteme ergibt sich mit dem sogenannten internen und dem externen Crowdsourcing als neue Arbeitsformen in der Arbeitswelt 4.0. Beim externen Crowdsourcing wird das klassische Normalarbeitsverhältnis mit den üblichen Standards wie garantierte Arbeitszeit und Bezahlung sowie sozialversicherungsrechtliche Absicherung über Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder bezahltem Urlaub durch ein Beschäftigungsverhältnis ersetzt, in denen der Arbeitgeber (Auftraggeber) nicht einmal mehr verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer (Auftragnehmer) regelmäßig Arbeit anzubieten.8 Dieses im Zuge der Digitalisierung entstandene innovative Arbeitsmodell bietet Unternehmen den Zugriff auf einen globalen Pool von Arbeitsressourcen zur Leistungserstellung. Insbesondere über Internetplattformen kann sich das Unternehmen heute weit über die internen Ressourcen hinaus mit einer Vielzahl von Menschen verbinden und Arbeitsaufgaben auslagern. Informationen, Ideen und Lösungsvorschläge von Menschen aus der ganzen Welt können so mit geringem Arbeitsaufwand gesammelt und in die internen Leistungserstellungsprozesse integriert werden.9 Unternehmen können aus einem Pool global verteilter Arbeitskräfte mit spezifischen Qualifikationen schöpfen, ohne sich langfristig an diese zu binden. Aus Sicht der Crowdworker stellen diese ihre Arbeitskraft (Zeit, Wissen, Fähigkeiten) dem Unternehmen (Crowdsourcer) gegen ein vereinbartes Entgelt zur Verfügung. Wird der Crowdsourcing-Ansatz unternehmensintern angewendet, wird von internem Crowdsourcing gesprochen. Hier werden ebenfalls über interne Plattformen die Arbeitsressourcen gepoolt, jedoch bleibt das bestehende Arbeitsverhältnis und damit der bisherige Arbeitnehmerstatus des Crowdworkers bestehen, was die Gestaltungsspielräume bei der Vergütung einschränkt.
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden immer von Mitarbeiter etc. gesprochen. Damit sind selbstverständlich immer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gemeint. 2 Vgl. dazu und zum Folgenden Oechsler/Paul, S. 439 ff. 3 Vgl. Oechsler/Paul, S. 452 f. 4 Vgl. dazu und zum Folgenden Wiskemann, HR Perspectives Juni 2015, 14–16. 5 Hierzu und zum Folgenden beispielhaft Biemann/Weckmüller, Personalquarterly 01/2013, 46–49. 6 Vgl. Bennett/Maton/Kervin, BJET, Vol. 39 (5), 775–786. 7 Vgl. Meyer, Personalwirtschaft 01/2016, 21. 8 Vgl. dazu und zum Folgenden Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032. Das TzBfG sieht für diese „Arbeit auf Abruf“ in Deutschland einen gewissen Schutzrahmen vor, der Null-Stunden Verträge vermeidet, in denen der Auftragnehmer/Arbeitnehmer keinerlei Anspruch auf ein bestimmtes (Mindest-)Arbeitsvolumen hat. 9 Vgl. dazu Benner-Leimeister/Zogaj/Blohm, S. 10. Crowdwork oder Crowdsourcing kann nahezu für alle Aktivitäten innerhalb von Leistungserstellungsprozessen eingesetzt werden, etwa für Primäraktivitäten wie Produktion, Marketing und Vertrieb, aber auch für unterstützende Sekundäraktivitäten wie Forschung und Entwicklung; vgl. Benner-Leimeister/Zogaj/Blohm, S. 11 f.
II. Gestaltungsanforderungen an die Gesamtvergütung
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Die sich aus den beschriebenen Trends ergebenden spezifischen Anforderungen an die Gestaltung der unternehmerischen Gesamtvergütungssysteme sind vielfältig und lassen sich nicht mit einem „one-size-fits-all“-Ansatz lösen.
1. Anforderungen aus der Globalisierung
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Wie bereits erwähnt, erfordert im Zuge der Globalisierung des Geschäfts die vor allem in Großunternehmen steigende Anzahl von Remote-Situationen (Mitarbeiter und Manager befinden sich in unterschiedlichen Ländern) einerseits eine stärkere Standardisierung der Programme, Prozesse, Systeme und somit eine Vereinheitlichung der Vergütungssystemgestaltung über lokale und regionale Grenzen hinweg. Andererseits muss darauf geachtet werden, dass lokale Arbeitsmärkte unterschiedliche Anreizstrukturen verlangen, um die gewünschten Talente zu gewinnen und zu binden. So bedarf es gegebenenfalls in einem Land höherer variabler Anteile im Gehaltsmix oder einem Mehr an Aktienoptionen, wohingegen in anderen Ländern die Grundvergütung und ausgesuchte Zusatzleistungen, wie z.B. eine gut dotierte Altersversorgung, eine größere Rolle spielen. Unternehmen befinden sich dabei in dem Spannungsfeld von Flexibilisierung und Standardisierung. Dieses Spannungsfeld muss je nach Unternehmen ausbalanciert werden.