I. Total Compensation
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Mit dem Begriff „Gesamtvergütung“ geht ein Verständnis einher, das über den engen arbeitsrechtlichen Zusammenhang zwischen Entgelt und Arbeitsleistung hinausgeht. § 611a Abs. 1 BGB begründet die Verpflichtung des Arbeitsgebers gegenüber dem Arbeitnehmer zur Zahlung des vereinbarten Arbeitsentgelts, der Arbeitnehmer schuldet im Gegenzug die Arbeitspflicht – vereinbart nach Inhalt, Umfang, Zeit und Ort. Die Gesamtvergütungsperspektive umfasst neben Grundvergütung und Leistungszulagen weitere Komponenten wie Gewinn- oder Erfolgsbeteiligung, freiwillige (über die gesetzlichen oder tariflichen Mindeststandards hinausgehende) Zusatzleistungen und Kapitalbeteiligungsmodelle.
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Aus unternehmerischer Sicht werden über eine systematische Gestaltung des Gesamtvergütungsansatzes verschiedene Ziele angestrebt.
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Zum einen ist dies die Berücksichtigung der internen Struktur der Positionen im Unternehmen. Danach muss das Vergütungssystem dem Unternehmen Klarheit darüber verschaffen, wie die Wertigkeiten der Funktionen untereinander sind und was es bereit ist, dafür zu zahlen. Zum anderen geht es um die Sicherstellung der Leistungsorientierung. Da die Leistung keine Konstante, sondern Schwankungen unterworfen ist, muss ein Vergütungssystem flexibel auf die Leistung des Mitarbeiters1 (und des Unternehmens) reagieren können. Dabei ist die (unternehmerische und individuelle) Leistung die Ausgangsbasis für die Gehaltsfindung innerhalb des Vergütungssystems, in welches die internen Wertigkeiten der im Unternehmen existierenden Funktionen und Marktdaten bereits eingeflossen sind. Damit ist ein weiteres Ziel, nämlich die Sicherstellung marktbezogener Gehälter, angesprochen. Ein Vergütungssystem muss den Markt reflektieren. Wenn keine Reflexion zum Markt hin erfolgt, entstehen Risiken mit Blick auf Mitarbeiterbeschaffung und -bindung. Zum einen wird es schwierig, für im Vergleich zum Markt schlecht bezahlte Funktionen neue leistungsstarke Mitarbeiter zu gewinnen und die eigenen Leistungsträger zu halten. Zum anderen schmälern überbezahlte Funktionen die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Wenn über dem Markt bezahlt werden soll, dann sollte dies grundsätzlich in Form variabler Vergütungsbestandteile geschehen. Das Vergütungssystem sollte auch zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beitragen. Dies gilt insbesondere in Industrien, die ein hohes Maß an menschlichem Ressourceneinsatz erfordern. Dazu ist unternehmerisches Denken aller Mitarbeiter notwendig. Dies wird unterstützt durch die Einschränkung des Gewöhnungsfaktors in der Vergütung, wozu es einer entsprechenden Flexibilisierung von Vergütungselementen bedarf. Dies ermöglicht einerseits, Leistungsträger durch variable Vergütungsbestandteile besonders zu honorieren. Andererseits können Fehleinschätzungen korrigiert werden. Mit der Sicherung der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit geht schließlich das gesamtgesellschaftliche Ziel einher, einen positiven Beitrag zur Beschäftigungspolitik zu leisten. Dahinter steht das Verständnis, dass durch einen entsprechenden flexiblen Anteil an den Gehaltskosten es dem Unternehmen ermöglicht wird, die Kosten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bis zu einem gewissen Punkt ohne Personalabbau abzusenken.
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Der Fokus bei der Gestaltung eines Gesamtvergütungsansatzes liegt damit auf motivatorischen und strategischen Funktionen der betrieblichen Vergütungs- und Zusatzleistungspolitik. Dies zeigt sich insbesondere in der Bedeutung leistungs- und ergebnisorientierter Vergütungsbestandteile, welche sowohl eine Variabilisierung der Vergütung als auch eine Orientierung der Mitarbeiter an den Unternehmenszielen und dem Unternehmenserfolg anstreben. Über eine flexible wie differenzierte Gestaltung des Gesamtvergütungssystems werden Motivationseffekte wie auch gleichzeitig eine gewünschte unternehmerische Steuerung angestrebt.
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Der richtige Mix aus variablen und fixen Gestaltungselementen muss jedoch immer marktgerecht sein, also bedarf es regelmäßiger Vergleiche mit Wettbewerbsunternehmen. Darüber hinaus erfordern flexible Vergütungselemente einen höheren Kommunikationsaufwand, denn grundsätzlich beinhalten variable Vergütungselemente neben dem Element der Chance (etwa mehr als die 100 % einer Erfolgsbeteiligung ausbezahlt zu bekommen) immer auch ein Risiko, welches je nach Programmgestaltung dazu führen kann, dass es in Jahren, in denen kein Gewinn erwirtschaftet wurde oder ein Mitarbeiter seine individuellen Leistungsziele nicht ganz oder nur sehr eingeschränkt erreicht hat, zu keiner Auszahlung oder zu einer Auszahlung deutlich unter der 100 %-Zielgröße kommt. Wesentlich dabei ist natürlich, dass bei allem Wunsch nach Flexibilisierung der Vergütung der Mitarbeiter mit seinem Grundgehalt nach wie vor über eine verlässliche Gestaltungsgröße verfügt. Es kann keinesfalls das Ziel sein, über den Ausbau flexibler Gestaltungselemente das unternehmerische Risiko auf den Mitarbeiter „abzuwälzen“.
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Grundsätzlich muss berücksichtigt werden, dass ein wettbewerbsfähiges Gesamtvergütungssystem notwendig, aber nicht hinreichend für zufriedene und motivierte Mitarbeiter ist. So ist die tatsächliche Bedeutung von Vergütungssystemen für eine unmittelbare Steuerung des Verhaltens der Mitarbeiter kritisch zu betrachten. Kein Vergütungselement – auch nicht die variable Vergütung – ersetzt das für eine Leistungsorientierung viel wichtigere Führungsverhalten. Variable Vergütung entfaltet seine Bedeutung als wichtiges Unterstützungsinstrument im Rahmen eines auf Leistung ausgerichteten Führungssystems. Mit anderen Worten: Leistungsorientierte Vergütungssysteme führen nicht, sie unterstützen Führung. Vergütungssysteme haben per se keinen Eigenwert und tragen auch nicht qua bloßer Existenz zur Erreichung der Bereichs- oder Unternehmensziele bei. Insbesondere ein durch starken internationalen Wettbewerb und einen engen Arbeitsmarkt gekennzeichnetes Umfeld verlangt nach unternehmerischem Denken und Handeln aller Protagonisten sowie nach einer Unternehmenskultur, die geprägt ist von Überzeugen, Vertrauen, Eigenverantwortung und der Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg. Dies entspricht der Wahrnehmung und Anerkennung der Mitarbeiter als wesentlichen, unabdingbaren Erfolgsgaranten für das Unternehmen. Vergütungssysteme funktionieren nur dann, wenn sie in das Führungs- und Steuerungssystem integriert sind. Ein „Zuviel“ an monetären Anreizen kann schließlich zu einem sogenannten Verdrängungseffekt führen. Danach zerstören extrinsische Anreize die intrinsische Motivation, wonach von „außen“ kommende Belohnungen den „Spaß“ zerstören, der aus der Arbeit selbst resultiert. Und auch wenn es nach wie vor Bereiche gibt, bei denen eine unmittelbare Verknüpfung von Zielerreichung und Bonusberechnung sinnvoll ist, wie z.B. im Vertrieb, sollte man dabei dem wesentlichen Kriterium „Messbarkeit“ grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. „Messbarkeit“ an sich hat keinen Eigenwert. Die Frage, wie mit vertretbarem Aufwand methodische Gütekriterien wie Validität, Objektivität und Reliabilität sichergestellt werden können, kann kaum allgemein beantwortet werden.
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Neben den aufgeführten Zielsetzungen eines modernen Gesamtvergütungssystems, welche den Gestaltungsrahmen darstellen, in denen sich das Unternehmen bewegt, sind darüber hinaus grundsätzliche Bedingungsgrößen zu berücksichtigen. Dies sind vor allem die finanzielle Machbarkeit (es kann nur ausgegeben werden, was vorher erwirtschaftet wurde) und natürlich der Aspekt der Rechtssicherheit. Hier ist es von besonderer Bedeutung, mit den Interessenvertretern aller sogenannter „Key Stakeholder“ vertrauensvoll und kooperativ zusammenzuarbeiten. Insbesondere gilt es, die Vertreter der Arbeitnehmer auf Unternehmens- wie insbesondere auf Betriebsebene frühzeitig in entsprechende Gestaltungsprozesse einzubinden, um einerseits Missverständnisse und daraus potenziell entstehende Widerstände gar nicht erst aufkommen zu lassen, sowie andererseits deren Wissen mit einfließen zu lassen.
1. Komponenten der Gesamtvergütung
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Klassischerweise