Es ist Dein Ärger. Thubten Chodron. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thubten Chodron
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783958833203
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Schaden den Raum, Situationen klarer einzuschätzen und kluge Entscheidungen zu treffen. Das ist einer der herausragendsten Vorteile der Geduld.

      Ein weiterer Vorteil der Geduld ist, dass sie unserer Gesundheit guttut, weil sie unseren Geist von Schmerz und Aufruhr und unseren Körper von Spannungen frei hält. Viele Studien zeigen, dass ausgeglichene Menschen sich nach Operationen schneller erholen und weniger Unfälle haben.

      Nach einem Konflikt mit einer Nachbarin war Ronda voller Grimm dabei, ein neues Möbel zusammenzubauen. Nach einiger Zeit gab sie sich plötzlich einen Ruck und dachte: »Wenn ich so weitermache, werde ich mich wahrscheinlich auch noch verletzen.« Sie atmete tief durch, ließ ihre körperliche Anspannung los und nahm anschließend ihre Schreinerarbeit mit einer neuen Haltung wieder auf.

      Geduld hat zudem eine unmittelbare Wirkung auf die Menschen und die Atmosphäre um uns herum, indem sie die untauglichen Formen umgeht, in denen Menschen miteinander kommunizieren. Die folgenden drei Geschichten sollen das veranschaulichen:

      Vor der Schule kam Rons Tochter völlig entnervt zum Auto, weil sich ihr Haarband in ihrem Haar verknotet hatte. Anstatt sie dafür zu schelten, dass sie ihre Haare auf die letzte Minute zurechtmachen musste, und sie damit beide zu einem schlechten Tag zu verurteilen, lächelte Ron freundlich und half ihr, das Band herauszuziehen.

      »Flugwut«, d. h. Angestellte einer Luftlinie für ausgefallene oder verspätete Flüge anzuschreien, ist in unserer Gesellschaft sehr verbreitet. Wir lassen unsere Entrüstung an Fremden aus, die für unser Pech überhaupt nicht verantwortlich sind und in deren Macht es auch nicht steht, irgendetwas daran zu ändern. Weil ich viel reise, um an verschiedenen Orten zu unterrichten, bin ich bestens vertraut mit Komplikationen aufgrund von Wetter, technischen Schwierigkeiten oder Überbuchung. Auf der besonders langen Strecke von der Westküste der USA in den Mittleren Westen wurde einmal ein Flug nach dem anderen von Problemen heimgesucht. Weil mir klar war, dass ich nichts daran ändern konnte, entspannte ich mich und lächelte den Leuten zu, die um mich herumsaßen. Nachher kam ein Mitreisender, den ich nicht kannte, zu mir und sagte: »Zu beobachten, wie Sie mit dieser Situation umgehen, hat mir geholfen, mich zu beruhigen. Ich fühle mich jetzt wesentlich besser. Vielen Dank!«

      Eine ganze Zahl von Gefängnisinsassen, mit denen ich korrespondiere, krempeln ihr ganzes Leben um, wenn sie anfangen, die Lehren des Buddha zu studieren. Einer von ihnen erzählte mir folgende Geschichte:

      »Gestern habe ich mir eine Tasse Kaffe gemacht, da bemerkte ich von der Seite einen Typen, der sich manchmal etwas merkwürdig benimmt. Er murmelte etwas, als ich mit meinem Kaffee an ihm vorbeiging, und weil ich also dachte, dass er mit mir rede, hielt ich an und fragte ihn, was er gesagt habe. ›Ich rede mit mir selbst‹, antwortete er, also ging ich weiter. Ich hatte noch keine zwei Schritte getan, da schrie er hinter mir her: ›Na und, kann ich etwa nicht mit mir selbst reden?!‹«

      Ich mag wirklich keine Konfrontation, aber ich blieb ruhig und sagte: ›Ich habe nur gefragt, weil ich dachte, dass du mit mir sprichst. Ich habe nie gesagt, dass du nicht mit dir selbst reden kannst.‹ Er war inzwischen völlig außer sich, sah mich finster an und sagte: ›Du bist überhaupt niemand. Du solltest besser von hier verschwinden!‹ Ich stimmte zu, dass ich niemand Besonderes sei, lächelte und ging davon.

      Weil ich wusste, dass das Ärger bedeutete, ging ich auf mein Zimmer, zog meine Stiefel an und bereitete mich so gut ich konnte auf alles vor, was er womöglich tun würde. Ich entspannte mich ein wenig und ließ Revue passieren, was vorgefallen war. Ich hatte nur ein- oder zweimal vorher kurz mit ihm gesprochen, und ich hatte nichts getan, um ihn zu verärgern, dennoch war er offensichtlich wütend. Ich brachte mir Karma in Erinnerung, weil nichts anderes irgendeinen Sinn zu ergeben schien, und ich dachte, dass ich die Ursachen dafür hervorgebracht haben müsse, dass mir das passierte. Ich beschloss, dass er wahrscheinlich meine Frage falsch verstanden und sich bedroht gefühlt hatte oder dass er vielleicht schon vorher sauer gewesen war oder dass er vielleicht vergessen hatte, seine Medikamente zu nehmen. Ich dachte über die Acht Verse zur Geistesumwandlung nach, und das half mir, besonnen und ruhig zu bleiben.

      Ich war nicht wütend auf ihn, auch wenn ich bereit war, mich wenn nötig zu verteidigen. Ich ging hin, wo er wohnte, weil ich mit ihm reden und ihn beruhigen wollte, besann mich aber im letzten Augenblick eines Besseren und kam zu dem Schluss, dass er wohl einfach allein sein müsse. Später, noch am selben Tag, entschuldigte er sich und erklärte: ›Ich hatte einen Streit mit jemandem und war auf hundertachtzig. Ich war in keiner guten Stimmung, als du vorbeikamst.‹ Ich akzeptierte seine Entschuldigung.

      Später habe ich darüber nachgedacht, wie ich mit der Situation umgegangen war. Ich hatte nicht nur auf körperliche und sprachliche Gewalt verzichtet, sondern mich mittendrin an Dharma erinnert. Ich sage das nicht, um mich wichtig zu machen, ich war eher von mir selbst überrascht. Die Situation hätte leicht in Gewalt und Schwierigkeiten ausarten können, deshalb war ich dankbar für die Hilfe, die Dharma mir dabei gegeben hat.«

       4

       Ist Ärger jemals nützlich?

      Manche Menschen sehen Vorteile in der Wut. Wie zutreffend sind aber ihre Behauptungen? Wenn wir sie nicht als falsch erkennen, werden wir nicht motiviert sein, unseren Ärger zu transformieren. Es ist daher entscheidend, Behauptungen über die Vorzüge der Wut Schritt für Schritt zu untersuchen, um zu sehen, ob sie wahr sind.

       Ein zuverlässiger und unabdingbarer Anzeiger für Fehlverhalten?

      Vor vielen Jahren traf ich mich mit einer Gruppe von Spezialisten auf dem Gebiet der Mediation und Konfliktbewältigung. Als ich von den Nachteilen des Ärgers sprach, machte sich bei diesen Experten zunächst eine gewisse Anspannung und schließlich sogar Ärger breit, bis sie damit herausplatzten, dass »Wut nötig und nützlich« sei, »weil sie uns Informationen darüber gibt, was nicht in Ordnung ist!« Ihr Argument war, dass unser Ärger uns darauf hinweise, dass das Verhalten einer anderen Person nicht akzeptabel sei. »Ohne ihn«, so ihre Behauptung, »könnten wir Recht und Unrecht, Annehmbares und Unannehmbares nicht voneinander unterscheiden.«

      Ärger ist jedoch kein zuverlässiger oder gar notweniger Indikator für Fehlverhalten Es ist gut möglich, dass wir uns nicht geärgert haben, weil uns unser Recht verwehrt wurde, sondern weil wir nicht bekommen haben, was wir wollten. Es kann sein, dass wir ärgerlich werden, nicht, weil jemandes Verhalten gemessen an sozialen und ethischen Standards unannehmbar ist, sondern weil wir überempfindlich sind. Und selbst wenn jemand unsere Rechte verletzt oder gegen die konventionell akzeptablen Normen und Regeln verstoßen hat, ist der Ärger nicht nötig, um uns anzuzeigen, dass das Verhalten der anderen Person unangemessen war. Wir können eine Situation auch mit klarem und ruhigem Geist beurteilen und zu demselben Schluss kommen. In der Tat ist letztere Methode, Fehlverhalten aufzudecken, wesentlich gesünder als Ärger, weil sie keine der unerwünschten Nebenwirkungen des Ärgers hat, wie wir sie zuvor diskutiert haben.

      Obwohl Ärger weder eine zuverlässige noch eine notwendige oder nützliche Informationsquelle für das Erkennen von Unrecht ist, lässt er uns wissen, dass unser Geist verstört ist und dass unsere »Knöpfe gedrückt« wurden. Anstatt unseren gewohnheitsmäßigen