Es ist Dein Ärger. Thubten Chodron. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thubten Chodron
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783958833203
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Mitgefühl sprechen. Buddhistische Texte thematisieren das Gehirn oder Hormone praktisch nicht, wohl weil das wissenschaftliche Instrumentarium zum Verständnis ihrer Funktionen erst jüngeren Datums ist. Ärger steht in Beziehung zum Körper, d. h. zur körperlichen Energie wie auch zu Hormonen wie Adrenalin, die ihn beeinflussen, Ärger selbst ist jedoch kein körperlicher Zustand. Er ist ein Geisteszustand, auch wenn manche Menschen sich ihres Ärgers zunächst oft anhand körperlicher Anzeichen, wie eines erhöhten Muskeltonus oder einer Magenverstimmung, bewusst werden. Für Buddhisten beinhaltet der Begriff »Ärger« auch nicht das Verhalten, das den Ärger begleitet. Dasselbe gilt auch für andere Emotionen.

       Negative Emotionen und die Befreiung davon

      Die westliche Kultur und der Buddhismus messen den Ausdrücken »negative Emotion« und »positive Emotion« ganz unterschiedliche Bedeutungen zu. Für westliche Menschen sind negative Emotionen solche, die sich unangenehm anfühlen, positive dagegen solche, die sich angenehm anfühlen. Traurigkeit gilt beispielsweise als negative Emotion, weil die betreffende Person sich dabei unwohl fühlt, wohingegen Anhaftung an ein schönes Haus durchaus als positive Emotion betrachtet wird, weil die Person dabei Zufriedenheit empfindet.

      Aus buddhistischer Sicht wird jedoch zwischen negativen und positiven Emotionen jeweils danach unterschieden, ob sie zu zyklischer Existenz oder zu Befreiung führen. Zyklische Existenz ist die stete Wiederkehr der Probleme, denen wir von Leben zu Leben als Resultat unserer grundlegenden Unwissenheit ausgesetzt sind. Befreiung dagegen bedeutet Freiheit von eben dieser [grundlegenden Unwissenheit], einen Zustand bleibenden Glücks. Damit können einige Formen von Traurigkeit durchaus als positiv betrachtet werden. Die Traurigkeit zum Beispiel, die uns befällt, wenn wir erkennen, dass Sinnesobjekte uns kein dauerhaftes Glück bringen, ist außerordentlich positiv, weil die Enttäuschung über etwas, das uns dauerhaft nicht glücklich machen kann, die Entschlossenheit in uns weckt, Freiheit von zyklischer Existenz und damit Befreiung zu erlangen. Dagegen wird es als abträglich betrachtet, sich an Besitz zu klammern, auch wenn diese Anhaftung mit einem gewissen Wohlgefühl einhergehen mag, weil sie uns in zyklischer Existenz gefangen hält. Mit solchen Anhaftungen sind wir immerzu auf der Suche nach Glück durch äußere Quellen, d. h. Menschen und Dinge, die genau wie wir selbst der Vergänglichkeit unterworfen und daher außerstande sind, uns bleibendes Glück zu bescheren. Der Buddhismus lehrt Methoden, destruktive Emotionen, d. h. Emotionen, die uns in zyklischer Existenz gefangen halten, unter Kontrolle zu bringen, und er vermittelt uns Methoden, mit denen konstruktive Emotionen, d. h. solche, die uns zur Befreiung führen, entwickelt werden können.

       Die Möglichkeit zur Veränderung

      Es ist möglich, negative Emotionen zu eliminieren und positive zu kultivieren, weil wir nach buddhistischer Auffassung keine feste, solide Persönlichkeit haben. Das, was wir »Ich« nennen, existiert nur in Beziehung zu Körper und Geist, die ja beide in ständiger Veränderung begriffen sind. Auf der physischen Ebene sind die subatomaren Teilchen unseres Körpers in steter Bewegung, auf der geistigen Ebene sind es unsere Wahrnehmungen, Stimmungen, Gedanken und Emotionen, die sich unablässig verändern. Weil Veränderung in jedem Augenblick stattfindet, besteht die Herausforderung für uns darin, sie in produktiver Weise zu steuern.

      Erleuchtung erfordert keine völlige Aufgabe unserer Persönlichkeit. Einige Buddhas sind vielleicht introvertiert, andere durchaus extrovertiert, einige essen vielleicht gern mexikanisch, andere ziehen italienisches Essen vor. Allerdings erfordert Erleuchtung die Aufgabe einiger Aspekte unserer Persönlichkeit, nämlich der gewohnheitsmäßigen Emotionen und Haltungen, die uns in unserem selbst gemachten Gefängnis gefangen halten. Weil diese aber kein integraler Bestandteil unseres Geistes sind, ist es uns möglich, diese (Emotionen und Haltungen) vollständig aufzugeben.

      Die grundlegende Natur des Geistes wird oft mit einem klaren, offenen Himmel verglichen. Der Himmel ist immer da, auch wenn er an einigen Tagen von Wolken verdeckt wird. Dennoch gehören die Wolken nicht zur Natur des Himmels und können daher beseitigt werden. Genauso gehören störende Einstellungen und negative Emotionen wie Ärger nicht zur Natur des Geistes. Sie können aufgegeben und die reine, strahlende Natur des Geistes zum Vorschein gebracht werden.

      Zudem beruhen die störenden Einstellungen und negativen Emotionen auf Unwissenheit. Unwissenheit bedeutet in diesem Fall nicht, dass jemand nicht dazu in der Lage ist, die Hauptstädte aller Staaten aufzuzählen. Vielmehr handelt es sich um eine ganz bestimmte Art von Unwissenheit, die in Unkenntnis der Realität Personen und Phänomene als inhärent existent auffasst, d. h. so, als hätten sie ihr unabhängiges, eigenes Wesen. Wenn diese Unwissenheit beseitigt wird, verschwinden alle schädlichen Faktoren des Geistes, die von ihr abhängen, ähnlich, wie das ganze Astwerk abstirbt, wenn ein Baum entwurzelt wird. Weil Unwissenheit die Realität falsch auffasst, kann sie durch eine korrekte Erkenntnis der Realität eliminiert werden. Der Geistesfaktor, der das bewirkt, wird Weisheit genannt, und das ist der Grund, aus dem die buddhistischen Lehren so ausführlich über das Kultivieren der Weisheit sprechen, die das Fehlen von – oder auch die Leerheit von – inhärenter Existenz erkennt.

      Bevor wir jedoch in der Lage sind, Weisheit einzusetzen, um unsere destruktiven Haltungen und Emotionen mitsamt der Wurzel zu eliminieren, müssen wir einfachere Methoden zu Hilfe nehmen, um ihnen entgegenzuwirken. Aus diesem Grund haben große buddhistische Meister wie Shantideva über eine Reihe leicht anwendbarer »Gegenmittel« zum Ärger gesprochen, d. h. Techniken zur Neutralisierung dieser »giftigen« Emotion. Von eben diesen Techniken handelt dieses Buch im Wesentlichen.

       2

       Die Nachteile des Ärgers

      Wut kann uns ein unerhörtes Gefühl der Macht verleihen. Gleichzeitig aber untergräbt sie unser eigenes Glück und das Glück anderer. Wie Gendundrup, der erste Dalai Lama, in einem Gebet an Tara, einen weiblichen Buddha, sagte:

      Vom Winde unbotmäßiger Betrachtung angefacht,

      inmitten wühlender Rauchwolken unheilvoller Taten,

      hat sie die Macht, ganze Wälder an Verdiensten zu versengen:

      Die Feuersbrunst der Wut – errette uns von dieser Gefahr!

       Ist Ärger zutreffend in der Einschätzung der Wirklichkeit?

      Ärger ist nicht zutreffend in der Einschätzung der Wirklichkeit, denn er beruht definitionsgemäß auf Übertreibungen oder Zuschreibungen negativer Eigenschaften. Während wir aber ärgerlich sind, haben wir keineswegs das Gefühl, zu übertreiben oder Eigenschaften zuzuschreiben, die nicht der Realität entsprechen. Wir haben schlicht das Gefühl, dass wir recht haben! Tatsächlich scheint der wütende Geist sich völlig klar darüber zu sein, dass »ich recht habe, dass Du unrecht hast und dass Du Dich ändern musst!«

      Unter dem Einfluss des Ärgers picken wir uns einige negative Einzelheiten aus dem Ganzen heraus und bilden uns auf ihrer Grundlage eine eingeschränkte Meinung, die wir nur sehr widerwillig ändern. Diana zum Beispiel arbeitete in derselben Organisation wie Harry, und obschon sie ihn nicht sehr gut kannte, unterstützten sie dieselben Ziele. Eines Tages strich er ein Seminar, das sie zu geben hatte, woraufhin sie wütend wurde, weil sie sein Verhalten als unfair empfand. Monatelang verkrampfte sich jedes Mal etwas in ihr, wenn sie ihn sah oder auch nur seinen Namen hörte. Irgendwann wurde ihr jedoch bewusst, dass sie sich auf der Grundlage einer halben Stunde im fünfundvierzigjährigen Leben dieser Person eine Meinung über sie gebildet hatte, von deren Richtigkeit sie überzeugt war. »Bestimmt«, erkannte sie »ist er doch viel mehr als diese eine unglückliche Begegnung, die wir hatten.« Als sie sah, dass ihr Ärger unrealistisch war, ließ sie von ihren fixen Vorstellungen über ihn ab. Diana sah Harry nun nicht mehr so finster an, und er wurde freundlicher zu ihr. Schließlich waren sie dann imstande, über die Streichung ihres