Auf einmal fallen die Goten über die Donau in das Gebiet des Licinius ein. Constantin rückt ungefragt gegen sie, drängt sie zurück und nötigt sie zur Herausgabe der mitgeschleppten Gefangenen; Licinius aber beklagt sich über diese Intervention auf seinem eigenen Boden641. So weit die Notiz eines einsilbigen, späten, aber sehr wichtigen Excerptors, des sogenannten Anonymus Valesianus. Daneben halte man, was der bekannte Geschichtschreiber der Goten, Iornandes (Kap. 21) erzählt: »Es kommt oft vor, dass die Goten (von den römischen Kaisern) eingeladen worden sind, wie sie denn auch von Constantin zum Zuzug aufgefordert wurden und gegen seinen Schwager Licinius die Waffen trugen, und diesen – besiegt, in Thessalonich eingeschlossen und des Reiches beraubt – mit dem Schwert des Siegers ermordeten.« – Wer Constantin aufmerksam beobachtet, weiss oder ahnt, wie er dies zusammenreimen soll642. Jedenfalls gehörte jener vorgebliche Goteneinfall unter die nächsten Vorboten des Krieges.
Wir übergehen die einzelnen Ereignisse dieses letzten Kampfes um die Weltherrschaft, dieses zweiten Krieges von Actium. Constantin besass mit Thessalonich und den übrigen Häfen Griechenlands seit 314 einen bedeutenden Zuwachs zu seiner frühern Seemacht und stellte 200 Kriegsschiffe auf, Licinius, der die Küsten des Orients aufbot, 350. In diesem Maßstab ging es weiter, bis Constantin im ganzen 130 000 Mann, Licinius 165 000 beisammen hatte. Seit Septimius Severus waren wohl für keinen Bürgerkrieg so enorme Kräfte ins Feld geführt worden. Constantin aber wird schon einen grossen Vorsprung gehabt haben, indem die Mannschaft der illyrischen Provinzen unter seinen Feldzeichen stand. Bei Adrianopel; wo Constantin zuerst siegte, fielen 34 000 Mann; darauf schlug seine Flotte unter Crispus die des Licinius unter Abantus (Amandus) unweit vom Eingang des Hellespontes, und ein Sturm richtete die letztere vollends zugrunde; Licinius aber, der sich in Europa nicht mehr halten konnte, ging von Byzanz nach Chalcedon hinüber und ernannte hier einen seiner Hofbeamten, Martinianus, zum Caesar. Diese Massregel hätte zu Anfang des Feldzuges von entscheidendem Werte sein können. Der Legitime hätte durch rechtzeitige Adoptionen im diocletianischen Sinne, unbekümmert um den Einspruch des Usurpators, die drei oder vier zuverlässigsten Feldherrn seines Reiches für seine Sache interessieren müssen. Jetzt, mitten in Mutlosigkeit und Verrat, war es zu spät damit.
Nach einer Pause erneuerte sich der Kampf; Martinian, bei Lampsacus stationiert, um eine Landung der Feinde am Hellespont zu verhindern, wurde eilends wieder von Licinius zum Hauptheere an den Bosporus gerufen, wo dem Constantin die Überfahrt bereits gelungen war. Endlich entschied die grosse Landschlacht von Chrysopolis bei Chalcedon, aus welcher von den 130 000 Soldaten des Licinius (worunter ebenfalls Goten waren) kaum 30 000 entkommen sein sollen643. Der unglückliche Kaiser selbst flüchtete nach Nikomedien, wo er sofort eingeschlossen wurde, während Byzanz und Chalcedon dem Sieger ihre Tore öffneten. Constantia, die Gemahlin des Licinius und Schwester des Constantin, welche zur Unterhandlung ins Lager kam, erhielt die eidliche Zusicherung, dass ihres Gatten Leben geschont werden solle, und daraufhin schritt der alte Kampfgenosse eines Probus und Diocletian aus der Stadt hervor, beugte das Knie vor dem Überwinder und legte den Purpur ab. Er wurde nach Thessalonich geschickt, Martinian nach Kappadocien. Allein schon im folgenden Jahre (324) fand Constantin es zweckmässiger, sie zu töten; »er war belehrt durch das Beispiel seines Schwiegervaters Maximianus Herculius und fürchtete, Licinius möchte zum Verderben des Reiches den Purpur noch einmal annehmen644«. Mit diesem Motiv unleugbarer Zweckmässigkeit hätte sich die Nachwelt bei einem Charakter wie Constantin begnügen sollen; statt dessen wurde später von einer in Thessalonich angezettelten Soldatenverschwörung zugunsten des Abgesetzten gefabelt645, wovon Euseb ganz gewiss etwas sagen würde, wenn sie wirklich stattgehabt hätte. Er geht aber nach seiner meisterlichen Art über Constantins Eidbruch und alle andern Umstände hinweg mit der kahlen Bemerkung: der Gottesfeind und seine bösen Ratgeber seien nach Kriegsrecht verurteilt und bestraft worden. Soviel ist gewiss, dass der alte Kaiser erdrosselt, der Caesar von Leibwachen niedergemacht wurde. Von dem ebenso traurigen Schicksal des Licinianus wird bald die Rede sein.
Euseb idealisiert diesen ganzen Krieg zum reinsten Prinzipienkampf: Licinius ist der Gottesfeind und streitet wider Gott; Constantin dagegen kämpft unter dem unmittelbarsten göttlichen Schütze, der eine sichtbare Gestalt gewinnt in dem Semeion, dem bekannten Prachtfetisch, welcher mit in die Schlacht getragen wird; an himmlischen Erscheinungen, an Geisterheeren, welche durch Licins Städte ziehen u. dgl., ist vollends kein Mangel. Euseb ist nicht etwa ein Fanatiker; er kannte die profane Seele Constantins und seine kalte, schreckliche Herrschbegier recht gut und wusste die wahren Ursachen des Krieges ohne Zweifel genau; er ist aber der erste durch und durch unredliche Geschichtschreiber des Altertums. Seine Taktik, welche für jene Zeit und für das ganze Mittelalter einen glänzenden Erfolg hatte, bestand darin, den ersten grossen Beschützer der Kirche um jeden Preis zu einem Ideal der Menschheit in seinem Sinne, vor allem zu einem Ideal für künftige Fürsten zu machen. Darob ist uns das Bild eines grossen, genialen Menschen verlorengegangen, der in der Politik von moralischen Bedenken nichts wusste und die religiöse Frage durchaus nur von der Seite der politischen Brauchbarkeit ansah. Wir werden finden, dass er sich seit diesem Kriege allerdings den Christen enger anzuschliessen für gut fand und dass damit die Erhebung des Christentums zur Staatsreligion vollendet war. Allein Constantin war ehrlicher als Euseb; er hat mehr geschehen lassen als gehandelt, und in betreff seiner persönlichen Überzeugung die Untertanen so wenig zu einer bestimmten Ansicht gezwungen als Napoleon, da er das Konkordat schloss.
Es wäre auch von seiner Seite eine starke Zumutung gewesen, für einen Christen gelten zu wollen. Nicht gar lange nach dem Konzil von Nicaea lässt er auf einmal (326) seinen trefflichen Sohn aus erster Ehe, Crispus, den Zögling des Lactantius, zu Pola in Istrien umbringen und bald darauf seine eigene Gemahlin, Maximians Tochter Fausta, im Bade ersticken; auch der kaum elfjährige Licinian wurde, wahrscheinlich zugleich mit Crispus, ermordet. Ob Fausta gegen den Stiefsohn eine Phaedra war, oder wodurch sie ihn beim Vater verleumdete, ob es ihr nur um die Erhebung ihrer eigenen Söhne zu tun war, ob wirklich die Vorstellungen der alten Helena, welche um den Enkel jammerte, den Kaiser vermochten, sie ebenfalls zu töten – dies alles lassen wir dahingestellt. Dass aber diese Greuel keine blosse Familiensache, sondern auch politischer Art waren, liesse sich etwa aus der Mitermordung des Licinian schliessen646. Man spricht bei diesem Anlass wohl von Philipp II. und von Peter dem Grossen, allein die wahre Parallele bietet Soliman der Prächtige und sein edler Sohn Mustapha, der durch die Ränke Roxolanens untergeht647. Mit dem Erbrecht kehrte unabwendbar als dessen Ergänzung der Sultanismus ein, das heisst die Herrscher würden sich in der Mitte ihrer eventuell thronberechtigten Brüder, Söhne, Oheime, Neffen und Vettern keinen Augenblick sicher fühlen, wenn sie nicht jederzeit durch zweckmässige Erdrosselungen usw. nachhelfen dürften. Constantin ging hier voran; wir werden sehen, wie die Söhne nachfolgten.
Diese Söhne, Constantin II., Constantius II. und Constans, sind inzwischen in die Caesarswürde nachgerückt648; das Geschlecht der Herculier wächst in der Tat dem Throne entgegen, nachdem der Vater die Mutter, den mütterlichen Grossvater, den Oheim Maxentius und den Stiefbruder aus der Welt geschafft hat. Die Saat so vielen