So war eine feste Basis gewonnen für die Eroberung von ganz Italien; Maxentius und seine Generale waren überrascht worden; was sie durch rechtzeitige Besetzung der Alpenpässe mit geringen Mitteln hätten ausrichten können, brachten sie am Fuss der Alpen und in der Ebene mit Strömen Blutes nicht wieder ein. Strategiker mögen nun entscheiden, ob Maxentius nicht vielleicht Gründe hatte, den Feind bis gegen Rom vorrücken zu lassen. Die Autoren schildern ihn freilich bald als einen feigen Stubensitzer, bald als abergläubischen Beschwörer617, und beides mag seine teilweise Richtigkeit haben. Dass die Einwohner von Rom den Gewaltherrscher hassten, leidet keinen Zweifel; bei einem Streit mit seinen Soldaten waren 6000 Menschen umgekommen; sein wüstes Leben und seine Erpressungen konnten ihm nur Feinde machen; aber dies alles war nicht entscheidend. Er hatte noch eine grosse Armee für sich, und Rom selber war für den Fall einer Belagerung mit ungeheuern Vorräten versehen, wurde auch durch Gräben neu befestigt, so dass man den Feind hinhalten und vielleicht plötzlich einwickeln konnte. Allein wenn die berühmte Schlacht, die bei Saxa rubra neun Millien von Rom begann und an der milvischen Brücke endigte, wirklich so angeordnet war, wie die Schriftsteller erzählen, so kann von strategischer Rechtfertigung überhaupt kaum mehr die Rede sein; das Heer des Maxentius war nämlich in langer Linie so aufgestellt, dass es die Tiber im Rücken hatte; dieser sehr reissende Fluss aber scheint keine andere Brücke gehabt zu haben als die milvische nebst einer danebenliegenden Schiffbrücke. So musste gleich die erste Verwirrung unheilbar werden. Was nicht durch das Schwert fiel, ertrank; um Maxentius herum hielten noch die Prätorianer, deren Geschöpf er war, am längsten aus; auch er floh und versank im Flusse, während sie, wie einst die Schar Catilinas bei Pistoia, sich an der Stelle niederhauen liessen, wo sie am Anfang der Schlacht gestanden hatten. Ihre Vernichtung war für den Sieger von grossem Werte, weil er sonst doch noch einmal mit ihnen hätte abrechnen müssen. Er hatte es jetzt leicht, das prätorianische Lager zu zerstören.
Mit dieser Schlacht hatte nun das ganze Abendland seinen Herrn; auch Afrika und die Inseln fielen dem Überwinder zu. Zwischen zwei Illegitimen hatte das höhere Talent und die Entschlossenheit wie billig den Sieg entschieden. Constantin, bisher nur durch Grenzkriege bekannt, stand auf einmal im blendendsten Glanze des Heldenruhmes der öffentlichen Meinung gegenüber. Jetzt handelte es sich darum, diese neue Macht womöglich auf andere Grundlagen als auf die blosse Soldatengewalt zu stellen.
Hört man nur die Festredner, so hätte Constantin nach Aufhebung der ärgsten maxentianischen Missbräuche und Verfolgungen vor allem den Senat geehrt und durch neue Ergänzungen aus den Provinzialen zu heben gesucht. Es braucht aber keinen besondern Scharfblick, um einzusehen, dass nach den Ereignissen der letzten drei Jahre keine Mitregierung des Senates mehr möglich war. Constantin konnte wohl den Römern zu Gefallen diese Körperschaft wieder äusserlich zu Ehren bringen, nicht aber von ihr eine wesentliche Unterstützung hoffen, und deshalb musste sie ihm innerlich gleichgültig bleiben; ja, vielleicht hegte er schon damals Pläne, die zwischen ihm und dem Senat eine tiefe Abneigung begründen mussten. Neun Jahre später lässt ein Panegyriker, der den Senat soeben eine Blüte der ganzen Welt und Rom eine Burg aller Völker und Königin aller Lande genannt hat, die Wahrheit doch zwischen den Zeilen lesen: »Diese ehrwürdige Seele des römischen Volkes618, hergestellt, wie sie vor alters war, zeigt weder frechen Übermut noch kümmerliche Niedergeschlagenheit; beständige Ermahnungen des göttlichen Fürsten haben sie in ein solches Geleise gebracht, dass sie, nach seinem Wink sich biegend und wendend, nicht seiner Furchtbarkeit, sondern seiner Güte sich willig fügt619.« Mit andern Worten: der Senat, grossenteils aus Heiden bestehend und ohne allen Einfluss auf die Regierung, findet sich in einer schiefen Stellung zum Kaiser. Er versammelt sich noch regelmässig, und die Kalender geben sogar die Tage an: »senatus legitimus«, gesetzlicher Senatstag – allein dies kömmt mit Ausnahme des Januars höchstens einmal im Monat vor.
Der Kaiser aber hatte sich inzwischen zum Beschützer des Christentums proklamiert. Seine persönliche Religiosität mag hier einstweilen ganz aus dem Spiele bleiben; fragen wir nur nach den politischen Gründen, welche einen römischen Imperator zu einem solchen Schritte bewegen konnten. Die Christen waren doch immer nur eine kleine Minorität620, die man weiter nicht zu schonen brauchte; wie konnte nun ihre Duldung dem Ehrgeizigen als ein Mittel der Macht, mindestens als eine Sache der Zweckmässigkeit erscheinen?
Das Rätsel löst sich, sobald man annimmt, dass die Mehrzahl derjenigen Heiden, auf deren Meinung etwas ankam, die weitere Verfolgung missbilligten, dass sie auf die daherige Störung des bürgerlichen Lebens mit Unmut, auf den im Pöbel geweckten Blutdurst mit Besorgnis hinsahen, dass in den letzten Jahren bedenkliche Vergleichungen angestellt wurden zwischen dem an und für sich nicht blühenden, aber doch ruhigen Zustande Galliens und dem schändlichen Henkerwesen im Osten und Süden. Jeder Terrorismus erlahmt, sobald die Durchschnittsmasse ihre Leidenschaft gestillt hat und die unangenehmen Folgen selber zu empfinden anfängt; die Fanatiker, die ihn perpetuieren wollen, gehen entweder an ihren eigenen Konsequenzen zugrunde oder sie werden beiseite