Die Motive der Abdikation haben wir oben ins rechte Licht zu stellen gesucht. Wenn wir nicht geirrt haben, so sollte das Kaisertum überhaupt auf die feste Amtsdauer von zwanzig Jahren beschränkt werden, um die wunderbare Dynastie ohne Erbrecht nach Kräften zu regularisieren und eine ruhige, geräuschlose Folge von Adoptionen möglich zu machen. Es ist wahrscheinlich, dass die Superstition auch in diese Sache ihr Wort geredet hat, wenigstens in betreff des einen Punktes, dass Diocletian so fest auf die Folgsamkeit der Mitregenten baute. Hier liesse sich wohl nichts anderes denken, als dass er durch geheime fatalistische Gründe alle Nachfolger von der Notwendigkeit der Massregel zu überzeugen hoffte.
Wie dem auch sei, er fühlte sich in seinem Lagerpalast zu Salona wenigstens einige Zeit zufrieden und glücklich. Es ist ein hohes Zeugnis zu seinen Gunsten, dass er die Stätte seiner Jugend und die Beschäftigungen seiner Jugend nach langem Kriegsleben, nach zwanzigjährigem Kaisertraum wieder aufsuchte581 und seinen Gemüsegarten mit eigener Hand umgrub und pflanzte. Sollte man nicht daraus schliessen dürfen, dass er über jenes orientalische Zeremoniell, das er einführte, innerlich stets erhaben gewesen sei? Dass es ihn zu Nikomedien oft recht sehr nach seiner dalmatischen Heimat verlangt habe582? Man wird in diesem merkwürdigen Menschen ewig vergebens ausscheiden wollen, was dem gewöhnlichen Ehrgeiz, was dem Schicksalsglauben, und was dem Drange des politischen Genius angehört. Er kannte das Mittel, dem Römischen Reiche, was es zur Rettung bedurfte, nämlich die Stetigkeit der Herrschaft, zu verleihen; unwiderstehlich muss es ihn zum Throne getrieben haben, um seinen Gedanken zu verwirklichen. Seine Aufgabe war jetzt gelöst, und er trat in die Stille zurück. – Maximian, der denselben Staatsakt gleichzeitig, aber sehr wider Willen in Italien583 vollziehen musste, ging auf ein schön gelegenes lucanisches Landhaus, während sein Sohn Maxentius das verschmähte Rom oder dessen Nachbarschaft zu seinem Sitze auserkor. Er, der selbst Verschmähte, des Herrschens unwürdig Gehaltene, legte hier einen richtigen Blick an den Tag, und es ist schwer anzunehmen, dass Galerius ihn freiwillig in dieser Gegend habe wohnen lassen. Vielleicht wurde sogleich protestiert, aber er war in Güte nicht wegzubringen. In Diocletians System fehlte, wie bereits oben angedeutet wurde, nur eine Konsequenz: man musste die Kaisersöhne entweder befördern oder hinrichten. Allein die Erbdynastie war aus Gründen, die wir oben zu erraten gesucht haben, vermieden worden, und von dem reinen Sultanismus wollte Diocletian, wie es scheint, nichts wissen, gerade wie einst (S. 54) nach Carins Untergang von keinen Proskriptionen. Übrigens hatte Maxentius eine Tochter des Galerius geheiratet, möglicherweise gegen seinen und des Galerius Willen, nur einer Kombination des alten Oberkaisers zuliebe.
Einige Monate hindurch schien die ganze Sukzession ihren vorgeschriebenen Gang zu gehen. Aber zu Anfang des folgenden Jahres (306) tritt in diesem merkwürdigen Drama eine neue Person auf. Constantin, den die Geschichte mit Recht den Grossen nennt, entweicht vom Hofe zu Nikomedien und erscheint auf einmal bei seinem Vater Constantius Chlorus, als derselbe eben im Begriffe war, aus dem Hafen von Gessoriacum (Boulogne) nach Britannien abzusegeln.
Constantins Andenken hat in der Geschichte das grösste denkbare Unglück gehabt. Dass die heidnischen Schriftsteller ihm feind sein mussten, versteht sich von selbst und würde ihm in den Augen der Nachwelt keinen Schaden tun. Allein er ist in die Hände des widerlichsten aller Lobredner gefallen, der sein Bild durch und durch verfälscht hat. Es ist Euseb von Caesarea und sein »Leben Constantins« gemeint584. Der bei allen Fehlern immerhin bedeutende und gewaltige Mensch macht hier durchweg das Angesicht eines andächtigen Frömmlers, während doch anderweitig so viele seiner Missetaten auf alle Weise konstatiert sind. Und dieses zweideutige Lob ist überdies von Herzen unloyal; Euseb spricht von der Person und meint eigentlich nur eine Sache, nämlich das Interesse der von Constantin so stark und reichlich etablierten Hierarchie. Dazu kommt noch – des wahrhaft hässlichen Stiles zu geschweigen – eine mit Bewusstsein schielende Ausdrucksweise, so dass der Leser gerade an den wichtigsten Stellen auf Falltüren und Versenkungen tritt. Wer sie zu rechter Zeit bemerkt, lässt sich dadurch leicht verführen, eben deshalb das Allerschlimmste zu vermuten, weil ihm etwas verschwiegen wird.
Der Eingang dieser Biographie585 lautet ekstatisch genug: »Wenn ich im Geist diese dreimalselige Seele schaue mit Gott vereint, frei von aller sterblichen Hülle, in blitzleuchtendem Gewand und ewigstrahlendem Diadem, dann steht mir Sprache und Verstand stille, und ich überlasse es gerne einem Bessern, ein würdiges Loblied zu ersinnen.« Wäre dies nur geschehen! Besässen wir nur dafür die Schilderung eines besonnenen Heiden wie Ammianus586, und der Mensch Constantin wäre vielleicht, wenn nicht moralisch gerettet, doch als grosse historische Erscheinung uns unendlich näher gerückt! Dann würde man vielleicht klar sehen, was sich jetzt nur vermuten lässt, dass nämlich Constantin sich fast zeitlebens nicht als Christ ausgab und gebärdete, sondern sich bis in die allerletzten Zeiten ziemlich unverhohlen die persönliche Überzeugung frei behielt. Dass Euseb fähig war, eine solche Tatsache völlig zu ignorieren und zu vertuschen, verrät er selbst durch seine frühere Charakteristik des Licinius, welchen er geradezu als gottgeliebten christlichen Kaiser in Anspruch nimmt, solange es sich um den Kampf gegen Maximinus Daza handelt, obwohl er wissen musste, dass Licinius nichts als ein toleranter Heide war. Höchst wahrscheinlich machte er es mit Constantin nicht besser. Damit fiele vor allem jene abscheuliche Heuchelei weg, die dessen Züge entstellt, und es bliebe statt dessen ein politischer Rechner übrig, der alle vorhandenen physischen Kräfte und geistigen Mächte mit Besonnenheit zu dem einen Zwecke benützt, sich und seine Herrschaft zu behaupten, ohne sich irgendwo ganz hinzugeben. Einen erhebenden Anblick gewährt ein solcher Egoist auch nicht, allein die Geschichte hat sattsame Gelegenheit, sich an dergleichen Charaktere zu gewöhnen. Überdies kann man sich bei einiger Billigkeit überzeugen, dass Constantin gleich von seinem ersten politischen Auftreten an konsequent nach demjenigen Prinzip handelte, welches der energische Ehrgeiz, solange die Welt steht, »Notwendigkeit« genannt hat. Es ist jene wundersame Verkettung von Taten und Schicksalen, in welche der höher begabte Ehrgeizige wie von einer dunkeln Macht hineingezogen wird. Vergebens ruft das Rechtsgefühl ihm seinen Protest entgegen, vergebens steigen Millionen Gebete der Unterdrückten zur Nemesis empor – der grosse Mensch vollzieht, oft ohne Wissen, höhere Beschlüsse, und ein Weltalter drückt sich in seiner Person aus, während er selber seine Zeit zu beherrschen und zu bestimmen glaubt.
Bei Constantin ist gleich die Beurteilung seines ersten Schrittes entscheidend. Galerius hätte ihm, wie es heisst, im Sarmatenkriege und dann bei scheinbar gymnastischem Kampfe mit wilden Tieren einen sichern Untergang zugedacht, allein der furchtlose Held siegte über Barbarenfürsten und Löwen und legte sie dem neuen Oberkaiser vor die Füsse587. Dann hätte Galerius trotz wiederholter Briefe des Constantius Chlorus, den Sohn zu ihm zu senden, diesen in ganz feindseliger Weise wie einen Gefangenen bei sich behalten und erst nachgegeben, als er es durchaus nicht mehr verweigern konnte. Constantin, mit der Erlaubnis versehen, reiste vor der festgesetzten Zeit in grösstem Geheimnis ab und lähmte auf den ersten