»D'Angelo!«, rief er aufgebracht. Sie hatte bereits die Hälfte der Strecke zum Forensikwagen und zu einigen Beamten zurückgelegt, die Kaffee von Dunkin Donuts tranken, als sie sich nach ihm umdrehte. Kaffee hätte er jetzt ebenfalls gut gebrauchen können, aber nicht dieses Zeug. Dem Polizisten, der ihn vom Flughafen in Portland abgeholt hatte, schienen außer Dunkin Donuts, keine weiteren Läden bekannt zu sein, in denen man vernünftigen Kaffee bekommen konnte, und für Edwards, der sich einen richtigen Cappuccino wünschte, war er keine besonders große Hilfe gewesen. Er hätte sich einen holen sollen, während er sich in der billigen Kopie eines Flughafens in Portland aufgehalten hatte, aber die lange Schlange vor dem kleinen Starbucks hatte ihn abgeschreckt, und ganz ehrlich, die Mitarbeiter hinter dem Tresen hatten auch nicht gerade wie das Starbucks A-Team gewirkt, deshalb war er einfach daran vorbeigelaufen.
»Was?«
»Auf wann hat Boudreau noch mal den Todeszeitpunkt von Ghani geschätzt?«, schrie er zu ihr hinüber.
»Etwa achtzehn Uhr«, rief sie zurück.
»Danke.«
Am helllichten Tag einen Mord zu begehen, erforderte eiserne Nerven. Er blickte abermals hinüber zum Tor an der Einfahrt, und fragte sich, ob der Killer nicht einfach hinter dem Mercedes durch die Einfahrt gejoggt war, und ihn dann niedergestochen hatte. Bis jetzt hatte er sechs Jogger gezählt, und das bereits am Morgen, an einem ganz normalen Werktag. Gegen Abend, wenn die Leute erst einmal von der Arbeit nach Hause zurückgekehrt waren, würden mindestens doppelt so viele Läufer unterwegs sein. Keine schlechte Tarnung, um sich Zutritt auf das Gelände zu verschaffen. Er wandte sich zu dem Toten und fragte sich, ob Ghani wohl eine Espressomaschine besaß.
Kapitel 9
11:22 Uhr, Portland, Maine
Petrovich steuerte seinen BMW quer über die verblasste Mittellinie der Woodford Street hinauf auf die Lawn Avenue und quetschte sich vor einen grünen, ramponiert aussehenden Chevy Caprice Classic. Das erboste Hupen des Chevyfahrers verfolgte ihn noch zwei weitere Straßen, bis zur Lawn Avenue hinunter. Ein Paar, beide mit perfekt gestylten Frisuren, die einen Kinderwagen vor sich herschoben, bedachten ihn wegen der hohen Geschwindigkeit mit einem ungläubigen Blick, weshalb er den Fuß schnell vom Gaspedal herunternahm und entschuldigend in ihre Richtung nickte. In seiner Nachbarschaft fuhr er immer noch hart an der Grenze zur Geschwindigkeitsübertretung und zog vorsichtig an zwei Stoppschildern vorbei, bevor er endlich zu Hause ankam. Das Dach seines Autos berührte beinahe das hochrollende Garagentor, als er es langsam in das Dämmerlicht manövrierte.
Er bewegte sich zügig, und erst einmal im Inneren des Hauses, vergeudete er keine Zeit mehr. Er war ins Büro zurückgekehrt, nachdem er eine halbe Ewigkeit damit zugebracht hatte, dem Grauen von Power Point Präsentationen beizuwohnen, und hatte anschließend eine handgeschriebene Mitteilung von einem seiner Assistenten auf einem Zenith Notizblock gefunden.
Von Jeff Hill, VP, Sanderson Resources. Habe weiteres Betätigungsfeld. Würde mich gern mit Ihnen treffen und die aktuellen Pläne zur Übernahme von heimischem Newport-Kapital erörtern. Die Übernahme wird sehr wahrscheinlich in naher Zukunft stattfinden. Ich könnte Sie für heute Abend oder morgen früh in meinem Terminkalender unterbringen.
Die Nachricht war eindeutig. Irgendwie war es den Behörden gelungen, Sandersons Schützen dingfest zu machen, und der General wollte nun, dass er unverzüglich die Stadt verließ. Er hatte auf die handgeschriebene Notiz geschaut, und sich augenblicklich Alternativen überlegt, wie er das alles umgehen und dennoch hierbleiben könnte, aber es hatte keinen Zweck. Schon seit gestern hatte er gewusst, dass ihre Zeit in Portland langsam ihrem Ende zuging. Die nüchterne Realität dessen war heute über ihn hereingebrochen, als er sich zusammen mit Jessica die Nachrichten angesehen hatte.
Er hatte an seinem Kaffee genippt, und sich zwanglos mit seiner Frau unterhalten, während er im Kopf gleichzeitig die Grundzüge eines Planes ausgearbeitet hatte, der ihnen das Verschwinden erleichtern würde. Unglücklicherweise müsste Jessica aber noch für einige Tage in Portland bleiben, denn falls das FBI eine Spur zu Daniel finden sollte, bräuchte er sie dringend als Ablenkung, um so viel Zeit wie nur möglich herausschlagen zu können. Zum Untertauchen waren nämlich mehr als nur Flugtickets und Reisepässe erforderlich.
Er lief durch die Küche zum Keller und tastete dort hektisch an der Wand nach dem Lichtschalter. Kühle, feuchte Luft drang in seine Lungen, während er die Stufen hinabstieg, und sich zur Mitte des trüb ausgeleuchteten Lagers im Untergeschoss wandte. Ein paar Kartons waren an die nächste Wand geschoben worden, und in ihrer unmittelbaren Nähe lagerte ein Dutzend ähnlich gestapelter Plastikboxen. Aufkleber auf den Boxen gaben deren Inhalt wider: Saisonkleidung, Sachbücher, Campingausrüstung.
Er setzte seinen Gang in den hintersten Winkel des Kellers fort, bis er schließlich vor dem Boiler und dem Öltank stand. Auf dem Boden vor dem Öltank standen ebenfalls mehrere Kartons. Daniel klappte einen von ihnen auf, und nahm den Aktenkoffer heraus, den er gestern erhalten hatte. Er öffnete ihn und sah sich erneut dessen Inhalt an. Eine Akte, die er unwiederbringlich vernichten müsste … aber nicht hier im Haus. Eine Heckler & Koch USP 9mm mit dazugehörigem Schalldämpfer. Er würde diese Waffe jetzt in naher Zukunft wohl brauchen.
Daniel legte den Inhalt wieder zurück in die Tasche und begab sich zu den großen Aufbewahrungsboxen aus Plastik. Aus einem Stapel nahm er die zwei obersten und ließ sie langsam zu Boden gleiten. Die noch verbliebene Box mit der Aufschrift Alte Klamotten lag zwischen zwei Türmen aus grünem Plastik.
Er beugte sich hinunter und riss das Klebeband an den Seiten der Box herunter, die man schon seit über einem Jahr nicht mehr geöffnet hatte. Sie verströmte einen muffigen Geruch nach alten, getragenen Klamotten, und enthielt übergroße Sweatshirts. Petrovich grub nun seine Arme in den Haufen aus Wäsche und brachte zwei schwarze Nylontaschen zutage, während er den übrigen Inhalt der Box einfach wahllos über den Boden verteilte. Er stieß die Taschen hinter sich, zusammen mit der Aktentasche, und beseitigte erst einmal das Chaos, das er veranstaltet hatte.
Der Raum sah nun wieder genauso aus, wie er ihn betreten hatte. Nachdem auch die Boxen und Kartons wieder an ihrem ursprünglichen Platz standen, stieg er die Treppe hinauf, um sich einen kleinen Koffer zu holen, der alles enthielt, was er brauchen würde, zusammen mit den drei Gegenständen, die er gerade aus dem Keller geholt hatte.
Fünf Minuten später rollte Daniel den BMW rückwärts aus der Garage. Er fuhr einige Fuß auf die Straße, blieb dann aber stehen, um durch die Scheibe auf der Beifahrerseite auf das Haus zu starren. Er lehnte sich über die Mittelkonsole, um mehr sehen zu können, und seufzte wehmütig.
Ein niedriger, weißer Zaun verlief parallel zur Frontseite und erstreckte sich über die gesamte Zufahrt bis zur angebauten Garage, die ein kleines Stück vom kleinen, gelb angestrichenen Haus im Cape-Cod-Stil entfernt stand. Durch die dunkelgrünen Rollläden wurden die hellen Fensterscheiben noch hervorgehoben und konkurrierten mit den sauber gestutzten, immergrünen Büschen, die bis zu den Fenstersimsen emporwuchsen. Wenige Fuß hinter dem Zaun verlief zwischen zwei Ahornbäumen ein mit roten Ziegeln ausgelegter Weg, der an einem großen Aufgang aus Granit unter der dazu farblich passenden, grünen Eingangstür endete.
»Wir hätten es beinahe geschafft«, murmelte er und nahm den Fuß von der Bremse. Er hatte keine Zweifel daran, dass er das Haus oder auch nur eine der darin