»Heather, ich möchte, dass Sie sich auf diesen Kerl verlassen. Teilen Sie Gregory mit, dass er mich unverzüglich anrufen soll. Ich will nicht, dass er sich bei diesem Typen zurückhält. Dafür steht einfach zu viel auf dem Spiel. Wir werden den Druck hier wohl etwas erhöhen müssen. Ich hoffe, dass Sie damit, keine Probleme haben.«
»Die Vorstellung, dass ich mir einen Ruf als zartbesaiteter Special Agent erarbeitet habe, gefällt mir ganz und gar nicht«, erwiderte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
»Im Gegenteil. Das ist auch der Grund, warum ich Sie anstatt Ihres Bosses um 01:30 Uhr in der Früh aus dem Bett geklingelt habe. Halten Sie mich bitte kontinuierlich auf dem Laufenden. Viel Glück.«
»Verstanden, Sir. Danke«, sagte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihr Handy, als sie nun von Special Agent Justin Edwards gestört wurde.
»Agent Olson, könnte ich wohl die Ermittlungen in Newport leiten? Ich habe bereits hinreichend Erfahrung bei der Führung von Ermittlungen in komplizierten und wichtigen Fällen sammeln können.«
»Justin, ich bin vertraut mit Ihrer Arbeit. Aber mit Gregory Carlisle an Bord ist das Team Boston bereits Premiumklasse. Ich benötige Sie deshalb an einem der anderen Tatorte«, erwiderte sie, und wandte sich wieder ihrem Handy zu.
»Yeah, aber ich besitze solide Kenntnisse als Vernehmungsbeamter. In Boston wäre ich von viel größerem Nutzen als an irgendeinem der anderen Tatorte.«
»Ich brauche aber keine weiteren Verhörspezialisten in Boston. Was ich brauche, sind Ermittler. Sie möchten nach Newport? Gut, ich kann Ihnen Newport überlassen, aber dort bleiben Sie dann auch.«
»Aber alles an relevantem Material befindet sich doch bereits auf dem Weg nach Boston«, hielt Justin dagegen, und sah mit einem verächtlichen Blick zur Seite.
»Stellen Sie ein Team für Maine zusammen. Binnen einer Stunde werden Sie die Reiseformalitäten, die notwendige technische Ausrüstung sowie die Hintergrundinformationen über das Mordopfer vorgelegt bekommen. Wenn Sie etwas Brauchbares in Maine finden, können Sie dann gern in Boston zu uns stoßen. Jetzt muss ich mich aber erst einmal um diesen Anruf kümmern.« Mit diesen Worten drehte sie sich weg, um den überfälligen Anruf bei der Counterterror Duty Section zu tätigen.
»Ich möchte aber nicht nach Maine«, protestierte Edwards.
»Dann bleiben Sie eben hier, und schieben Telefondienst«, empfahl sie ihm genervt über die Schulter blickend. Es verstrichen einige Sekunden, während derer er geringschätzig auf ihren Rücken starrte.
»Ich hoffe, dass sie da Sushi haben«, murmelte er verdrossen und machte auf dem Absatz kehrt, um den Raum zu verlassen. Agent Olson sah vorsichtig über ihre Schulter. Sie hoffte inständig, dass sich dieser arrogante Arsch endlich verzogen hatte. Er war zwar ein talentierter FBI-Agent, keine Frage, aber sie mochte ihn einfach nicht. Er besaß das makellos gute Aussehen eines Filmstars, hielt sich für unfehlbar, war immer rausgeputzt und hatte noch dazu einen Abschluss der Rechtswissenschaften von der Harvard-University. Und zu guter Letzt natürlich auch noch wohlhabende Eltern mit vorteilhaften Beziehungen. Sie konnte noch zehn weitere Gründe aufzählen, weshalb Justin Edwards die Karriereleiter beim FBI hochschießen würde, trotz seines kaum verhehlenden, sexistischen Benehmens sowie der ständig offen zur Schau gestellten Arroganz. Das ärgerte sie beinahe so sehr wie die Zeit, die er dazu aufbrachte, um auf ihre Brüste zu starren. Sie sah, wie er sich jetzt einer attraktiven, blonden Agentin näherte, die sich in der Mitte des Raumes befand, und überlegte, ob sie dazwischen gehen sollte, als sich endlich das Counterterrorism Operations Center meldete.
»Hier ist Supervisory Special Agent Heather Olson. Ich muss dringend mit Agent Gregory Carlisle sprechen.«
Kapitel 4
06:50 Uhr, Portland, Maine
Daniel trat aus der Duschkabine und trocknete sich vor einem wandhohen Spiegel ab, der auf der Rückseite der Badezimmertür aufgehängt war. Das Abbild seines vor feuchtem Dunst verschleierten Körpers gewann kontinuierlich an Schärfe, während er ein Handtuch um seine Hüften schlang. Es fiel ihm schwer, hinzusehen, dennoch wandte er niemals seine Augen von dem Bild ab, das sich ihm darbot. Er besaß einen wohlgeformten Körper, den er einer Routine aus Gewichtheben und Fußballspielen zu verdanken hatte. Sein Körperfettanteil war äußerst gering und ließ ihn fast ein bisschen hager erscheinen. Was er, laut Jessies Behauptung entgegenwirken könnte, wenn er ungefähr fünf Pfund an Masse zulegen würde. Allerdings würde er dann aufhören müssen, Übungen zur reinen Gewichtszunahme anzuwenden, und manchmal bot ihm nur ein Zehnmeilenlauf die einzige Möglichkeit, seinen Kopf freizukriegen.
Als die Details im Spiegel deutlicher wurden, drehte Daniel leicht den Kopf zur Seite, hielt aber den Blick unverwandt auf das Glas gerichtet. Sein Torso war übersät von zahlreichen Narben, manche kurz und tief, andere wiederum lang und flach. Zwei über Kreuz verlaufende Narben auf seinem Brustkorb stammten von einem Messerkampf, der sich als schlimm für Daniel und als tödlich für den jungen Kosovomilitanten herausgestellt hatte, der unverhofft in Daniels Scharfschützennest gestolpert war. Die meisten Verletzungen, wie Schrapnell-und Kugelfragmente, welche keine lebenswichtigen Dinge in seinem Körper verletzt hatten, erinnerten ihn an sein wankelmütiges Glück, das ihm während der Zeit beschieden gewesen war. Einige der Narben waren auch die Überbleibsel von Verletzungen, die er sich im Zuge seiner Einweihung auf der Ranch selbst zugefügt hatte. Der markanteste Punkt allerdings fand sich auf seinem rechten Oberarm … ein verblichenes Panthertattoo.
Er öffnete die Badezimmertür und erblickte Jess am Fußende ihres Bettes. Sie sah wirklich umwerfend aus, so wie gewöhnlich. Ihr dunkelbraunes Haar, geschnitten und gestylt, reichte ihr knapp unter den Schulterschnitt ihres marineblauen Blazers. Der Kragen einer frischen, weißen Bluse ruhte auf dem Halsaufschlag des Blazers und stand im starken Kontrast zu dem dunklen Stoff des Jacketts. Ursprünglich hatte sie einen Rock dazu anziehen wollen, sich dann aber doch für einen dazu besser passenden Hosenanzug entschieden, worüber Daniel leicht frustriert war. In einem passenden Rock, so Daniels Überzeugung, hätte sie schlichtweg zum Anbeißen ausgesehen. Ihre Augen waren starr auf den Fernseher gerichtet, der an der gegenüberliegenden Wand in einen dunkelroten Schrank eingelassen war. Sie zog gerade einen schwarzen Gürtel durch die Schlaufen ihrer Hose, während sie weiterhin gebannt dem Geschehen auf dem Bildschirm folgte.
»Du hast da eine Schlaufe ausgelassen«, sagte er. Jess wandte die Augen vom Gerät ab und sah ihn an. »Hör auf, zu gaffen«, erwiderte sie mit gespielter Empörung.
»Ich habe einfach keine Kontrolle darüber«, rechtfertigte sich Daniel.
Er beobachtete ihr Gesicht. Sie sah beinahe so aus wie damals, als sie sich zum ersten Mal in der Schule begegnet waren, gleichzeitig hatten sich auch ihre Züge verändert, und diese Feststellung raubte ihm vor Bewunderung jedes Mal den Atem. Ihre verführerischen braunen Augen verliehen ihr eine feine, exotische Note und vervollständigten ihr ohnehin schon dunkleres Aussehen. Sie sah bezaubernd aus, mehr denn je, und die Liebe, die er für sie empfand, brannte stärker als früher in ihm. Es entsprang seiner felsenfesten Überzeugung, dass sie niemals erlöschen würde … eine Liebe, die in einem Feuer geschmiedet worden war, das nur wenige sich vorzustellen in der Lage waren.
»Schau dir das einmal an«, sagte sie nun und nickte in Richtung des Fernsehers.
Daniel lief zu ihr hinüber, um ihr dabei zu helfen, den Gürtel durch die vergessene Schlaufe zu führen, und sah dabei auf den Bildschirm. Ein Lokalreporter stand gerade vor zwei abgestellten Polizeifahrzeugen aus Cape Elisabeth, die den Zugang zu einer langen Auffahrt blockierten. Diese führte unter einem steinernen Bogen hindurch, welcher zu beiden Seiten von Lampen in Eiseneinfassungen beleuchtet wurde,