»Ich glaube nicht, dass das erforderlich sein wird. Sharpe hat deutlich zu verstehen gegeben, dass er eine Liveübertragung des Verhörs wünscht und ich habe nicht vor, mich allzu weit von seiner Seite zu entfernen, es sei denn, es ereignet sich irgendetwas Interessantes«, entgegnete Keller.
»Bleiben Sie in seiner Nähe. Ich vermute mal, dass Sharpe die Sache nicht sorgfältig durchdacht hat. Er lässt ein Spezialteam nach Boston kommen, mit speziellen Befugnissen, die sich nicht gerade günstig für eine Liveübertragung herausstellen könnten. Er wird den Feed bestimmt schnell unterbrechen, wenn Mr. Carlisle erst einmal den Druck auf den Verdächtigen erhöht.« Die Direktorin wandte sich zur Tür und verließ nun den Raum.
»Zurück nach D.C. mit dir. Sehr gute Arbeit, das Ganze. Lass es mich wissen, falls du noch etwas brauchen solltest, und es gehört dir«, meinte Berg.
»Ich bräuchte ein Feldbett für mein Büro.«
»Weshalb denn das? Für die nahe Zukunft kann ich mir kein Szenario ausmalen, in dem du zum Schlafen kommst.«
»Gutes Argument. Mal sehen, ob ich mich in den Feed aus Boston hineinschalten kann. Wie auch immer«, erwiderte Keller.
»Das würde natürlich gewaltige Pluspunkte auf dein Konto einbringen.«
»Genau deshalb hast du mich ja drüben im FBI-Gewässer.«
»Neben anderen Gründen. Nimm dir alles mit, was du brauchen könntest. Ich werde den Tech-Support anrufen, sobald du mein Büro verlassen hast, was in einigen Sekunden passieren sollte.«
»Ich bin schon weg«, beeilte sich Keller zu versichern und zog die Tür hinter sich zu. Er bahnte sich jetzt einen Weg durch die inzwischen angewachsene Menge aus Analysten. Die aufgesetzte Kombination aus erzwungenem Lächeln und gehetzten Gesichtsausdruck nahm jeden sofort den Mut, der vorgehabt haben sollte, ihn anzusprechen. Er erreichte den Fahrstuhl tatsächlich, ohne dass ihn jemand belästigte, und schlug mehrmals hintereinander auf die Taste mit dem nach unten gerichteten Pfeil. Er musste dringend zurück ins FBI-Hauptquartier, bevor das Verhör in Boston begann.
Kapitel 6
08:15 Uhr, Portland, Maine
Daniel starrte angestrengt auf den flachen Monitor in seinem Büro. Seine Tür war geschlossen, und seit seiner Ankunft um 07:45 Uhr, vor beinahe einer halben Stunde, war er ungestört geblieben. An sich war das nicht weiter verwunderlich, denn jeder war im Moment damit beschäftigt, noch einmal die eigenen Berichte durchzugehen, und sich ins Gedächtnis zu rufen, was man bei der Rede sagen wollte. Die für die Auslandsgeschäfte zuständige Marketingabteilung hatte um neun Uhr ein Meeting anberaumt, gefolgt von einer weiteren Sitzung derselben Stabsstelle um zehn Uhr, dann jedoch mit allgemeinem Inhalt. Mutter Zenith forderte einmal im Monat ihren Tribut.
Daniel saß in seiner Arbeitsnische. Eine intensive Unruhe hatte sein Gefühlsleben komplett durcheinandergewirbelt. Er hatte einiges aus dem Internet zusammengetragen, und was er dort zutage gefördert hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Eine simple Recherche bei Google, und die Suchmaschine hatte sieben weitere Todesfälle ausgespuckt, die Parallelen zum Mord in Cape Elisabeth aufwiesen. Wohlhabende Muslime, allesamt letzte Nacht getötet. Die Details waren nach außen hin absolut nichtssagend und fadenscheinig, als ob eine Nachrichtensperre verhängt worden wäre. In einem konkreten Fall war der Google Link sogar gar nicht mehr aktiv. Dieser Bericht stammte aus dem Providence Journal, und es war letzten Endes die Überschrift gewesen, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte:
Ein prominenter Geschäftsmann in Newport ist erschossen auf seiner Terrasse aufgefunden worden … laut örtlichen Behörden befindet sich ein der Tat Verdächtiger in Gewahrsam.
Ihm gefiel die Vorstellung eines Verdächtigen in Gewahrsam der Behörden ganz und gar nicht. Und er war sich außerdem ziemlich sicher, dass auch der General keinen Gefallen daran finden würde.
Wieder öffnete er den unter Favoriten abgespeicherten Zeitungsartikel und versuchte, sich einen Reim aus den darin erhaltenen Informationen zu machen.
Kunsthändler mit muslimischem Hintergrund ist außerhalb von Mount Pleasant Home hingerichtet worden. Allem Anschein nach aus geringer Entfernung erschossen …
In einem bizarren Mordfall ist ein Paar aus einem fahrenden Wagen heraus beschossen und getötet worden, während sie einen nächtlichen Spaziergang durch das Eastport Wohnviertel in Annapolis unternommen haben. Die Nachbarn der Mordopfer sind fassungslos. Sie beschreiben Sa'id und Adia Faris als höfliche, friedliebende Mitglieder ihrer kleinen Gemeinde. Bisher konnten keine Verdächtigen ermittelt werden …
Jibran Nazirs Leichnam wurde außerhalb der zu seinem Anwesen in Hampton führenden Einfahrt von seiner Ehefrau gefunden. Das Blech der Beifahrertür war von zahlreichen Kugeln gespickt. Er starb noch am Tatort …
Daniel klickte mit der Maus auf den nächsten Link.
Der von Ihnen gewünschte Link ist nicht aktiv oder er existiert nicht mehr.
Da ist aber jemand ziemlich schnell unterwegs, um die Sache zu vertuschen.
Schnell las er sich durch die Informationen zweier weiterer Links. Zwei Erschießungen, eine davon nach einem Einbruch in ein Lagerhaus in Rye, das Ehepaar ermordet; die andere in der Upper West Side in Manhattan, ein Türsteher und Asim Shareef, beide hingerichtet in der Lobby eines exklusiven Appartementgebäudes. In drei der insgesamt acht Artikel wurde der Staat für die Morde verantwortlich gemacht. Im Besonderen wurde hier auf den erstochenen Mohammad Ghani hingewiesen, den man tot an der Auffahrt zu seinem Strandanwesen in Cape Elisabeth, Maine, entdeckt hatte. Nur eine Messerattacke? Interessant.
Er versuchte nun, über verschiedene Pfade und alternative Suchbegriffe dem Internet Informationen zu dem Mordfall zu entlocken, welcher ihm die größte Sorge bereitete. Aber nichts. Der Mord in Newport, Rhode Island, war dem Fokus der Öffentlichkeit entrissen worden, und er empfand diese Entwicklung als äußerst beunruhigend. Sollten die Behörden tatsächlich den Killer geschnappt haben, drohte Daniel die Gefahr, dass sein bisheriges, vertrautes Leben komplett aus den Angeln gerissen werden könnte. Vorsichtig schlug er mit der Faust auf die Tastatur.
Er hätte es besser wissen und den Auftrag ausschlagen müssen.
Fünf himmlische, gemeinsame Jahre mit Jessica, und beinahe war es ihm gelungen, ein ganz normales und geruhsames Leben zu führen, an das er sich sogar langsam zu gewöhnen begann. Er hatte keinen echten Gefallen an seinem Job gefunden, aber wer tat das schon? Er brauchte nun einmal die Illusion von Normalität und Banalem; von Routine; den charakteristischen Eckpfeilern eines zivilen Lebens abseits des Militärs. Vielleicht hätte er sich für die harte Tour entscheiden sollen. Einfach verschwinden und sich dann mit Jessica irgendwo ein ganz neues Leben aufbauen sollen. Aber vielleicht war das auch gar nicht wichtig. Er hatte den Eindruck, dass ihn letztendlich jede Entscheidung wieder auf dieselbe, alte Straße führen würde.
Sanderson war an einer großen Sache dran, und jetzt galt es, sie als Ganzes herunterzuschlucken.
Daniel schloss den Internetbrowser und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Stapel Akten auf seinem Schreibtisch. Zumindest noch für einige Stunden musste Daniel anwesend sein, obwohl ihm die Berichte über die aufkommenden Auslandsgeschäfte von Zenith momentan vollkommen schnuppe waren.
Kapitel 7
09:26 Uhr, FBI Hauptquartier, Washington, D.C.
Der leitende Special Agent Sharpe sah hoch auf die Plasmamonitore in der Task-Force Einsatzzentrale. Die von den Monitoren wiedergegebene Szenerie hatte sich im Verlauf des Vormittags nur geringfügig verändert und er fühlte, wie langsam eine Welle aus Niedergeschlagenheit auf ihn zu brandete, als er an