»Keiner von Ihnen hat auch nur die geringste Ahnung davon, womit Sie es hier zu tun haben.«
»Lassen Sie die Hände über dem Kopf! Treten Sie nach hinten und gehen Sie in die Knie. Ein weiteres Mal werden Sie nicht gewarnt werden!«, schrie Olson.
Die Tür zum Verhörraum wurde nun heftig aufgeworfen und drei weitere Agenten stürzten hinein. Einer von ihnen hielt einen Taser in der Hand, während die zwei anderen mit halb automatischen MP 5 Maschinenpistolen bewaffnet waren. Insgesamt fünf Agenten standen außerdem außerhalb von Munoz Aktionsradius und zielten mit ihren Waffen auf ihn. Nur eine unbedachte Bewegung und Munoz würde aufhören zu existieren, und das FBI würde sich gleichzeitig seiner einzigen Chance berauben, Licht ins Dunkel der Ereignisse zu bringen.
Munoz hatte ihnen zu verstehen gegeben, dass eine Verbindung zwischen einem General Sanderson und den Geschehnissen des heutigen Tages bestand, und dass er im Austausch für eine vollständige Immunität bereit sei, ihnen die entsprechenden Informationen zu geben. Und ohne ausreichendes Insiderwissen konnte das FBI nun einmal keinen Zug gegen Sanderson ausführen. Und da dem FBI immer noch jeder Anhaltspunkt fehlte, wer die zahlreichen Morde geplant hatte, waren sie leider auf jede Hilfe angewiesen, mochte sie auch noch so klein sein. Der einzige Durchbruch in dieser Angelegenheit war momentan Munoz. Das US- Justizministerium mit Rückendeckung durch das Weiße Haus hatte dieser Beurteilung der Sachlage zugestimmt.
»Verbinden Sie mich sofort mit meiner Anwältin. Wir vergeuden hier nur Zeit. Sobald Sie das haben, was Sie brauchen, werde ich durch diese Tür hinausmarschieren. Sollten Sie auf die Idee kommen, mich zu verarschen, wird man Sie mit den Füßen voran und einem um ihren großen Zeh hängenden Schild zur Hintertür hinaustragen«, presste Munoz hervor, während er langsam in die Knie ging.
Er schloss die Augen, als drei Agenten mit Kabelbindern und Handschellen über ihm aufragten. Olson behielt ihre Waffe weiterhin im Anschlag, während Munoz von den Agenten wieder auf die Beine gehoben wurde. Als die Agenten ihn an Olson vorbeischoben, griff sie nach dem Kragen seines dunkelblauen Kapuzensweatshirts und zog ihn zu sich.
»Ich hoffe für Sie, dass Ihre Informationen unserer Absprache auch gerecht werden. Ich habe so ein Gefühl, dass Sie nicht lange auf der Straße bleiben werden, sollten wir uns dazu entscheiden, Zeit und Ort Ihrer Freilassung publik zu machen«, flüsterte sie.
»Nur keine Sorge. Dass, was ich Ihnen zu sagen habe, ist mindestens tausend Absprachen wert. Und nebenbei bemerkt: Sie müssen sich bezüglich meiner Überlebensfähigkeit auf den Straßen keinen Kopf machen. Sollte sich das Pentagon dazu verpflichtet fühlen, Ihnen meine tatsächliche Akte auszuhändigen, werden Sie sich die nächsten Tage verwundert fragen, warum Sie überhaupt noch am Leben sind«, erwiderte er mit einem Aufblitzen in den Augen und entwand sich ihrem Griff.
»Höchste Sicherheitsstufe. Kein Kontakt, ausgenommen zu seiner Anwältin, und nur unter meiner Aufsicht«, befahl Agentin Olson.
Kapitel 15
14:55 Uhr, FBI Hauptquartier, Washington, D.C.
Der Lärm und das hektische Treiben in der Einsatzzentrale der Task-Force HYDRA waren noch fünfzig Fuß den Korridor hinunter deutlich zu hören. Der infernalische Geräuschpegel, ein Konglomerat aus durcheinanderredenden Stimmen, untermalt vom Summen elektronischer Gerätschaften, zog sofort die neugierigen Blicke von Agenten auf sich, die zu den schicksalhaften Ereignissen des heutigen Tages keinerlei Bezug hatten, und sobald sich einem der Fremden die ganze Bandbreite dieser Operation auftat, wichen sie erschrocken zurück und traten wieder in die relative Geborgenheit ihrer eigenen Missionen und Arbeitsgruppen ein. Einem sterbenden Stern ähnlich, war heute Morgen das Dezernat für Terror Financing Operation Section implodiert, und hatte gepulste Wellen von dichter Materie durch das Gebäude gefegt. Jeder Agent, der das zweifelhafte Vergnügen hatte, sich im Einflussbereich des schwarzen Loches aufzuhalten, wurde von ihm eingesogen und kam nicht mehr frei. Agenten, die am Abend eigentlich wieder zu Hause hatten sein wollen, vermieden es, an diesem Tag, sich der Counterterrorism Division auch nur zu nähern.
Sharpe, der die Leitung bei diesen Ermittlungen innehatte, lauschte angespannt auf die vorherrschende Stille in der Telefonleitung. Er hatte sich vor dem großen Monitor aufgebaut, und las aufmerksam die vom Bildschirm wiedergegebenen Informationen durch, die man über Jeffrey Munoz zusammengetragen hatte. Weder seiner Zivil- noch der Militärakte waren irgendwelche Auffälligkeiten zu entnehmen, die auf eine mögliche Tatbeteiligung hinweisen würden. Augenscheinlich hatte er mit dem heutigen Debakel überhaupt nichts zu schaffen. Munoz war Eigentümer einer mit Erfolg betriebenen Kette von fünf Kaffeehäusern in Hartford, Connecticut. Die täglich wiederkehrenden Routinearbeiten des gesamten Geschäftes hatte er einem der Filialmanager überantwortet, der sich bei ihm eigens dafür qualifiziert hatte: David Stebbens.
Agenten hatten Stebbens sowie weitere Mitarbeiter bereits befragt. Ihre Geschichten waren allesamt dieselben. Munoz war ganz vernarrt in seine Arbeit, verbrachte den Großteil des Tages in seinen Läden, unterhielt sich dort mit Kunden, und schob über das Internet Aktienpakete hin und her. Munoz war eifrig darum bemüht, auf dem unübersichtlichen Wertpapiermarkt den ganz großen Coup zu landen. Da er den Großteil der gängigen Arbeiten an Stebbens delegiert hatte, besaß er noch ausreichend Zeit, um sich seinen anderen Interessen zu widmen. Die Finanzen des The Toasted Bean waren grundsolide, und Stebbens gab an, Munoz und er hätten auf Grundlage der Zahlen sogar in Erwägung gezogen, in Kürze eine sechste Filiale zu eröffnen. Keine alarmierenden Anzeichen am Horizont. Nichts, weshalb er mehr als hundert Meilen fahren würde, um eine panzerbrechende Kugel in Umar Salahs Schädel zu jagen.
Sharpe wartete geduldig auf die Stimme der stellvertretenden Direktorin der Abteilung für nationale Sicherheit. Die Anfrage des FBI beim Pentagon, Einsicht in die Black-Flag-Unterlagen zu erhalten, war formell vor einer Stunde weitergereicht worden, gefolgt von einigen persönlichen Gesprächen mit Vertretern aus den obersten Etagen. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, dass der Direktor des FBI den Verteidigungsminister persönlich kontaktieren würde, um die Dringlichkeit der ganzen Situation zu unterstreichen. Plötzlich erwachte die Leitung zum Leben.
»Mr. Sharpe, ich habe hier den Direktor für Sie am Apparat«, hörte er eine männliche Stimme sagen, woraufhin sich kurz danach ein »Klick« einstellte.
Sharpe verkrampfte sich. Er hatte fest mit der stellvertretenden Direktorin gerechnet, Sandra Delgado, mit der er auch persönlich vertraut war. Delgado und Sharpe hatten zur selben Zeit die Akademie besucht, nur getrennt voneinander durch eine Klasse, und waren über die Jahre hinweg nach ihrem erfolgreichen Abgang in freundschaftlichem Kontakt geblieben. Sandra und ihr Ehemann hatten sogar im vergangenen Jahr mehrmals mit den Sharpes zu Abend gegessen. Er wusste allerdings überhaupt nicht, was er vom Direktor der Abteilung Nationale Sicherheit innerhalb des FBI zu erwarten hatte, und er mochte keine Überraschungen.
»Ryan, hier ist Fred Carroll. Es tut mir leid, dass ich Sie so überfalle, aber es sind geringfügige Änderungen eingetreten und Sandra steht leider nicht mehr als Bindeglied zwischen dem Pentagon und dem FBI zur Verfügung.«
»Ich hoffe, dass alles in Ordnung ist, Sir«, wagte sich Sharpe zu äußern.
»Mit Delgado ist alles bestens. Offensichtlich stimmt allerdings mit den Black-Flag-Akten etwas nicht. Wir dürfen deshalb nur eine geringe Menge an Informationen einsehen, die direkt mit Black Flag zu tun haben.«
»Also hat Munoz nicht gelogen?«
»Allem Anschein nach hat er das nicht, und was auch immer in diesen Unterlagen stehen mag, wird geschützt durch die strengsten Sicherheitsauflagen des Verteidigungsministeriums bezüglich streng geheimer und begrenzt einsehbarer Unterlagen. Das Pentagon hat sich einverstanden erklärt, uns einen limitierten Zugriff auf die Akten zu gewähren. Uns ist gestattet worden,