»Im Großen und Ganzen ist er ein Durchschnittsbürger. Lebt außerhalb von Hartford, Windsor.«
»Wie weit liegt das entfernt von Newport?«, fragte Sharpe.
»Etwas weniger als hundert Meilen.«
»Haben sie schon seinen Wagen gefunden?«
»Zumindest nicht auf den Straßen, die in der Nähe des Anwesens verlaufen. Sie suchen momentan auf dem Gelände eines nahegelegen Colleges. Vor dem Campus verläuft ein Uferabschnitt, der sich einen um diese Jahreszeit häufig aufgesuchten Klippenpfad anschließt.
Man fand den Schützen mehrere Hundert Yard nördlich des Anwesens ausgestreckt auf den Felsen liegend, ohne Bewusstsein, unmittelbar in der Nähe des Pfades. Vermutlich hat er sich vor einigen Nachtschwärmern ins Dickicht zurückgezogen, und ist dabei ausgerutscht.«
»Wir müssen herausfinden, wie er dort hingelangt ist, und wie lange er das Anwesen vorher beobachtet hat. Fangen Sie damit an, das alles in ein sinnvolles Muster einzufügen. Er muss eine Fahrkarte bezahlt haben, um nach Newport gelangt sein zu können, es sei denn, er ist die gesamte Strecke über gefahren worden. Möglich, dass wir irgendwelche Unterlagen im Wagen finden, wenn man bedenkt, dass die Morde von einem ehemaligen Angehörigen eines Spezialkräftekommandos geplant worden sind. Der Wagen ist wichtig.«
»Wir haben ihn deshalb bereits unter Druck gesetzt, aber er ist nicht weich geworden. Ich glaube, dass er uns über das Fahrzeug aufklären wird, sobald der Deal standfest ist.«
»Ich verlasse mich aber nicht darauf, Frank. Dafür hat er uns bisher zu wenig geliefert.«
»Er bewegt sich eben auf einem schmalen Grat«, stellte Mendoza fest.
»Das mag sein, aber es hilft uns nicht weiter. Ich benötige zusätzliches Material, um das Ganze durchsetzen zu können. Munoz scheint wegen des Fahrzeugs äußerst besorgt zu sein. Vielleicht können wir ja auf ihn verzichten, sobald wir es gefunden haben.«
»Ich werde dafür sorgen, dass unsere Leute in Newport die Auffindung des Wagens mit der notwendigen Priorität angehen«, bekräftigte Mendoza und erhob sich aus dem Stuhl, um den Raum zu verlassen.
Kapitel 13
13:45 Uhr, Logan International Airport, Boston, Massachusetts
Daniel parkte die ältere Version eines dunkelblauen Toyota Camrys zwischen zwei unscheinbaren Limousinen auf dem zentralen Parkareal des Flughafens. Die Kennzeichen aus Massachusetts ähnelten denen aller übrigen Fahrzeuge, die sich auf dem Platz befanden. Er warf das Parkticket achtlos auf den Beifahrersitz und zog einen der schwarzen Nylonseesäcke aus dem Koffer, zusammen mit einer kleinen Tasche. Nachdem er den Deckel des Koffers zugeschlagen hatte, beobachtete er die Umgebung des Wagens, und hielt nach möglichen Hinweisen Ausschau, die ihn zum Terminal C des Flughafens führen würden. Ihm blieben noch etwa fünfundzwanzig Minuten, um an Bord einer Maschine der Firma Jetblue zu gelangen, welche ihn dann zum International Airport in Baltimore, Washington, fliegen würde. Anderenfalls müsste er sich an seinen Ausweichplan halten.
Er wusste nicht, womit ihn der gute General Sanderson sonst noch konfrontieren würde, wenn er erst einmal einen Fuß ins Einzugsgebiet der Hauptstadt gesetzt hätte, aber in Anbetracht der momentanen Ereignisse blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als New England hinter sich zu lassen, und zwar ohne Jessica. Dummerweise brauchte er sie hier in Portland, eine Tatsache, der auch der General zugestimmt hätte. Er beschleunigte seine Schritte und warf einen Blick nach hinten, um sich den Standort des Wagens einzuprägen. In New Hampshire hatte er in dem größten Mietlager an der zur Küste gewandten Seite des Bundesstaates den BMW gegen den Camry eingetauscht.
Er hatte das Fahrzeug in Massachusetts unter einem falschen Namen registrieren lassen, und auch der gefälschte, aber nicht von einem offiziellen zu unterscheidenden Führerschein lief auf einen frei erfundenen Namen: Christopher Stevens, langjähriger Einwohner von Boston.
Bevor er das Lagerhaus verlassen hatte, hatte er den Mitarbeiter am Schalter in ein Gespräch verwickelt, und zwar gerade lange genug, damit sich dieser später an ihn erinnern würde. Falls es den Ermittlern gelingen sollte, seine Fährte bis hierher zurückzuverfolgen, wollte er sie wissen lassen, dass er nun einen blassen, unauffälligen Toyota Camry als fahrbaren Untersatz hatte, eines der am häufigsten gefahrenen Automobile auf den Straßen des Landes, und eines von mehreren Tausend, die in Massachusetts zugelassen waren. Um dem FBI weiter Sand ins Getriebe zu streuen, war er in Newburyport von der Interstate 95 abgefahren, und hatte an einer abgelegenen Stelle die Nummernschilder gewechselt. Das Lagerhaus war mit Kameras ausgestattet, und wahrscheinlich war auf einer von ihnen auch eine Aufnahme der Kennzeichen zu sehen. Er brauchte deshalb den Toyota unentdeckt auf dem Parkplatz des Logan Airports.
Acht Minuten später rauschte er an den Abfertigungsschalter und reichte dort den Führerschein einer hageren, braunhaarigen Frau in blauer Uniform. Sie verglich das Bild auf dem Dokument mit Daniel, kniff kurz die Augen zusammen und schrieb mit einem roten Marker etwas Unleserliches in seine Bordkarte.
»Irgendwelches Gepäck zum Aufgeben?«
»Nicht dieses Mal. Ich denke, die kann ich ja bestimmt mit an Bord nehmen oder?,« fragte er und hob zwei Taschen wenige Zentimeter vom Hallenboden hoch, sodass die Frau sie sehen konnte.
»Das sollte gehen. Sie sind hier fertig, Mr. Harrell. Die Gatenummer ist in Ihrem Flugticket abgedruckt«, erwiderte sie lächelnd.
Daniel nickte bestätigend und eilte ungestüm zur Sicherheitskontrolle.
Kapitel 14
14:01 Uhr, FBI Außenstelle Boston, Massachusetts
Agent Olson trat mit einem braunen Ordner in das Verhörzimmer. Sie knallte ihn auf die weiße Resopaloberfläche des Tisches und sah hinab auf Munoz. Kratzer und blaue Flecken zogen sich über seine rechte Gesichtshälfte und kündeten von seinem Sturz auf den Felsen. Blut hatte sich über den Großteil seiner rechten Ohrmuschel ausgebreitet und war inzwischen zu einer Kruste eingetrocknet. Seine Frisur war nicht weiter auffällig: mittellange Haare, an den Schläfen leicht zurückweichend. Oberhalb des linken Ohrs verlief eine senkrecht verlaufende Narbe. An dieser Stelle wuchsen keine Haare. Durch die Stoppeln an der rechten Seite des Kinns ließ sich eine weitere Narbe erkennen. Dunkelhäutig, mit tief liegenden, braunen Augen und einem kantigen Gesicht, war er ein äußerst attraktiver Mann, wenn man einmal von seinen gegenwärtigen Blessuren absah.
Munoz sah zu Olson hoch. Sein Gesicht blieb weiterhin eine ausdruckslose Maske.
»Haben wir einen Deal?«
»Den haben wir, er ist aber abhängig von …«
»Viel Glück bei Ihren künftigen Ermittlungen. Ich bin bereit für ein wenig Urlaub. Irgendwo, wo es warm ist, hoffe ich«, erwiderte Munoz kalt und lehnte sich zurück in seinen Stuhl.
»Abhängig davon, ob diese Verschwörung nachgewiesen werden kann, Black Flag sollte real sein, und nicht einfach ein von Ihnen erdachtes Hirngespinst. Haben Sie eine Vorstellung davon, was sich heute ereignet hat?«, wollte sie von ihm wissen, und nahm ihm gegenüber am Tisch auf einem frei stehenden Stuhl Platz.
»Zerbrechen Sie sich darüber mal nicht den Kopf. Es ist real. Hat meine Anwältin den Deal einsehen können?«
»Wir werden Sie zu einer Videokonferenz zuschalten. Im Moment wartet sie noch auf unser Zeichen. Sie wird die Details unserer Übereinkunft verifizieren, aber ich will Ihnen zuerst etwas sagen …« Agent Olson lehnte sich über den Tisch nach vorn, ihr Gesicht war jetzt nur wenige Zentimeter von Munoz entfernt.
»Sie werden nirgendwo hingehen, solange wir nicht dahinter gekommen sind, was heute genau passiert ist.«
»Ich kann gehen, wohin ich möchte. Wann immer mir danach ist«, antwortete er mit einem unterdrückten Grinsen und legte beide Hände vor sich auf den Tisch. Agent Olson wich zurück,