Daniel rührte sich nicht. »Langer Tag trifft es ziemlich gut«, wisperte er leise.
»Hey, hast du irgendwas in deiner Sporttasche, das gewaschen werden müsste? Ich könnte es auf dem Weg nach oben mitnehmen«, bot sie ihm an, mit ihrem Teller und dem Weinglas in Richtung Küche marschierend.
Daniel sprang hastig auf und eilte hinter ihr her in die Küche.
»Nein. Ich werde mich selbst darum kümmern. Ein paar zwei Wochen alte Shorts, nichts weiter. Nichts, womit du dich gern befassen würdest, glaube mir.«
»Danke für die Warnung. Ich bin dann oben«, erwiderte Jessica.
Daniel ging hinüber in die Waschküche und lauschte gebannt ihren Schritten auf den knarzenden Stufen. Er öffnete die Sporttasche und holte dann die darin versteckte Aktentasche hervor. Er hörte, wie die Badezimmertür zugeschlagen wurde, und wenige Sekunden später begann das Wasser, zu rauschen. Mit der Aktentasche in der Hand verließ er den Waschraum und öffnete die Tür zum Keller. Er brauchte unbedingt einen sicheren Ort zur Aufbewahrung der Tasche, bis er die Zeit und Gelegenheit dazu fand, sich des belastenden Inhalts zu entledigen.
Painted Black
26. Mai. 2005
Kapitel 3
04:52 Uhr, FBI Hauptquartier Washington, D.C.
Ryan Sharpe, leitender Special Agent, stellte das Telefon wieder zurück in die Basis, welche sich auf dem Schreibtisch befand, und senkte den Kopf so weit nach unten, bis er ihn auf die vollgestellte Arbeitsfläche betten konnte. Er tat einen tiefen Atemzug, fuhr sich mit beiden Händen durch das lichter werdende, dünne Haar, und ließ dann den Kopf für einige Momente auf dem Schreibtisch ruhen.
Sharpe wandte leicht den Kopf und blickte aus seinem Fenster hinüber zur 9th Street. Das Verkehrsaufkommen hatte bereits zugenommen. Hinter dem Meer aus Gebäudefassaden sah er ein lang gezogenes Band aus hellblauem Schimmer. Er wünschte sich, dass das Chaos in D.C. nicht so früh Fahrt aufnehmen würde. Ein wenig mehr Zeit am heutigen Tag hätte er gut gebrauchen können, um dahinterzukommen, was genau seine drei Jahre andauernde Ermittlungsarbeit mit einem Schlag zunichtegemacht hatte. Er hob den Kopf wieder an, und beendete damit womöglich die einzige Phase ungestörter Ruhe, in den Genuss zu kommen er in den nächsten Tagen nicht hoffen konnte.
Einige Minuten nach Mitternacht hatte ihm ein Anruf aus der Operation Supports Duty Section den Mord an einem seiner bedeutenden Zielpersonen mitgeteilt. Er wusste, dass sich dieser Tag mit großer Wahrscheinlichkeit zum beschissensten überhaupt in seiner gesamten bisherigen Laufbahn entwickeln würde. Er wusste es sicher, als das Telefon zum zweiten Mal läutete, noch ehe er das Badezimmer betreten hatte. Und wie zur Bestätigung wurden mit dem zweiten Anruf all seine Befürchtungen untermauert. Zwei von insgesamt acht unter Beobachtung stehenden Zielpersonen der laufenden Ermittlung waren innerhalb der Zeitspanne weniger Stunden ermordet aufgefunden worden. Was den Gesundheitszustand der Verbliebenen und ihrer Verdächtigen anging, so gab er sich keinen allzu großen Illusionen hin, und in der Zeit, die es brauchte, um die Sicherheitskontrolle im J. Edgar Hoover Gebäude zu passieren, hatte er noch vier weitere Anrufe mit besorgniserregendem Inhalt entgegen genommen.
Die Task-Force Hydra war erledigt, der angerichtete Schaden permanent und nicht wieder zu beheben. Alle acht Zielpersonen waren zur selben Zeit aus dem Spiel genommen worden, und er musste nun so schnell wie nur möglich herausfinden, was da schief gegangen war. Er war im Besitz ausreichender, solider Beweise, die alle acht Personen in die Nähe von al-Qaida rückten, speziell, was die Finanzierung anbetraf, und ihrer aller Ermordung klang schon beinahe wie das Aufheulen einer Sirene. Ihm blieb nicht viel Zeit, um darauf Antworten zu finden. Er hörte ein Klopfen und eilte in Richtung Tür. Sein unmittelbarer Assistent, Supervisory Special Agent Frank Mendoza, trat in das Zimmer und nickte ihm zu.
»Alle sind bereit. Braucht noch irgendwer Kaffee?«, fragte er, als er in das Büro trat.
»Ich hatte bereits drei Tassen. Ich hatte soeben Delgado am Apparat«, sagte Sharpe grimmig dreinblickend.
»Scheiße. Wie weit haben sich die Neuigkeiten denn bereits verbreitet?« Mendoza zuckte zusammen, und wartete auf die Antwort.
»Den ganzen Weg bis hinauf zum Präsidenten. Die Homeland Security hat die Terrorgefahrstufe auf Orange angehoben, und will es auch beibehalten, es sei denn, wir können sie davon überzeugen, dass uns kein weiterer 11. September bevorsteht. Verständlich, dass die Sache die ungeteilte Aufmerksamkeit des Direktors genießt, also glaube ich, dass uns heute allen nur wenig Spielraum zur Verfügung steht. Allerdings dürfen wir deswegen wenigstens auf alle Ressourcen zurückgreifen.«
Der Direktor hatte außerdem seine Sorge zum Ausdruck gebracht, dass die Task-Force Hydra einen Verräter in den eigenen Reihen haben könnte, aber er entschied sich dagegen, dies gegenüber den anderen zu erwähnen. Sandra Delgado, seine unmittelbare Vorgesetzte, hatte ihn darüber in Kenntnis gesetzt, dass die interne Dienstaufsichtsbehörde dieser Möglichkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den Seitenlinien aus nachging.
»Ich glaube, wir haben bereits das halbe Gebäude in Beschlag genommen«, informierte ihn Mendoza.
»Haltet euch auch noch für die andere Hälfte bereit. Wir werden so lange schmoren, bis wir herausgefunden haben, was sich letzte Nacht genau ereignet hat. Lasst uns also loslegen.«
Sharpe kam nun hinter dem Schreibtisch hervor, lief aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Mendoza schloss zu ihm auf, als sie die Einsatzzentrale der Task-Force HYDRA erreichten. Aufgeregtes, geschäftiges Treiben war dahinter zu hören, und er ließ sich einen Moment Zeit, bevor er die Tür aufstieß. Sofort senkte sich Schweigen über den Raum, als die Tür geöffnet wurde, und Sharpe zu einem Arbeitstisch lief, den man zu einem behelfsmäßigen Podium umfunktioniert hatte. Die Luftqualität hier im Raum hatte sich merkbar verschlechtert. Sie war ranzig, feucht, und geschwängert vom Aroma schlechten Kaffees und verdunsteten Kölnisch-Wassers. Das gebäudeeigene Ventilationssystem konnte nicht gegen ein Zimmer ankommen, in dem beinahe vier Mal mehr Menschen untergebracht waren, als es tatsächlich aufzunehmen vermochte.
Er drehte sich nach hinten und sah auf einem der drei großen, nebeneinandergestellten Plasmabildschirme eine Landkarte der Ostküste. Die Karte erstreckte sich über ein Gebiet von South Carolina bis nach Maine, und an einigen Stellen wurden per Marker die Tatorte hervorgehoben, an denen man die Morde verübt hatte. Charleston, South Carolina … Virginia Beach, Virginia … Annapolis, Maryland … Long Island, New York … Manhattan, New York … Rye, New York … Newport, Rhode Island … Cape Elisabeth, Maine. Sharpe wandte sich wieder um, und blickte auf die sechzig Agenten, die man vor wenigen Stunden hastig hierherbestellt hatte, um das Chaos zu entschlüsseln, mit dem sie sich nun konfrontiert sahen.
»Alles klar. Also, was haben wir?«
Ein junger Agent trat nach vorn, in den Händen einige Bögen Papier haltend.
»Sir, wie Sie hier sehen können, haben wir es offenbar mit einem koordinierten Angriff auf jede der acht Zielpersonen zu tun. Die meisten der Morde scheinen …«
»Rob, werden Sie mir heute womöglich auch noch etwas berichten, das mir noch nicht bekannt ist?«, fuhr ihm Sharpe sofort ins Wort. Der junge Agent sah unschlüssig zu seinem Vorgesetzten und wartete offenbar auf dessen Unterstützung.
»Ich versuche nicht, hier den Oberarsch raushängen zu lassen«, erklärte ihm Sharpe, »aber für Wiederholungen fehlt mir einfach die Zeit. Wir müssen unsere Ermittlungen noch schneller voranbringen, und ich brauche bestimmt niemanden darauf hinzuweisen, welche Implikationen und Verdachtsmomente sich aus diesen Morden ergeben.«
»Diese Typen«, fuhr er fort, und zeigte dabei auf den Monitor hinter seinem Rücken, »waren Mittelsmänner bei der finanziellen Unterstützung gefährlicher Leute. Wir müssen dringend herausfinden, warum diese simultanen Attacken stattgefunden haben.