An Orten wie diesem war Iacub Helen fremd.
»Handeln gehört nicht zu deinen Stärken.«
Helen war nach Streit zumute.
Warum verhöhnte sie ihn? Hatte er nicht gehandelt? Hatte er ihr nicht den Ring geschenkt? Ihr nicht die Reise versprochen? Helen ähnelte Anne in Stärke und Dominanz. Iacub fühlte Wut in sich hochkochen.
Hip Hop zog durch die Nacht. Laut, vulgär, provozierend. Gettoblaster auf der Schulter. Szeneklamotten. Hosen, in die ein Elefant gepasst hätte. Basecaps mit lächerlich breitem Schirm, Baskettballshirts aus denen dünne Ärmchen schauten.
«Verdammte Kids.«
Iacub suchte ein Ventil für die aufgestaute Wut. Wut auf Anne, Wut auf Helen, Wut auf sich selbst. In den Kids fand er ein Ventil. Sechzehn Jahre. Drei Jungs und ein Mädchen. Sie war blond und fiel ihm sofort auf. Ein schönes Gesicht, wenn man sich die Farbe des billigen Make-ups daraus wegträumte. Er starrte sie an. Ihr Gang war eine Aufforderung zur Balz. Ihr kleiner Hintern wiegte sich bei jedem Schritt. Sie lächelte ihn an, poste für ihn.
Iacub sah zu Boden.
Sie lachte ihn aus.
Ihr Lachen, seine Demütigung. Es endete nicht. Nur noch Wut war in Iacub übrig. Die erotische Wirkung des hübschen Mädchens war verflogen.
»Was ist los, Arschloch?«
Der Anführer der Kids brüllte ihn an.
Furcht keimte in Iacub auf, Furcht vor den zwei Jungs, über deren dünne Arme er innerlich gefeixt hatte.
»Was glotzt du so, Wixer?«
Sie sahen an ihm vorbei.
Erleichtert folgte Iacub ihrem Blick. Die Jungs starrten zu einem Penner auf einer Parkbank. Der Kelch war an Iacub vorüber gegangen.
«He Müllsack! Willste ficken?«
Ihre schöne Stimme ließ den Obdachlosen aufsehen.
«Dann mach es dir selbst!«
Ihr Lachen war glockenhell.
Sie hauchte dem Penner einen Kuss zu und ihre Freunde unterstrichen die Geste mit einem Lachen. Nicht der Junge war der Anführer, es war das Mädchen, die billige, nuttige, blonde Göre.
Ihre Freunde zogen den Penner von der Bank und Blondie half, den Obdachlosen in den Boden zu stampfen.
»Hilf ihm.«
Helens Stimme forderte Iacub heraus. Wollte er Helen nicht verlieren, musste er etwas unternehmen. Einmal ein Mann und keine Memme sein.
»Es sind nur Kids.«
Iacub suchte Mut, rief sich seine Wut auf Anne ins Gedächtnis.
»Iacub. Hilf ihm.«
Er dachte an die Wut. Blonde Frauen entfesselten sie in ihm.
»Tu doch was!«
Er dachte an die Wut, die in ihm wach wurde, wenn er blonde Frauen sah.
»Iacub!«
Sie war fast noch ein Kind, doch sie war blond. Endlich wuchs die Wut ein wenig über die Angst hinaus.
Vorsichtig näherte sich Iacub den Kids. Er starrte sie an.
Sie sah ihn zuerst.
»Vergiss ihn. Er ist nur Abschaum.«
Ihre Worte, ihr schönes Gesicht. Es wollte nicht zusammenpassen.
Blondie kümmerte sich nicht mehr um ihn. Ihr Turnschuh fand erneut sein Ziel.
»Lasst ihn!«
War die zurückgekehrte Angst in seiner Stimme zu hören?
Sie reagierten nicht.
Iacub ging näher. Wäre Helen nicht gewesen, er wäre weggelaufen und hätte mit dem Handy Hilfe gerufen. Es hätte gereicht, sich nicht als Versager und Feigling zu fühlen. Jetzt war alles anders. Für Helen musste er sich beweisen.
»Hört auf!«
Sie gehorchten. Verblüfft sahen sie ihn an, als hätte er sie aufgefordert, etwas Unmögliches zu tun. Dann lachten sie. Iacub hatte verloren.
»Willst du auch?«
Das Bein eines der Jungs kickte in die Luft. Iacub sah den Turnschuh vor seiner Nase verharren.
Er hob die Hände, wich zurück, hörte ihr Lachen und war erleichtert. Sie schütten nur ihr Lachen und keine Tritte über ihm aus.
Mechanisch setzten sie ihr Werk fort.
Schmerz. Blut. Der Geschmack von Kupfer im Mund. Sich zusammenkrümmen. Das Gesicht schützen. Aufplatzende Haut. Mehr Schmerz. Lachen. Musik. Stille.
Ihr Opfer hatte nicht geschrien.
Sie ließen von dem Obdachlosen ab, schulterten den Gettoblaster und zogen weiter.
Vor ein paar Jahren waren sie noch süße Kinder gewesen.
»Alles okay?«
Der Mann atmete schwer und schwieg. Eine Platzwunde blutete auf seiner Stirn. Essensreste hingen im Bart, die Fingernägel waren dreckig und eingerissen. Die Kleidung war zerlumpt und schien nur aus Löchern zu bestehen. Die Sohle eines Schuhs war lose.
Der Mann stank.
Iacub zog seine helfende Hand zurück.
Schmutzige Finger schlossen sich um Iacubs Handgelenk. Der Obdachlose zog sich an ihm hoch, gab ihn frei, ließ ihn zurück zu Helen fliehen.
»Er sagte, er wäre okay. Er will seine Ruhe.«
»Du hast ihn nicht gefragt.«
Iacub wollte leugnen, kein Wort formte sich.
»Feigling.«
Helen sprach für ihn. Sie hatte seine Gedanken gelesen.
Sie ließ Iacub zurück, rannte, fühlte sich elend, hilflos. Ihr Verstand brüllte, sie solle Iacub vergessen, ihre Stellung kündigen, neu anfangen.
Ihr Herz schrie anders. Sie liebte ihn.
Iacub stand im Park und sah auf den Mann herab. Auf Knien und Händen kauerte er und hustete. Blut tropfte von seiner Stirnwunde auf seinen Bart. Iacub starrte den Verletzten an.
Schwerfällig erhob sich der Mann und umklammerte seinen Rucksack.
»Es tut mir leid.«
Überrascht sah der Penner auf. Mitgefühl hatte er nicht erwartet.
Iacub dachte an Helen.
»Es tut mir so leid.«
– 19 –
Die Dunkelheit des Parks trennte die Männer, führte sie Minuten später wieder auf einer Straße zusammen. Sie bemerkten einander nicht, hatten beide nur Augen für die Hotpants einer afrikanischen Nutte, auf der auch Arkadys Augen ruhten.
Die Afrikanerin lächelte Arkady an. Er war nicht interessiert, ging achtlos weiter und ließ die Verpackung eines Schokoriegels fallen. Das Papier trudelte zu Boden, blieb neben einer Einkaufstüte liegen. Äpfel kullerten daraus auf die Straße, wichen den Händen einer alten Frau aus. Ihr Körper schmerzte bei jeder Bewegung.
»Bitte.«
Ihr Blick wiederholte das Wort stumm.
Arkady betrachtete die Hand der alten Frau auf seinem Unterarm und schüttelte sie ab.
Die Frau erschrak und stürzte. Neben ihren Äpfeln fiel sie zu Boden.
»Bitte.«
Sie senkte den Blick und verstummte. Ihre Hände griffen nach den Äpfeln. Der Asphalt war