Er betrachtete sie, dachte an ihr Foto. Er trug es immer über dem Herzen.
Arkady erhob sich und begegnete Patrick. Zusammen verließen sie Büro und Gebäude.
Arkady stieg auf der Fahrerseite des alten Dienstwagens ein. Sein Blick schweifte über Müllberge auf Straßen und Gehwegen. Sein Blick schweifte über Patrick. Mit einem Taschentuch rubbelte der junge Kollege Taubenkot von seinen Turnschuhen. Arkady amüsierte sich stumm und ließ den Motor an. Patrick öffnete das Fenster, warf das Taschentuch hinaus auf die von Müllbeuteln flankierte Straße. Die Luft war vom Geruch des Abfalls geschwängert. Überall in der Stadt bot sich das gleiche Bild. Müll türmte sich zu Bergen, begrub Fahrzeuge und Asphalt unter sich und schwängerte die Luft. Bei offenem Fenster war der Geruch nicht auszuhalten, bei geschlossenem Fenster die Hitze im Wagen. Heiß brannte die Morgensonne auf den Lack. Schweiß perlte von den Gesichtern der beiden Männer. Die Hitze im Wagen war unerträglich, eine intakte Klimaanlage besaß der alte Dienstwagen nicht. Arkady wischte sich die Stirn, kurbelte erneut das Fenster auf, atmete den stinkenden Fahrtwind ein und schloss angewidert das Fenster.
»Beschwer dich doch beim Bürgermeister.«
Verblüfft sah Arkady den jungen Kollegen an.
Dann lachte er.
Die Leiche war von einem Mann gefunden worden. Er hatte seinen Müll aus dem Haus getragen und vor Schreck fallen lassen. Essenreste, Joghurtbecher, Zahnpasta hatten sich auf dem Körper der Toten ausgebreitet.
Arkady entfernte Joghurtreste aus Merets Gesicht. Lange musterte er ihre Augen, ihren Mund, bevor er sie mit seinem Handy fotografierte.
»Dieselbe Haarfarbe.«
Patrick störte. Seine Anwesenheit erzwang einen Dialog, an dem Arkady nicht interessiert war. Nur widerwillig nahm er ihn auf.
»Viele Männer stehen auf blonde Frauen. Sie heiraten sie, die Frauen bekommen blonde Töchter. Jede Generation bringt mehr Blondinen hervor. Und die Frauen, die nicht von Natur aus blond sind, färben ihr Haar, weil die Männer drauf stehen. Wir alle leben in einer Welt von Blondinen, Patrick. Nur du nicht, du stehst ja auf rot.«
Er wartete neugierig auf eine Reaktion. Sie blieb aus, Patrick blieb stumm.
»Es gibt weit mehr Übereinstimmungen. Beide Frauen wurden nachts in schmalen, schlecht beleuchteten Straßen getötet.«
»Schmale Gassen und Straßen waren schon immer als Tatorte beliebt.«
»Beide Körper weisen zahlreiche Stiche auf. In beiden Fällen war ein langes schmales Messer mit einschneidiger Klinge die Tatwaffe.«
»Die meisten Messer sind einschneidig. Und manchmal sind sie identisch.«
Patrick deutete auf einen Bluterguss an einem der Wundmale.
»Er stammt vom Handschutz des Messers. Die Abdrücke sind bei beiden Opfern gleich. Es war dasselbe Messer, es ist der gleiche Täter. «
Patrick musterte Arkadys seltsame Gleichgültigkeit, mit der dieser auf den Bluterguss starrte.
»Er hat ihnen die Kehlen durchschnitten. Sie konnten nicht mal schreien. Sie stürzten und Blut bildete sich um ihre Köpfe. Die Haare glichen einem Sonnenkranz.«
Patrick hätte den Wetterbericht zitieren können, Arkady hörte nicht zu. Seine Sinne waren auf Merets gepiercten Bauchnabel gerichtet. Er schoss ein Foto davon und ließ das Handy in seiner Hosentasche verschwinden.
Arkady war wütend, er war von dem jüngeren Kollegen vorgeführt worden.
Er wollte Patrick verletzen – und er wusste wie.
»Sie ist hübsch, deine Kleine. Tröstet sie dich nach Feierabend?«
Patrick schwieg.
»Sie sieht wie ein Junge aus. Findest du nicht?«
Seine Finger formten sich zu einer Faust.
– 23 –
Patrick zog sich zurück, drückte auf alle Klingeln in jedem der Häuser. Er wartete einige Minuten, zog weiter, versuchte es in einem anderen Gebäude erneut. Patrick vernahm durch die Gegensprechanlage die Stimme einer Frau. Sie klang jung, war betroffen. Laras Stimme.
Sekunden später öffnete sie die Tür. Lara ähnelte der Toten, beide waren blond, etwa gleich groß und schwer.
Sie hatte Meret gekannt.
Lara erriet Patricks Gedanken, sprach von ihrer Ähnlichkeit mit Meret. Oft hatte man sie verwechselt. Lara berichtete von einer Freundin Merets, mehr als nur eine Freundin war sie gewesen. Sie hatte die beiden Frauen verwechselt und Lara versehentlich von hinten umarmt und geküsst.
Sie erzählte von Merets Eifersucht auf diese unbeabsichtigte Zärtlichkeit, von einem Streit der beiden Frauen und von den Tränen der Unbekannten, die weinend davongelaufen war. Ein Monat war seitdem vergangen. Den Namen dieser Freundin kannte sie nicht.
Sie weinte über Merets Tod und verstand. Nur durch Zufall war sie dem Messer des Killers entgangen.
Hilflos stand Patrick vor der jungen Frau. Er ahnte nichts von Laras und Merets Beziehung. Unmittelbar vor dem Mord hatten sich die beiden Frauen unter Tränen getrennt.
– 24 –
Arkady hatte sich Zugang zu Merets Wohnung verschafft. In ihrer Handtasche hatte er den Schlüssel gefunden, Tampons, Geldbörse, Handy, Kaugummis, Schminkutensilien. Nichts in dieser Tasche hatte ihn überrascht. Er war enttäuscht.
Ihr Computer entschädigte ihn. Er fand Fotos von Meret und einer jungen Frau. Die beiden umarmten sich, waren unzweifelhaft Lesben. Die unbekannte Frau war ein Kesser Vater, trug eine Ballonmütze über kurzem Haar.
Arkady erkannte die Mütze sofort. Er hatte sie neben Merets Leiche in einer Blutlache schwimmen sehen. War sie ein Geschenk der Unbekannten? Vielleicht ließen sich an der Mütze DNA-Spuren finden und eine Identifizierung ermöglichen. Arkady lächelte. Die Mütze war ein prächtiges Vehikel, um Patrick zu beschäftigen. Patrick würde der Spur folgen, denn hatte Kaspar nicht erwähnt, Jessica sei von einem schwachen Mann oder einer kräftigen Frau getötet worden?
Eine Lesbe als Serienkillerin.
Arkady kicherte.
Er suchte nach ihrem Namen, entdeckte einen Ordner mit Briefen auf der Festplatte. Keiner davon war persönlich.
Neugierig durchstöberte er Merets Schränke und Schubladen. Den Kitsch auf ihren Regalen ignorierte er. Hunde aus Plüsch saßen dort und glotzten mit Knopfaugen auf ihn herab. An der Wand war der Umriss eines Bildes zu sehen, abgehängt, nachdem es Jahre an dieser Stelle verbracht haben musste.
Im Bad schnupperte er an ihrem Parfum. Es roch herb, erinnerte ihn an sein eigenes Aftershave. Irritiert stellte Arkady den Flakon an seinen Platz zurück.
Im Schlafzimmer suchte er nach Wäsche, fand ausschließlich Männerunterhosen und Unterhemden in Small. Verblüfft zögerte er einen Augenblick, steckte dann zärtlich einen Finger in den Eingriff einer Hose und stellte sich vor, Meret zu berühren.
Arkady hatte seine Trophäe gefunden.
– 25 –
Feine Perlen stiegen im Glas auf. Sie trug einen Bademantel, hielt zwei Champagnerkelche in den Händen. Anne lächelte und er konnte kleine Falten an ihren Mundwinkeln erkennen. Anne war noch immer ansehnlich. Ihre Finger waren schmal, ein Spiegel ihrer Gliedmaßen. Ihr Körper war weiblich geblieben, dank Massagen, Kosmetika, Spritzen und Liftings. Iacub konnte mit ihrem Alter leben, nicht jedoch mit ihrer Art. Ständig ließ sie ihn ihre Macht spüren. Die Bilanz ihrer Ehe bestand aus unzähligen Kraftproben.
Er hatte sie allesamt