Die Schokolade ließ seine Eingeweide brennen.
Patrick hatte vor Arkady das Totenreich Kaspars erreicht. Der Eifer des jungen Kollegen gefiel Arkady nicht. Anfänger waren immer übereifrig. Ein jedes Verbrechen wurde in einem bestimmten Rhythmus begangen und auch jede Ermittlung besaß ihre eigene Geschwindigkeit. Arkady hasste übertriebene Eile, und er hasste übereifrige Anfänger.
Eine Frau war tot. Die Spuren, soweit vorhanden, gesichert. Zeugen vernommen. Es war sein Mädchen. Patrick war nur ein störender Side-Kick, ein Handlanger.
Er stand neben Jessica, sah sie an.
Es stand ihm nicht zu.
Arkady trug seine Laune vor sich her. Er schmeckte Magensäure auf der Zunge.
– 13 –
»Wollt ihr reden oder zuhören?« Die Stimme des Gerichtsmediziners riss Arkady aus seinen Gedanken.
»Zuhören.«
»Reden.«
»Seid ihr verheiratet?«
»Spar dir den Rest, Kaspar, und fang an.«
»Ok, ihre Fingernägel waren sauber. Auf ihren Klamotten habe ich nichts gefunden. DNA könnt ihr vergessen, Stofffasern, die nicht zu ihrem Outfit gehören auch. Die Stiche sind tief und stammen von einem Messer mit breitem Handgriff und einseitiger Schneide. Sie hat nicht versucht, ihr Gesicht zu schützen, Hände und Unterarme sind nicht zerschnitten. Er kam von hinten, hat sie überrascht. Er hat ihr die Kehle durchgeschnitten und sie dann abgeschlachtet. Der Wucht nach, mit der das Messer in den Körper eingedrungen ist, könnte es ein Mann mit wenig Kraft oder eine starke Frau gewesen sein. Und bevor ich's vergesse, euer Freund ist Linkshänder.«
Schmale Finger mit langen Nägeln ragten unter dem Tuch hervor. Arkady stellte sich vor, die Finger zu berühren, träumte sie sich weich und warm, fühlte sie auf seinem Körper.
Sie streichelten ihn.
»Arkady?«
Kaspars Worte holten ihn erneut in die Wirklichkeit zurück. Er sah auf und fluchte. Patrick war gegangen und Arkady hatte es nicht einmal bemerkt.
»Alles in Ordnung?«
Arkady nickte. »Es ist nichts. Nur der Magen.«
»Kein helles Mehl, kein Kaffee, keine Zigaretten, keine Schokolade.«
»Du mich auch, Kaspar. Du mich auch.«
Kaspar beobachtete Arkady. Sie kannten sich gut, waren im gleichen Alter, hatten im selben Jahr angefangen, Verbrechen aufzuklären. Kaspar war der einzige Veteran neben Arkady. Es verband sie.
Kaspar kannte die Geschichten über Arkady, der junge Kolleginnen wie Möbel zu behandeln pflegte. Fast drei Jahrzehnte ging das schon so.
Arkadys Finger umschlossen den Stoff. Seine Linke schlug das Tuch zurück.
Jessicas Körper war gewaschen und gab die Hautstellen preis, durch die das Messer in ihren Körper gedrungen war. Selbst im Tod sah sie begehrenswert aus. Arkady hielt den Atem an, versuchte nicht einmal, sich zu beherrschen.
Eine verletzte Brust. Eine Stichwunde im Bauch. Schmale Taille. Ein durchbohrter Oberschenkel. Blutergüsse an den Wundrändern. Lange, schlanke Beine. Eine Blinddarmnarbe. Ein rasiertes Geschlecht. Ein Blutspritzer im engelsgleichen Gesicht.
»Er stach schnell zu, ließ sich keine Zeit. Zwölf Wunden hat er hinterlassen. Er hat sie wieder und wieder getötet. Falls du mich fragst, ein Wahnsinniger.«
Kaspar deckte die Leiche ab.
»Ich habe dich aber nicht gefragt.«
»Patrick schon.«
»Was kümmert mich Patrick.«
»Er glaubt an einen Sexualmord.«
»Ohne Sperma?«
»Wegen der Übertötung.«
»Und was glaubt er noch zu wissen?«
»Nach der Tat gab es keine Reue. Keine Scham.«
»Weil er das Opfer nicht abgedeckt hat? Vielleicht hatte er keine Zeit dafür.«
»Ihr Haar lag wie ein Sonnenkranz im Blut.«
»Du meinst, er hat es inszeniert?«
»Vielleicht hatte er doch genügend Zeit.«
»Vielleicht nur ein Zufall. Keine Zeit, kein organisierter Tatort.«
»Ich wiederhole nur, was Patrick gesagt hat. Wenn du diskutieren willst, rede mit ihm.«
»Vergiss es.«
»Du magst ihn nicht?«
»Warum sollte ich. Er ist jung, ehrgeizig, und alle sagen, er sei ein guter Cop.«
»Hab ich auch gehört.«
»Ach ja, hat dir das eine deiner Leichen geflüstert?«
»Nein. Übrigens flüstern sie nicht mit mir. Sie flirten. Hast du es auch bemerkt?«
Keiner der beiden Männer lachte ob des scheinbaren Scherzes.
– 14 –
Schweiß trat aus jeder Pore. Jeder Schritt ließ die Temperatur steigen. Achtunddreißig Grad Celsius erwarteten Patrick vor dem Polizeirevier. Einen solchen Frühling hatte es noch nie gegeben. Patricks Poren glichen einer Gießkanne. Er hastete die Stufen des ehrwürdigen aber verfallenen Gebäudes hinab, dessen Fensterscheiben das Sonnenlicht spiegelten und dieses wie Brenngläser auf Patrick lenkten.
Ein Obdachloser bückte sich, griff das Papier von Arkadys Schokoriegel und schleckte in der Hitze geschmolzene Krümel aus. Er ging weiter, angezogen von einem Mülleimer und den Genüssen, die dieser versprach.
Patrick wollte versuchen den Tathergang zu rekonstruieren und in einzelne Abläufe zu zerlegen. Was hatte Täter und Opfer zusammengebracht? Wie sah die Infrastruktur aus, die zum Tatort führte? Gab es ein Versteck in der Nähe des Tatorts, das der Killer benutzt haben konnte, bevor er sich seinem Opfer genähert hatte? Bestand die Möglichkeit, vom Nachbargebäude die Wohnung Jessicas zu beobachten? Wurde dort etwas Auffälliges beobachtet? Wie viele Haustüren würden sich ihm heute öffnen?
Es waren nur wenige.
– 15 –
Bang. Bang. Bang. Drei Schüsse fielen in drei Sekunden. Milla war zufrieden, es waren klare Treffer. Hier am Schießstand machte ihr keiner so schnell etwas vor.
»Kein Lob?« Milla nahm den Schallschutz ab.
Er küsste sie. »Lob genug?«
»Nein.«
Sie lachten.
Auch damals hatten sie gelacht, als Millas Mutter die Tür geöffnet und den neuen Freund ihrer Tochter in Augenschein genommen hatte.
»Bond. James Bond«, hatte Patrick sich vorgestellt.
In seinem smarten, neuen Anzug hatte er sich nicht so recht wohlgefühlt. Verlegen war er vor seinen künftigen Schwiegereltern gestanden.
Millas Mutter hatten der Anzug und der Mann darin sofort gefallen.
Sie hatten Kuchen gegessen, Tee getrunken und auch damals hatte Milla einen Kuss als Lob erhalten. Ihr Marmorkuchen war ebenso vortrefflich wie ihre Schießkunst. Es war ein schöner Tag gewesen, anders als heute.
Milla legte den Finger in die Wunde. »Und wie ist er? Kommt ihr klar, du und die Arkady-Pest?«
Sie lud ihre Waffe.
»Ich glaube, er kann sich nicht mal