Knochen von Tieren, demontiert und neu zusammengesetzt, geformt zu Skulpturen in weißen, kargen Räumen. Knöcherne Engel, vielbeflügelte, über und über mit Augen übersäte Cherubim. Sie hielten Wache über alle Eingänge des Paradieses. Ihre Augen schliefen nie, blinzelten nicht und pflegten jeden Besucher der Galerie anzustarren.
«Benimm dich, Boss.«
Halbernst, halb lachend war Helens Stimme. Sie verspürte den Kuss im Nacken und beschwerte sich spielerisch.
»Nicht hier.«
Helen fühlte sich von den Augen der Engel ertappt.
Künstliche Flammenhüllen umwaberten die Knochenkörper eines jeden Seraphim und verbargen die göttlichen Geheimnisse der Engel vor dem dumpfen Verstand der Menschen. Glühende Schlangen wanden sich um die Gebeine dieser Engel. Einer von ihnen hielt ein flammendes Schwert.
»Iacub. Nicht jetzt.«
Ein scheinbares Züngeln der Schlangen erschreckte Helen.
»Iacub!«
Er schwieg und schloss seine Hände um ihre schmale Taille. Wie schön sie war.
Iacub hatte sie selbst ausgesucht. Sie war jung, gebildet. Wäre Helen nicht lebendig, wäre sie ein Kunstwerk.
Sein Kunstwerk.
Iacub liebte sie. Er wusste es, und sie wusste es auch.
»Iacub!«
Annes Stimme ließ seine Hände sich öffnen. Enttäuschung und Wut überlagerten die Liebe. Sein Körper löste sich von Helen. Frei standen sie voreinander im weiß gekalkten Raum der Galerie.
Sie starrten zu Anne.
Anne war die Zukunft, die auf Helen wartete. In zwanzig Jahren würden sich die beiden Frauen wie Geschwister ähneln.
Die knöchernen Engel bezeugten Annes Lächeln.
Iacubs Lächeln war unsicher und eilte ihm voraus. Furcht vor einer starken Frau nagte an ihm. Zwanzig Jahre älter war sie, und er war mit ihr verheiratet. Er liebte ihr Geld und ihre bedeutsame Galerie.
»Küss mich.«
Er schloss die Augen, roch ihr Parfüm, ihr Haar. Iacub liebte Annes Haar. Blond, voll und glänzend war es, wies im Gegensatz zu ihrem Körper keine Spur des Alterns auf.
Einst war sie ebenso schön wie ihr Haar gewesen. Iacub wünschte sich die glückliche Zeit zurück, in der er Anne geliebt und begehrt hatte.
»Wie war deine Reise?«
Er hörte seine Stimme, öffnete die Augen, sah in ihr Gesicht. Es war alt geworden, bitter.
»Wundervoll. Und wie war es hier?«
Iacub dachte an den Sex mit Helen, an die glücklichen Stunden im Park, an den Geschmack von Freiheit. Nichts wünschte er sich mehr, als frei zu sein.
»Okay. Es war okay.«
«Hab ich was verpasst?«
«Nein.«
«Hast du mich vermisst?«
Demütigung war der Name des Spiels. Es war Annes Lieblingsspiel, sie spielte es mit jedem auf ihrer Gehaltsliste, doch am liebsten spielte sie es mit Iacub.
Anne genoss es, das Spiel vor Zuschauern auszutragen, sie verstand es außerordentlich, ihr Publikum zu einem Teil ihrer Inszenierung werden zu lassen.
Iacubs Demütigung in Abwesenheit seiner jungen Geliebten hätte das Spiel für Anne schal werden lassen. So wurde es zu einem Genuss.
»Hast du mich vermisst, Iacub?«
Er schämte sich, war ein Schoßhündchen, bereit, jeden Stock zu apportieren, den Anne zu werfen gedachte.
Iacub hasste sich selbst.
Anne hasste er noch mehr.
Eine Bestätigung, eine Lüge, ein Themenwechsel. Er prüfte seine Optionen und wählte.
»Erinnerst du dich an den chinesischen Foto-Künstler? Ich werde ihn ausstellen. Hier und im Museum. Sie waren von der Idee begeistert.«
Es war ein kleiner Triumph. Er mogelte sich um eine Antwort herum. Vielleicht war Iacub doch nicht der Waschlappen, für den er sich hielt.
»Glaubst du wirklich an den Asiaten?«
Er nickte.
»Ich nicht.«
Es ging nicht um den Künstler, nicht um die Qualität seiner Arbeit, nicht um Iacubs Gespür, Talente zu finden, aufzubauen und gut zu verkaufen. Es ging um Macht. Iacub hatte eine Grenze überschritten und Anne wollte ihn leiden sehen.
Iacub hatte falsch gewählt.
Anne lächelte, sah Iacub zur Tür streben. Sie lächelte oft, wenn sie »Nein« sagte. Ihr »Nein« konnte seine Arbeit zerstören. Anne konnte mit einem Wort seine Zukunft vernichten.
Sie glaubte nicht an seine Ausstellung mit dem Chinesen.
Iacubs Blick streifte die Kunst im Raum. Er sah nur den Tod in den knöchernen Engeln, nicht die Schöpfung.
– 8 –
Eine Katze huschte den Randstein hinauf, über das Moos in jeder Ritze des Steins. Stolz trug das schwarze Raubtier ihre Beute durch die ausgesägte Öffnung einer Haustür, deren Farbe vor Jahren abgeblättert war. Die Ratte im Maul des Jägers war das Geschenk für einen Menschen, und Geschenke waren in dieser Gegend selten. Wer hier lebte, war arm und ohne Zukunft. Es bedurfte nicht der Botschaften der Graffiti an den Häusern, um dies zu erkennen.
Patrick parkte seinen Wagen und stieg aus. Ein Streifenwagen der Polizei stand nahe. Die hastig gefertigte Signatur eines Sprayers prangte auf dem Kofferraum.
Bullenschweine!
Die Farbe war frisch.
Kinder lachten in einem Hauseingang, beobachteten Patricks Hände. Seine Finger griffen abgeplatzte Versprengungen eines geborstenen Randsteins und setzten zum Wurf an. Die Kinder flohen auf ihren Skateboards, trieben die harten Rollen zu immer schnelleren Umdrehungen an. Laut brach sich das rhythmische Geräusch an den Wänden der Betonbauten und hallte mehrfach zurück.
Zurück blieb eine Spraydose Farbe. Er verschloss sie im Innern des Streifenwagens.
Patrick bewegte sich auf einen Monolith zu, bestehend aus Mietskasernen. In Zweiergruppen ragten sie auf, reckten ihren blanken Beton der heiß brennenden Sonne entgegen. Patrick schwitzte, jeder hier schwitzte, die Stadt nahm die vorsommerliche Hitze auf, speicherte sie in ihren Gebäuden.
Die Mietskasernen erinnerten Patrick an Kinder auf Stelzen. In den Stelzen gab es ein Meer von Sozialwohnungen und billigen Buden. Studenten, Arbeitslose und Verlierer beherbergten sie.
«Wo ist sie?«
Ein Streifenpolizist hatte schon auf Patrick gewartet.
«Beim Müllcontainer. Der Hausmeister hat sie gefunden.«
»Hat er was gesehen?«
Der Polizist schüttelte den Kopf. Die Menschen der Stadt waren geübt darin wegzusehen, wenn Handeln geboten war. Niemand kümmerte sich um den anderen, besonders nicht in einer Gegend wie dieser.
Sie lag in einer Lache Blut. Ihre Augen waren aufgerissen, starrten zum Himmel, zu ihrem Schöpfer.
Ein Mann kauerte über ihrem Körper, betrachtete ihr Gesicht, ihr Haar. Ein blonder Kranz, ausgebreitet über ihrem Blut.
Patrick kannte den Mann. Und sofort erinnerte er sich an all die Geschichten über Arkady. Keiner im Revier hatte mehr Fälle aufgeklärt, keiner war so unbeliebt. Arkady hasste Frauen, überzog sie mit Spott und Missachtung.
Milla war an ihrem