Iacub ließ Helen bei den Toten an der Wand zurück und traurig sahen die Musiker auf sie hinab. Helen blieb bei ihnen, wartete auf Besucher. Niemand verirrte sich an diesem Morgen in die Galerie. Das Alleinsein zwang zum Nachdenken. Helen wollte nicht denken. Nicht an Anne, nicht an Iacub.
Ob er an sie dachte? Oder an Anne?
Warum war es so schwer, glücklich zu sein?
– 29 –
Ein neues Outfit, neue Schuhe, ein neuer Lippenstift. Sie war hier. Helen roch Annes neuen Duft, vernahm ihre Stimme.
»Es ist gut, zurück zu sein.«
Anne lächelte ihr Lächeln. Ihr wohl inszenierter Auftritt hatte begonnen. Wie ein römischer Feldherr den Triumphbogen, durchquerte sie den Raum und verschwand in ihrem Büro. Nur für Sekunden hatte sie die Luft mit Helen geteilt, ließ ihr einen herben Duft zurück, der sich in den Ausstellungsräumen der Galerie verbreitete, bis die Klimaanlage ihn einsaugte.
Anne war ihre Rivalin. Doch wer war Iacub? Er war kein Held in glänzender Rüstung, kein Ritter voller Mut und Tatenkraft. Kein Prinz, der sie davontrug, sie beschützte und für sie da war.
Iacub war anders, sah gut aus, war aufmerksam, ein guter Zuhörer, ein zärtlicher Liebhaber, ein Mann unter einem Pantoffel, ein Feigling. Er fraß seinen Frust in sich hinein. Iacub war nicht glücklich.
Helen wusste nicht, ob er mit Anne schlief. Iacub verneinte die Frage stets.
Er war ein Lügner.
Schlief er mit Anne?
Helens Schultern verkrampften sich. Die Wand vor ihr verbarg zwei Menschen, zwei Büros.
Ob sie ihn jetzt küsste?
Helen wurde übel.
– 30 –
Er musterte Anne überrascht. Es war ihr Büro, ihr Schreibtisch, ihre Stimme. »Es ist Zeit wieder das Ruder zu übernehmen.« Iacub kannte das Warum hinter der Entmachtung. Er hatte sich nicht gegen Helen entschieden, hatte die Fotos auf dem Bett betrachtet, sie zu einem Stapel geformt und auf Annes Nachttisch gelegt. Er war joggen gegangen, hatte versucht, die Wut aus dem Körper zu laufen. Es war fehlgeschlagen, schlug immer fehl. Die Wut war ein Teil von ihm geworden.
Anne trat an den Schreibtisch. Das Licht der Lampe störte sie. Ihre Finger berührten den Kippschalter und Iacub verkrampfte sich.
Das Licht würde erlöschen, die Tür sich schließen. Mutter würde ihn im Dunkeln sitzen lassen. Er würde ausharren, stundenlang, würde die Angst vor der Mutter gegen die Dunkelheit abwägen.
Sie hatte es so oft getan.
»Sie ist nicht Mutter!«
Er schüttelte die Vergangenheit ab, zählte stumm.
»Eins, zwei, drei, vier, fünf.«
Er fühlte in sich hinein. Die Furcht ebbte ab.
»Sechs, sieben, acht, neun, zehn.«
Mühsam gewann Iacub die Kontrolle zurück.
Er beobachtete sie. Ihr Finger zog sich vom Kippschalter der Lampe zurück.
Anne las seine Korrespondenz mit dem chinesischen Künstler und beantwortete dessen Email. Ihre Botschaft war knapp.
»Das Projekt steht auf der Kippe.«
Anne unterschrieb in Iacubs Namen. Sie löste sich vom Schreibtisch und löschte das Licht der Schreibtischlampe. Mit ihrem Schein verschwand auch Iacubs zerbrechliche Beherrschung. Wehrlos und verängstigt begann er zu zählen.
»Elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn.«
Das Zählen half seinen Herzschlag zu verlangsamen. Er bot ihr ihren Stuhl an und verließ das Büro. Sein Widerstand war eine Heldentat.
Iacub bedauerte, Annes überraschtes Gesicht nicht genießen zu können. Eine Weile würde sie auf seine Rückkehr warten, dann würde sie gehen und ein paar blonde Haare auf dem Schreibtischstuhl zurücklassen.
Auch dafür hasste er sie.
Verloren stand Iacub im Show Room der Galerie. Helen war dort. Sie war schön, sie war eloquent, sie war eine gute Beraterin. Der Kunde lächelte sie an und kaufte, um Helen einen Gefallen zu tun. Es war ein Flirt. Der Mann war reich. Iacub kannte ihn. Sie spielten zusammen Golf.
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