Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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erinnert werden – förderten seine Bestrebungen. Seine Mitglieder traten für das Erbrecht, die Familie, das Sondereigenthum ein, erklärten sich gegen alle atheistischen Unfläthereien, brandmarkten den Schwindel der Weiberemancipation, kurzum, sie zeigten sich als besonnene und maßvolle Männer, die ohne alle revolutionär aufregende Agitation den Arbeiterstand in geistiger, materieller und moralischer Beziehung zu heben versuchte. Es bedurfte eines merkwürdigen Zusammentreffens merkwürdiger Umstände, um diese Haltung in die Bahnen des grundsätzlichen Umsturzes einzulenken; die Art, wie es geschah, ist auch für andere Länder sehr lehrreich.

      Der französische Zweig der Internationale machte es nämlich mit seinem friedlichen Wirken Niemandem recht. Abgesehen von Marx und dem Generalrathe in London, die nicht müde wurden, ihn anszustacheln und zu verhöhnen, that er weder der Opposition noch der Regierung genug. Beide verlangten bedingungslosen Anschluß an ihre politische Schlagworte. In diesem Dilemma ließen sich die französischen Mitglieder des Bundes 1868 verleiten, ein Bündniß mit der radicalen Bourgeoisie abzuschließen; sie sollten dieser die politischen Freiheiten erringen helfen, um dann aus ihrer Hand die sociale Emancipation des Proletariats zu empfangen. Das ungesunde Bündniß zeitigte ungesunde Früchte. Sofort richtete das zweite Kaiserreich heftige Verfolgungen gegen die Pariser Führer der Internationale; dadurch geriethen dieselbe in immer tiefere Verbindung und Verwickelung mit allen aufrührerischen Elementen des Landes und namentlich der Hauptstadt. Die auch auf dieser heißen Erde immer nur erst geringen Anfänge einer festen Organisation des Bundes als einer besondern Arbeitergesellschaft zerfielen dabei vollends, allein sein Name wurde mehr und mehr das unheimliche Banner, welches die arbeitenden Classe, namentlich in den großen Mittelpunkten der französischen Industrie, in die revolutionäre Agitation riß. In allen Krakehlen und Putschen, welche die letzten Jahre der napoleonische Herrschaft erfüllten, sind seine Spure zu finden.

      Trotzdem ist es grundfalsch, ihm einen maßgebenden Einfluß auf die Entstehung der Pariser Commune zuzuschreiben. Dieser Einfluß der Internationale ist vielmehr weit geringer gewesen, als die sinnlose Prahlsucht ihrer Häupter, die zeternde Angst ihrer Gegner hat glauben machen wollen. Die Ursachen des blutigen Aufstandes von 1871 können an dieser Stelle nicht entwickelt werden; man kennzeichnet ihn vielleicht am kürzeste und treffendsten, wenn man sagt, daß er gleichsam eine Generalbuße gewesen sei für die Ausschweifungen und Sünden, denen sich das französische Volk seit 1789 auf den verschiedensten Gebiete des nationalen Lebens überlassen hat.

      Unzweifelhaft lief dabei auch eine stark communistische Strömung unter, aber die Agitation der Internationale rief diese Strömung nicht hervor, sondern schwamm auf ihr nur als mißfarbiger Schaum. Die kindisch lächerliche Vorstellung, als hätten die Zaubersprüche des Bundes eine Bande von Narren und Schurken wie aus einem gähnenden Abgrunde der Hölle emporgerufen, nun mit Petroleum und Pulver den strahlenden Leuchtthurm des Jahrhunderts zu zerstören, ist zumeist hervorgerufen durch das Rundschreiben vom 16. Juni 1871, das Jules Favre an die französischen Gesandten bei den europäischen Höfen richtete. Nun wohl, am 23. Juni desselben Jahres sagte derselbe Jules Favre vor einer parlamentarische Untersuchungscommission amtlich aus, daß die communistische Agitation an der Entstehung der Pariser Commune so viel Antheil gehabt hätte, wie ein Päckchen von Pulver, das man in eine lodernde Feuersbrunst wirft. Diese Auffassung ist durchaus richtig; sie wird völlig unwiderleglich erwiesen durch die reiche Fülle gerade der Actenstücke, welche die Regierung selbst über die einschlägigen Vorgänge veröffentlicht hat.

      Sogar als die französische Hauptstadt am 18. März sich schon erhoben hatte, blieb der Pariser Bundesrath der Internationale vollkommen neutral. Einzelne seiner Mitglieder, wie namentlich Varlin, hatten sich zwar am Aufstande betheiligt, aber unter dem ausdrücklichen Vorbehalte, daß sie den Bund als solchen dadurch in keiner Weise verpflichteten, während andere seiner Mitglieder, darunter die Stifter des französischen Zweiges, wie Heligon, Murat, Tolain, dem Aufstande entgegentraten und zwar mit einer Festigkeit und Unerschrockenheit, welche selbst Gegnern der Internationale die größte Anerkennung abgerungen hat. Erst als der Bruch zwischen Paris und Versailles unheilbar geworden war und die Wahlen für die revolutionäre Commune ausgeschrieben wurden, forderte ein Aufruf der Internationale ihre Anhänger auf, sich an diesen Wahlen zu betheiligen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist ein Befehl dazu vom Generalrathe in London eingetroffen; hatte es Marx doch schon im communistischen Manifeste von 1848 als Pflicht des internationalen Communismus bezeichnet, sich an jeder aufständischen Bewegung, gleichviel welchen Charakters, zu betheiligen, um dabei so oder so im Trüben zu fischen.

      Unter denn etwa achtzig Mitgliedern der Commune befanden sich ungefähr zwanzig Mitglieder der Internationale. Sie bildeten eine maßvollere und verständigere Minderheit gegenüber der jacobinischen Club- und Straßendemagogie, die in der seltsamen Körperschaft das große Wort führte. Während diese einen sinnlosen Abklatsch des Schreckensregiments von 1793 anstrebte und durchsetzte, versuchte jene die Commune zu einem socialen Gebilde, zur Urzelle gleichsam des socialistischen Zukunftsstaates zu gestalten. Diese Versuche scheiterten schon an ihrer eigenen Unklarheit und Unreife; sie vermochten nicht einmal zu den ersten ernsthaften Anfängen zu gedeihen, denn die Abschaffung der Nachtarbeit in den Bäckereien, das Verbot von Geldstrafen in Fabrikordnungen, die Confiscation der von ihre Besitzern verlassenen Fabriken und Werkstätten und ihre Ueberlassung an Arbeitergenossenschaften – mehr ist beim besten Willen im amtlichen Blatte der Commune nicht zu entdecken – können doch als socialistische Reformen selbst vom Standpunkte der Weltumstürzler aus nicht gut ernsthaft genommen werden.

      Aber selbst wenn von der Minderheit der Commune bessere und reifere Versuche vorgeschlagen worden wären, würden sie an der so viel größeren Zahl der Mehrheit und an dem Hasse gescheitert sein, welcher die einflußreichsten Führer dieser Mehrheit, wie Delescluze und Raoul Rigault, gegen die Internationale beseelte. Als diese Nachäffer der Marat und Robespierre endlich in der Einsetzung eines Wohlfahrtsausschusses ihr Ziel erreichten, zogen sich die Mitglieder des Arbeiterbundes mehr und mehr von den Beratungen des Stadthauses zurück. Erst bei der Erstürmung der Stadt kämpften sie dann wieder auf den Barricaden mit einem Muthe, wie er glänzender nicht leicht einer schlechteren Sache geweiht werde konnte.

      An den Schandthaten der Commune sind die Mitglieder der Internationale wesentlich unschuldig. Sie haben sie meist nicht nur nicht befördert, sondern nach ihren beste Kräften zu hindern gesucht. Unter ihnen waren nur einzelne brutalere Naturen, wie Dereure und Johannard; ein gemeiner Verbrecher wurde nur der Tischler Pindy, der den militärische Befehl über das Stadthaus führte und das prächtige Gebäude einäscherte. Immerhin zeugt selbst diese furchtbare, mitten im Blutdurste einer siebentägigen Straßenschlacht begangenen That eines wahnsinnigen Fanatismus noch nicht von einer so niedrigen Verworfenheit, wie die feigen und niederträchtigen Meuchelmorde, in denen die Ferré und Rigault schwelgten. Sonst habe die Mitglieder der Internationale in der Commune, wen auch nichts Gutes gestiftet, so doch viel Böses verhindert, namentlich in manchem Zweige der Verwaltung leidlich Ordnung gehalten. Die Rettung der Bank von Frankreich und ihrer drei Milliarden, deren gewaltsame Beschlagnahme die unabsehbarsten Folgen gehabt haben würde, war der persönlichen Rechtschaffenheit dreier Mitglieder der Commune zu danken, von denen zwei, Beslay und Varlin der Internationale angehörten, während der dritte, Jourde, ein naher Vertrauter des Bundes war. Dem großen Geiselnmorde in der Straße Haxo warf sich Varlin unter eigener Lebensgefahr entgegen. Nicht am wenigsten bezeichnend ist, daß einzelnen dieser Männer, wie Beslay, Malon, Theiß, nach Niederwerfung der Commune die heimliche Entfernung aus Frankreich von der Regierung selbst gestattet wurde trotz des furchtbaren Strafgerichts, das sich sonst über alle Anhänger und Theilnehmer des Aufstandes entlud.

      Diese Andeutungen sollen keineswegs das Schuldregister der Commune oder der Internationale beschönigen. Nichts weniger als das. Aber die revolutionäre Vorgänge in Frankreich haben sich so oft als typisch für das übrige Europa gezeigt, daß es sich wohl genauer, als bisher geschehen ist, zu untersuchen verlohnt, wie die Internationale speciell in jenem Lande entstand, was sie war und wie sie endete.

      Die dämonischen Kräfte, die in der heutigen Arbeiterbewegung walten, lassen sich nun einmal so wenig durch Blei und Pulver wie durch den ehrlichste Abscheu sittlicher Entrüstung vernichten. Und die Thatsache, daß Männer, wie jene Beslay, Varlin, Theiß, Malon, Avrial, Clemence und wie sie sonst heißen mögen, Männer, die sich meist aus dem niedrigsten und schmutzigsten