Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
Скачать книгу
gegen die Internationale gerichteten Processen als „einsichtige, ehrenwerthe und fleißige Arbeiter“ zu kennzeichnen pflegten, daß solche Männer, gleichviel für wie falsche Ideale immer, freiwillig alle Schrecken der Vernichtung entgegen gingen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, ist doch wohl würdiger eines unbefangenen Urtheils, als einer unbesehenen Veurtheilung.

      Marx aber und der Generalrath in London verzichteten freiwillig auf alle mildernden Umstände, die etwa der Haltung der einzelnen Mitglieder des Bundes in der Commune zugebilligt werden könnten. In einen berüchtigten Pamphlete übernahmen sie ganz und voll die Verantwortung für alle Thaten der Commune. Wie in jenes sagenhafte Drachenblut, das einst Siegfried’s Körper gegen jede Verletzung feite und schirmte, tauchten sie ihre Schöpfung von Fuß bis zum Scheitel in den Strom von Blut und Thränen, der zwischen den arbeitenden und besitzenden Classen der französischen Gesellschaft floß. Aber sie hatte dabei doch die geistige und sittliche Verwilderung weit überschätzt, die ihnen im europäischen Proletariate anzurichten gelungen war. Voll unüberwindlichen Ekels wandten sich alle besseren Elemente der Arbeiterwelt von dem Bunde ab; in seinen spärlichen Ueberbleibseln wucherten Neid, Mißtrauen, Zwietracht übermächtig empor.

      Auf eine so willkommene Gelegenheit harrte seit Jahren Michel Bakunin. Dieser russische Nihilist unterschied sich im System von Marx eigentlich nur dadurch, daß er jede wissenschaftliche Methode als die letzte unwürdige Fessel der Menschheit abstreifte. Sonst wollte auch er den gewaltsamen Umsturz der gegenwärtigen Ordnung, die Durchführung des Gemeineigenthums als Grundlage der menschlichen Gesellschaft; nur daß er nicht zu harren gedachte, bis die großen Massen der Völker von der Notwendigkeit einer derartigen Umwälzung durchdrungen sind, sondern vielmehr durch unaufhörliche Attentate und Putsche allmählich die Zukunftsarmee drillen wollte. Ferner sollte ein Zukunftsreich jeder gesellschaftlichen und staatlichen Verfassung entbehren, der vollkommensten „Anarchie“ sich erfreuen; die Menschen sollten auf dem gemeinsamen Boden hausen, wie die Thiere des Waldes. Die nähere Ausführung dieser Gedanken ist so cynisch und schmutzig, daß sie sich nicht einmal andeuten läßt in einem Blatte, welches auch von Frauen gelesen wird.

      Mehr als die sachlichen Unterschiede ihrer Systeme, trennte Bakunin und Marx jener echte, unverfälschte, unversöhnliche Haß, mit dem sich die Höflinge und Schmeichler der Massen gegenseitig zu beehren pflegen. Jeder hat den Andern öffentlich Soldschreiber, Spion, Verräter gescholten Von den ersten Tagen der Internationale begannen die Zettelungen Bakunin’s; auch an Versuchen zu Gegenbünden ließ er es nicht fehlen. Lange konnte er gegen die geistige Ueberlegenheit der Gegner nicht aufkommen. Erst die Niederlage der Pariser Commune gab dem Russen einen plumpen Trumpf in die Hand, welcher das geistreiche Spiel des Deutschen stach. Mit der ganzen Findigkeit und Geschmeidigkeit seiner slavischen Natur wußte Bakunin in den revolutionären Schichten, namentlich der romanischen Völker, die Anschauung zu verbreiten, als sei der französische Aufstand in seinem aussichtslosen Beginnen und in seinem kläglich-schrecklichen Mißlingen ein verräterischer Streich gewesen, den Marx der Arbeitersache gespielt habe.

      Dieser unterschätzte die Gefahr nicht; 1871 ließ er gar keinen Congreß des Bundes abhalten; als dann im Herbste von 1872 die Arbeitergesandten der verschiedenen Länder wieder im Haag zusammentraten, brachte er an deutschen Anhängern und an Mitgliedern des Generalrathes eine sichere, wohlgeschulte Garde mit. Diese Vorsicht verschaffte ihm denn auch in den Abstimmungen des Congresses den äußerlichen Sieg, aber der Haß und das Mißtrauen, die ihm fast überall außerhalb des Kreises seiner deutschen Myrmidonen entgegenstarrten, ließ ihm keinen Zweifel, daß das Werk seines Lebens zum zweiten Mal zerbrochen, daß die Internationale todt war, wie zwanzig Jahre vorher der Communistenbund. Nicht um sich selbst, sondern nur um die Welt zu täuschen, ließ er noch den Generalrath nach New-York verlegen und schloß den Congreß mit pomphaften Worten; seitdem hat Engels selbst gestanden, daß diese Manöver notdürftig den Untergang der Internationale haben verdecken sollen.

      So schied der merkwürdige Bund von der Bühne der Weltgeschichte. Traurig und wüst genug erschienen die Trümmer, die auf der Stätte seines Daseins blieben. Sein englischer Arm war immer nur verkrüppelt gewesen und dann völlig verdorrt; sein französischer Zweig wurde durch Feuer und Schwert erstickt. In den slavischen Ländern des europäische Ostens, dann auch rings um das Becken des Mittelmeeres, in Spanien, Südfrankreich, Italien tummelte sich der wüste Bakunismus als lachender Erbe und spann seine Netze bis nach Aegypten und Griechenland. Aber in einer bedeutsamen Hinsicht unterschied sich doch das traurige Ende der Internationale von dem Untergange des Communistenbundes. Sie hinterließ wenigstens eine Erbin, eine ebenbürtige echte Tochter, Bein von ihrem Bein und Blut von ihrem Blut: die deutsche Socialdemokratie.

      6. Der deutsche Zweig der Internationale und der allgemeine deutsche Arbeiterverein.

       Inhaltsverzeichnis

      Nach dem Tode Lassalle’s war der allgemeine deutsche Arbeiterverein zunächst ein Körper ohne Kopf, ein Leib ohne Seele. Er vegetirte nur noch, aber er lebte nicht mehr. Die auf Lassalle folgende Präsidenten des Vereins, Bernhard Becker, Tölcke, Perl erwiesen sich als völlig gedankenlose oder im besten Falle als ganz unbedeutende Leute; sie vermochten den Gedanken des Meisters kaum zu fassen, geschweige denn durchzuführen. Marx selbst lehnte die Führerschaft der Secte ab. Aus guten Gründen; denn er konnte weder unbesehen die Erbschaft Lassalle’s antreten, noch durfte er hoffen, die glühenden Anhänger seines einstigen Freundes ohne Weiteres zu seinem Glaubensbekenntnisse zu bekehren. Vertrauend aus den alten Erfahrungssatz, daß in revolutionäre Parteien am letzte Ende immer die maßlosere über die besonnenere Richtung siegt, hielt er es für angezeigter, in unversöhnlichem Kampfe die Lassalleaner zu überwinden und zu verschlingen, als aus ihrem eigene Schoße heraus sie umzuwandeln, wobei er sich persönlich nur zu schnell aufreiben und vernutzen konnte. Die Richtigkeit dieser Rechnung wurde durch den tatsächlichen Gang der Dinge glänzend erwiesen.

      Namentlich ein Theil der Hinterlassenschaft Lassalle’s war es, den Marx unter keinen Umständen zu übernehmen vermochte, und zwar gerade der im damalige Augenblicke wichtigste Theil: der Glaube an den Beruf des preußischen Staats, die deutsche Einheitsfrage zu lösen. In diesem Punkte war er vom jeher wenn möglich noch unerbittlicher, als in jedem andern; namenlos und unbeschreiblich ist der Haß, der ihn gegen das Land seiner Geburt verzehrt. Während Lassalle in dem immer mächtiger aufschlagenden Feuer der nationalen Bewegung seine Kastanien zu rösten gedachte, wollte Marx vielmehr für seine Zwecke in den trübe Strudeln der particularistischen Strömungen fischen. Gerade dieser Gegensatz, obgleich er nur ein Gegensatz der Taktik, nicht der Grundsätze war, trat in den Kämpfe zwischen de feindlichen Brüdern am schärfsten hervor, wie denn überhaupt bis zur Lösung der deutschen Frage, bis zur Gründung des deutsche Reiches, der alles beherrschende nationale Gedanke mehr oder minder bestimmend auch in die Entwickelung der deutschen Socialdemokratie eingegriffen hat.

      Was den allgemeinen deutschen Arbeiterverein bis 1866 noch notdürftig zusammenhielt trotz seiner kläglichen Führer, trotz der ewigen Intriguen der Gräfin Hatzfeldt, die einen Präsidenten nach dem andern stürzte, weil sich keiner ihren unberechenbaren Weiberlaunen fügen wollte – eine dieser Krisen aus Leben und Tod entstand dadurch, daß ein Präsident sich weigerte, Butter und Käse für den Abendtisch der Gräfin einzuholen – war das