Ein widerlicher Versuch, den Leichnam Lassalle’s für agitatorische Zwecke zu benutzen, scheiterte glücklicher Weise an dem Widerstande der Polizei. Dieselbe nahm den Sarg zu Köln in Beschlag, als die Gräfin Hatzfeldt ihn auf einem Rheindampfer nach Düsseldorf führen wollte, um daselbst eine große Todtenfeier der rheinischen Gemeinden zu veranstalten. Die Leiche wurde nach Breslau gebracht, der Vaterstadt Lassalle’s, dort unter polizeilicher Begleitung in einem Planwagen auf den jüdischen Kirchhof geführt und ohne jede Feierlichkeit beigesetzt. So seltsam erfüllte sich der Traum Lassalle’s, am Schlusse seiner demagogischen Laufbahn auf dem Wagen des Triumphators einzuziehen in die freiheits- und siegestrunkene Hauptstadt eines großen Volks!
Im socialdemokratischen Lager erscholl wilde Klage um den Tod des Führers; man feierte sein Andenken in den widerlichsten Formen des Götzendienstes. Stiller, aber tiefer und wahrer trauerten Alle, welche im Auf- und Niedergang dieses Leben verfolgt hatten, das mit allen reichsten Gaben begnadet war, um als ein erster Stern am Himmel der Menschheit zu glänzen, aber das durch eigene Schuld sich selbst gebannt hatte in jenes Zwischenreich geschichtlicher Größen, deren Namen im Gedächtnisse der Nachwelt nur dauern unter dem Fluche des Dichterwortes:
„Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt,
Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“
4. Friedrich Engels und Karl Marx. – Der internationale Arbeiterbund.
Mit dem Tode Lassalle’s schloß das erste große Capitel in der Geschichte der deutschen Socialdemokratie. Es hat kein Gegenbild in der gesammten modernen Arbeiterbewegung. Erst als jener ebenso geniale wie gefährliche Agitator ruhmlos verblichen war, bildete sich eine europäische Socialdemokratie. Deutsche Hände pflanzten ihre Wurzel in englischen Boden, von wo aus sie nach und nach ihr wucherndes Geflecht um alle Glieder unseres Erdtheils und selbst überseeischer Welten gesponnen hat.
Man hat den großen Arbeiterbund aller Völker, welcher die „internationale Arbeiterassociation“ oder gemeinhin die „Internationale“ genannt wird, wohl als die jüngste und zukunftsreichste Großmacht gekennzeichnet. Und so, wie er gedacht ist, als eine millionen- und aber millionenköpfige Phalanx der Handarbeiter, die, beseelt von einem Herzschlage, mit der erbarmungslosen Unwiderstehlichkeit einer Naturgewalt alle Höhen und Tiefen der modernen Cultur zu einer gleichmäßigen Fläche einebnen soll, würde er allerdings eine furchtbare Kraft darstellen, welcher dauernd keine irdische Gewalt zu widerstehen vermöchte.
Es ist viel gestritten worden, wer diesen unstreitig stärksten aller revolutionären Gedanken des neunzehnten Jahrhunderts zuerst gedacht hat; Manche wollen behaupten, er sei aus einem weiblichen Kopfe entsprungen; die Französin Jeanne Derouin wird als seine Mutter genannt. In Wahrheit und Wirklichkeit ist er niemals, wie Athene aus dem Haupte des Zeus, fertig und klar aus einem menschlichen Gehirn getreten vielmehr erwuchs er, wie alle weltbewegenden Gedanken, allmählich aus den Dingen selbst, bis hochbegabte Demagogen seine Verwendbarkeit erkannten und seinen Gehalt in eine so blendend knappe Form prägten, daß er hinfort wie eine bekannte und vertraute Münze unter den Völkern aller Zungen umlaufen konnte.
Die geheimen politischen Gesellschaften, wie sie während der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts vorzugsweise im europäischen Süden und Westen bestanden, in Rußland noch heute bestehen, waren und sind die Zufluchtsstätten schon freiheitsdürstender, aber noch unfreier Völker. Sie erweisen sich gleichsam als die erste, aber lebensgefährliche Stufe, die zum Tempel der Freiheit emporführt. Jedem Volke, das nicht mit schnellen Schritten über sie hinwegkam, haben sie zu unverwindlichem Schaden gereicht. Das unheimliche Zwielicht, in welchem sie lebten, wandelte alle ihre Bestrebungen zu widerliche Zerrbildern um; wie edel häufig die Absichten ihrer Gründer und Stifter sein mochten, so wurden sie doch unausbleiblich Tummelplätze der lächerlichsten und schlechtesten Leidenschaften. Statt zu erheben und zu läutern, entnervten und entmannten sie; die feurigste Freiheitsliebe verpuffte in einem albern-verächtlichen Wirrwarr von Attentaten und Putschen; Niemandem wurden sie schließlich verächtlicher, als den gewerbsmäßigen Revolutionären selbst, soweit dieselben überhaupt Männer und nicht blos Kinder waren.
Dennoch haben diese Geheimbünde bis zum Jahre 1848 in allen gesitteten Ländern bestanden, wenngleich weit zahlreicher unter den romanischen als unter den germanischen Nationen. Es war natürlich unvermeidlich, daß die socialistischen Umsturzgedanken, als sie in der Arbeiterwelt auszutauchen begannen, zunächst gleichfalls das schützende Dunkel nächtlicher Verschwörungen aufsuchten Ebenso naturgemäß führte mannigfache Interessengemeinschaft zu gewissen Berührungspunkten unter den Geheimbünden verschiedener Länder und Völker, namentlich als sich die europäischen Regierungen zu gemeinsamem Vorgehen gegen sie verbanden. Allein diese internationalen Zusammenhänge entsprangen doch nur mehr einem unsichern Tasten, als einem bewußten Wollen Die strenge Grenzbewachung, die Mangelhaftigkeit der Verkehrsmittel erschwerten die Verbindung von Volk zu Volk; auch fehlte jene durchsichtige Klarheit der Ziele, welche allein über die hemmenden Schranken verschiedener Denk- und Sprechweise helfen konnte.
So gediehen die internationalen Beziehungen der Geheimbünde unter verschiedenen Völkern nur da, wo dieselben aus eng begrenztem Raume neben einander wohnten, und unter verschiedenen Ländern nur dann, wenn sie sich aus Genossen desselben Volkes beschränkten. In ersterem Betrachte mag als Beispiel die Schweiz genannt werden, wo ein „Junges Deutschland“, ein „Junges Frankreich“, ein „Junges Italien“ als verschiedene Zweige eines „Jungen Europa“ bestanden; in letzterer Beziehung der „Bund der Communisten“, welcher die deutschen Arbeiter über den ganzen Erdball hin revolutionär zu verbinden suchte und bei der deutschen Wanderlust starke Absenker nach Belgien England, Frankreich, der Schweiz treiben konnte und getrieben hatte. Sonst aber war diese Gesellschaft eben auch nur ein revolutionärer Geheimbund, wie andere ihres Gleichen, ohne ernstere Gedanken und Ziele, bestimmt, viele nützliche Kräfte zwecklos zu verzehren und dann klanglos zum Orkus zu wandeln.
Vor diesem Schicksale wurde sie gerettet durch den Anschluß zweier Gelehrter, die in langwierig mühsamen Arbeiten sich klar geworden waren über die Bedingungen, unter denen allein die von ihnen gewünschte Umwälzung der modernen Welt möglich ist oder möglich werden könnte. Es waren Friedrich Engels und Karl Marx, beide gleich Lassalle jüdischen Blutes, auf deutscher Erde geboren und genährt von deutschem Geiste, in der strengen Zucht deutscher Wissenschaft herangewachsen zu jener geschlossenen Denkkraft, die ihnen einen so großen und verhängnißvollen Einfluß auf die geschichtliche Entwickelung ihres Jahrhunderts zu üben gestattet hat.
Ueber die näheren Lebensumstände von Engels ist nur wenig bekannt. Er ist in Barmen geboren und lebt heute als reicher Fabrikbesitzer in Manchester. Schon 1844 versuchte er in den „Deutsch-französischen Jahrbüchern“ den Nachweis, daß die ganze bisherige Volkswirthschaftslehre nur eine Ableitung unsittlicher Vorstellungen aus einer völlig entsittlichten Wirklichkeit sei; im Jahre darauf bemühte er sich in seinem bekanntesten Werke. „Die Lage der arbeitenden Classen in England“, geschichtlich und statistisch an dem Beispiele der classischen Volkswirthschaft unserer Tage nachzuweisen, daß eben diese Volkswirthschaft mit ihren Fabriken und Maschinen, ihrem Freihandel und Geldverkehr unrettbar zum äußersten Massenelend