Mit zusammengekniffenen Lippen blickte die Frau hinter ihm her. In dieser Minute war es auch für sie beschlossen: Dieser Mann war ein Gegner Bill Cumberlands. Er mußte sterben.
*
Wyatt ritt nach Florence.
Er wußte, daß der hartgesichtige Bursche mit dem blonden Haar auf seiner Fährte saß.
Spät am Abend erreichte er nach scharfem Ritt die Stadt.
Er hatte den Revolvermann Jeff Lopin abgeschüttelt. Der kleine Tupfschimmel war ein schneller und sehr ausdauernder Läufer, mit dem so leicht kein anderes Pferd auf längere Strecken mithalten konnte. Es war ein Indianerpferd, das Wyatt einer Rothaut auf dem Markt in Wichita abgekauft hatte.
Gleich neben der City Hall war das Post-Office.
Mary Cumberland hatte Wyatt auf eine Idee gebracht...
Er betrat das Post-Büro, grüßte den kleinen, mürrisch dreinblickenden Posthalter, der mit seinem grünen Marienglasschirm am Schalter erschien, und fragte, ob er eine Eilnachricht nach Topeka aufgeben könne.
»Natürlich, Mister«, sagte der kleine Mann, der den Kunden sehr wohl erkannte. Schließlich hatte er doch neulich hier von seinem Büro aus die Szene drüben vor Collins’ Saloon mitangesehen.
Wyatt rieb sich das Kinn und überlegte, dann nahm er den Federhalter und schrieb.
An James B. Hickock, Topeka, Lowellstreet, Kansas.
Du mußt selbst kommen. Die Sache wird ernst. Bring Tim und Geoffry mit. Ich erwarte Dich am 14. mit der Mittagspost auf der Poststation Loovercreek südlich von Abilene. Bill
Der kleine Posthalter zog die Brauen zusammen, schob seine dickglasige goldgeränderte Brille näher an die Augen und las den Text, wobei er die Lippen bewegte. Dann hob er den Kopf und blickte Wyatt verblüfft an. »Ja, Mister..., ja, ja..., das wird besorgt!«
Wyatt ritt ein Stück weiter und band den Schimmel vorm Sheriffs-Office an.
Als er den Raum betrat, sah er zu seiner größten Vewunderung einen Mann neben dem Gewehrständer stehen, den er hier am wenigsten vermutet hätte: Ted Seroon, den Schießer aus Abilene; den Mann, der für Big Bill ritt.
Der Sheriff saß hinter seinem Tisch und blickte Wyatt mit zerfurchter Stirn entgegen.
»Tag, Sheriff. Ah, Mister Seroon ist auch hier? Welch eine Überraschung!«
Der Revolverschwinger wollte zur Tür, blieb aber wie angewurzelt stehen, als Wyatt die rechte Hand hob.
Die Augen Seroons flogen an Wyatts Gestalt hinunter, saugten sich an seinen Rockschößen fest und suchten zu ergründen, ob hinter der offenen getragenen Jacke ein Colt versteckt sein könnte.
Wyatt öffnete die Jacke weit und grinste den Mann breit an. »Nichts da, Freund. Aber Sie können trotzdem bleiben. Ich habe dem Sheriff nur etwas zu melden.« Wyatt wandte sich an den Hüter des Gesetzes, der der kleinen Szene gespannt gefolgt war.
Der kam ihm zuvor. »Sie sind Evans, nicht wahr?«
»Yeah...«
»Sie reiten doch für Harry Walker?«
»Richtig. Ich wollte Ihnen nur melden, daß der Rancher verschwunden ist – und zwar ohne mir eine Nachricht über seinen Verbleib zu hinterlassen. Vielleicht kommt er ja wieder zurück. Aber im Hinblick auf den plötzlichen Tod Bob Hunters möchte ich es doch lieber melden. Das wär’s, Sheriff. So long.« Er tippte in seiner lässigen Art an den Hutrand und ging hinaus, ohne den Revolvermann noch eines Blickes zu würdigen.
Seroon sprang ans Fenster und stützte sich mit beiden Händen an die Mauerecke der Fensternische. »Dieser verdammte Bursche. Ich kenne ihn! Ich kenne ihn..., Wenn ich bloß wüßte, wo ich diese eisigen Augen schon einmal gesehen habe...?«
*
Harry Walker war nicht zurückgekehrt.
Wyatt wunderte sich nicht sehr darüber. Er war im Gegenteil davon überzeugt, daß Bill Cumberland hinter dem Verschwinden des Small-Ranchers steckte. Das war ja auch die allerfeinste Art, einen lästigen Nebenbuhler loszuwerden: Er war und blieb einfach verschwunden.
Wohin aber hatte man ihn gebracht?
War er ermordet worden?
Wyatt wußte sich auf all diese Fragen keine Antwort zu geben. Und es war ihm unmöglich, etwas gegen Cumberland zu unternehmen. Er brauchte Beweise.
Und die hoffte er bald zu finden.
In der Nacht zum 13. Juni hatte er sich in das Weideland der C-Ranch eingeschlichen. Die ganze Nacht über ritt er nach Südwesten. Einmal glaubte er Reiter vor sich zu sehen. Es war sternenklar, und die Sicht ging weit über das Land. Ja, es waren mehrere Männer, die ein Rudel Rinder eingefangen hatten, das sich von der Herde gelöst hatte.
Als der Morgen graute, hatte sich der einsame Reiter so nahe an die Höhle des Löwen gewagt, daß er von seinem Versteck aus die Bauten der C-Ranch gut beobachten konnte. Das Versteck war so geschickt gewählt, daß er hier oben unmöglich entdeckt werden konnte. Weitab von der Wagenspur des Weges, abseits von den Rinderpfaden hoch oben auf dem Kamm eines buschbesetzten Hügels.
Wyatt hatte Walkers altes Ausziehfernrohr mitgenommen und hielt die Ranch ständig im Auge.
Ja, gegen Mittag sammelten sich im Hof fast ein Dutzend Reiter. Es dauerte nicht lange, da sprengte der Trupp zum Ranchtor hinaus und strebte dem Hügelpaß nach Nordosten zu.
Als die Reier auf der Höhe des Beobachters waren, tastete der mit dem Glas den Trupp ab.
Wyatt erkannte sofort den Mann, der allen voran auf einem prächtigen hellen Fuchs ritt. Es war Big Bill Cumberland; er hatte den Hut auf dem Rücken am Windband, wie ihn auch seine Tochter trug.
Hinter dem Rancher kam Mac Hayley, der Vormann, dann der dürre Hastings, der schmierige Slim, der dicke Henderson, Yul Potter mit dem Bullenbeißergesicht und viele andere Gesichter, die Wyatt auf der Ranch und in Collins’ Saloon schon gesehen hatte.
Ted Seroon fehlte.
Und noch einer fehlte; der hartgesichtige Schießer Jeff Lopin.
Waren die beiden etwa auf der Ranch zurückgeblieben?
Möglich war es schon. Natürlich würde Big Bill, der alte Fuchs, den Bau nicht unbewacht zurücklassen. Aber Seroon war meistens unterwegs, entweder in der Stadt oder auf der Postkutschenstation Loovercreek.
Wyatt fuhr sich mit dem kleinen Finger seiner Linken nachdenklich über die Unterlippe. Gefährlich wäre es, wenn der junge Schießer noch unten war. Das war ein Mann, der trotz seiner Jugend nicht zu unterschätzen war.
Einerlei, es mußte riskiert werden.
Die Stunden bis zum Anbruch des Abends krochen im Schneckentempo dahin. Immer wieder nahm der Mann in den Büschen sein Glas zur Hand und beobachtete die Ranch. Aber es geschah nichts. Einmal, kurz vor sechs Uhr, ging jemand über den Hof zu den Ställen hinüber.
Es war Mary.
Wyatt sah, daß sie gleich darauf ihr Pferd bestieg und wegritt. Er folgte ihr mit dem Glas, solange das möglich war. Sie ritt über einen Hügel nach Süden davon. Eine halbe Stunde später kam sie wieder zurück. Ein Mann trat ihr im Hof entgegen, dem sie das Pferd übergab. Wyatt erkannte im Glas einen alten Cowboy, den er kürzlich auch auf dem Hof gesehen hatte. Kein gefährlicher Mann.
Kurz bevor die sich rasch hereinbrechende Nacht ihre schwarzen Schatten über das Tal senkte, bestieg Wyatt Earp sein Pferd, verließ das Versteck und ritt über die Hügel am Rand der Talmulde entlang einen Weg, den er sich tagsüber gründlich ausgesucht hatte.
Nach einer Dreiviertelstunde langte er im Rücken der Ranch an. Direkt hinter dem Ranchhaus in einem großen Gebüsch band er sein Pferd an und schlich sich vorwärts an den Zaun.
Er hatte ihn kaum mit einem Sprung überwunden, als er auch schon den